BundestagswahlWas sich die digitale Zivilgesellschaft wünscht

Progressive, grundrechtsorientierte politische Vorhaben sind aktuell nicht besonders angesagt. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen bereiten sich daher auf einen Abwehrkampf vor. Dabei gäbe es Wichtiges zu tun.

Eine Person mit Sonnenbrille pustet auf eine Pusteblume
Mehr Wünsche wagen – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Neil Bates

Netzpolitik ist nicht das heiße Thema in diesem Bundestagswahlkampf. Und vermutlich wird sie auch nicht die Priorität der nächsten Regierung sein. Dennoch beobachten Organisationen aus der digitalen Zivilgesellschaft aufmerksam, was sich tut. Denn aktuelle Umfragewerte sowie die Diskussionen etwa um Biometrie und sogenannte Künstliche Intelligenz legen nahe, dass die nächste Legislatur zu einem Abwehrkampf für all jene wird, die Grundrechte verteidigen.

„Bei den aktuellen Wahlvorhersagen gehen wir davon aus, dass in einer künftigen Regierung kaum mehr Interesse an Inhalten und Beiträgen einer zukunftsgewandten und progressiven Zivilgesellschaft bestehen wird“, schreibt der Chaos Computer Club (CCC) auf unsere Frage, wie er sich auf die Arbeit der kommenden Jahre vorbereitet.

Vorbereitung auf den Abwehrkampf

Die Hacker:innen-Vereinigung blickt pessimistisch auf die bundespolitische Lage: „Wir gehen von erheblichen Eingriffen in die Kommunikationssicherheit und -freiheit aus.“ Deshalb plant der Verein, verstärkt „Kenntnisse über technische Abwehrmöglichkeiten zu verbreiten“. Bei der technischen Ebene bleibt es aber nicht. „Wir positionieren uns entgegen den aktuellen Trends und ganz im Sinne unserer Unvereinbarkeitserklärung nicht rechtsoffen“, so der CCC.

Aktiv gegen „repressive und reaktionäre Politik“ ankämpfen und dafür Möglichkeiten schaffen will auch der Verein Digitale Gesellschaft. Die Bürgerrechtler:innen betonen, dass dazu „Gruppen und Organisationen im Bereich der Netzpolitik, aber auch weit darüber hinaus“ zusammenarbeiten müssen: „Denn gesellschaftliche Relevanz werden wir nur behalten, wenn wir Koalitionen jenseits unserer jeweiligen Zusammenhänge schmieden und gemeinsam den zu erwartenden Zumutungen entgegentreten.“

Gemeinsam füreinander

Für die NGO Superrr Lab haben die Allianzen noch einen weiteren Effekt: „Ohne gelebte Solidarität kommen wir nicht über die nächsten Jahre“, schreibt das Team, das sich für gerechtere digitale Zukünfte einsetzt. Viele stünden schon jetzt unter Druck, etwa weil sie sich für die Rechte von queeren Menschen oder gegen Rassismus starkmachen. Daher ist für Superrr Lab wichtig: „Füreinander einstehen, Ressourcen verteilen und auf das setzen, was uns eint.“

Auch Henriette Litta von der Open Knowledge Foundation Deutschland (OKF) weist darauf hin, wie wichtig „starke zivilgesellschaftliche Allianzen“ sind. Neben der Arbeit mit berufspolitischen Akteur:innen stellt sich die OKF darauf ein, in Zukunft „wieder mehr klassische NGO-Arbeit“ zu machen. Dazu zählt Litta öffentliche Kampagnen, Medienarbeit, Informationsfreiheitsanfragen sowie Recherchen, „um auf Missstände und falsche Entwicklungen medienwirksam hinzuweisen und diese zu kritisieren“.

Was wäre wichtig?

Doch natürlich gibt es nicht nur Dinge, die Organisationen aus der digitalen Zivilgesellschaft verhindern wollen. Sie alle haben Ideen, was für eine lebenswerte digitale Welt getan werden müsste. Das Bündnis Bits und Bäume etwa erhebt sieben Kernforderungen rund um eine gerechte Digitalisierung zum Nutzen der gesamten Gesellschaft.

Gleich mehrere Organisationen wie OKF und AlgorithmWatch betonen, dass die EU-Staaten zusammenarbeiten müssen. Bei der Entwicklung von technischen Angeboten, aber auch bei der Durchsetzung bestehender Regeln etwa für Plattformen. „Wer, wenn nicht die EU-Länder, können Konzepte und auch technische Angebote entwickeln, die für demokratische Gegenkonzepte zu der bedrohlichen Trias aus mächtigen Einzelpersonen, Massenüberwachung und ‚Profit first, planet second‘ stehen?“, fragt AlgorithmWatch.

Auch der Digitalverein D64 vermutet, dass die nächste Regierung stärker als zuvor „für europäische Autonomie einstehen“ muss. Dazu gehört für die Organisation „auch ein neuer Schwerpunkt auf Offenheit und Dezentralisierung – von Infrastruktur bis hin zu digitalen öffentliche Räumen, für deren Förderung es eine umfassende Strategie und finanzielle Förderung braucht“.

Für Wikimedia Deutschland ist Bildung eines der wichtigsten anstehenden Themen im Digitalbereich. Indem Bildungseinrichtungen abhängig von proprietärer Software seien, gebe es nicht nur Abhängigkeiten. Es trage auch dazu bei, „dass die kritische Auseinandersetzung mit und das Lernen über digitale Technologien hinterherhinkt“. Digitale Bildungsinfrastrukturen sollten deshalb „mit besonderem Schwerpunkt auf quelloffener Software auf- und ausgebaut werden“. Dafür braucht es natürlich die entsprechende Ausbildung und ausreichende zeitliche Kapazitäten für Lehrkräfte.

Politik für echte IT-Sicherheit

Zwei Themen, die Superrr für wichtig hält: Betroffene von digitaler Gewalt schützen und Hackerparagrafen abschaffen, um IT-Sicherheitsforschenden Rechtssicherheit zu geben. Letzteres ist auch für den CCC eine Priorität, verbunden damit, dass der Staat „Datenschutz und IT-Sicherheit als selbstverständliche Aspekte bei allen digitalen Vorhaben priorisiert mitdenken“ sollte. Das heißt für den Verein auch, dass er Privatsphäre und Anonymität im Internet sichern sollte und dies „durch aktives Handeln unterstützt und nicht unterminiert“.

Eine konsequentere IT-Sicherheitspolitik fordert auch die Digitale Gesellschaft. „Nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene stehen massive Angriffe auf die Sicherheit von IT-Systemen und die Vertraulichkeit von Kommunikation bevor“, schreiben die Bürgerrechtler:innen unter anderem mit Blick auf die Chatkontrolle oder Vorratsdatenspeicherung. „Es wird sehr schwer werden, grundlegende Errungenschaften wie Grundrechte, Datenschutz und Privatsphäre gegen die Ideologie einer inneren Sicherheit um jeden Preis zu verteidigen.“

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