Digital Markets ActWie die EU ihre neuen Regeln durchsetzt

Jan Penfrat beobachtet für die digitale Zivilgesellschaft die jüngste Auseinandersetzung zwischen EU und großen Digitalplattformen. Diesmal geht es um den Digital Markets Act, den die Unternehmen in den letzten Monaten umsetzen sollten. Die Kommission will einigen dabei ganz genau auf die Finger schauen. Das findet Penfrat richtig.

Ein Mann mit kurzen Haaren in einem grauen T-Shirt schaut zur Seite.
Jan Penfrat beobachtet die EU seit Jahren. CC-BY-SA 4.0 Edri

Jan Penfrat arbeitet bei European Digital Rights (EDRi), dem Dachverband europäischer Digitalrechtsorganisationen. Er beobachtet in Brüssel die Netzpolitik der Europäischen Union. Dazu gehörten in den letzten Jahren verschiedene Versuche, die Macht großer Tech-Unternehmen zurückzudrängen, etwa durch neue Regeln für den Datenschutz, für die Moderation von Inhalten oder, wie in diesem Fall, für digitale Märkte.

netzpolitik.org: Was ist der Digital Markets Act?

Jan Penfrat: Der Digital Markets Act (DMA) ist ein Gesetz mit dem Ziel, den Wettbewerb auf digitalen Märkten zu verbessern und die Macht, die sich die dominanten Konzerne erarbeitet haben, zu verringern. Das versucht das Gesetz mit einer Reihe an Verboten und Geboten, die nur für diese dominanten Konzerne, die sogenannten Torwächter, gelten.

Das sind Unternehmen, die sich zwischen Nutzer:innen und geschäftlichen Nutzer:innen platzieren. Amazon sitzt zum Beispiel als Plattform zwischen Verkäufern auf der einen und Käuferinnen auf der anderen Seite. Ein anderes Beispiel ist Apple. Die sitzen mit ihrem App Store zwischen den Entwicklern von iPhone-Apps auf der einen Seite und Nutzerinnen und Nutzern von iPhones auf der anderen. Und es gibt keinen anderen Weg für die Entwicker:innen, an die Nutzer:innen heranzukommen, als durch den Apple App Store. Deswegen der Name Torwächter.

netzpolitik.org: Warum ist das für mich relevant, auch wenn ich keine Apps entwickele und im App Store verkaufen will?

Jan Penfrat: Die traditionelle Antwort wäre: Wenn es ein Monopol gibt, wie beim App Store, dann hat das natürlich Auswirkungen auf die Preise. Denn Apple kann quasi unilateral entscheiden, was Entwickler:innen bezahlen müssen, um Apps im App Store vertreiben zu können. Das treibt die Preise im Zweifel nach oben.

Aber es gibt noch ein weiteres Argument, was vielleicht noch wichtiger ist als die reine Preisfrage, und das ist die Frage der Kontrolle. Wer entscheidet, welche Software bei uns auf unseren Geräten laufen darf? Solange das ein großes Unternehmen in den USA entscheidet, fehlt Nutzer:innen die Kontrolle, was sie mit ihrem Gerät machen dürfen. Dann gehört einem das iPhone nie wirklich, sondern ein Stück weiterhin auch Apple, egal, wie viel Geld man dafür auf den Tisch gelegt hat.

Das ist frustrierend und in manchen Fällen sogar gefährlich. Zum Beispiel hat Apple ohne Probleme zugesagt, als die chinesische Regierung sie gebeten hat, alle VPN-Apps aus dem App Store zu entfernen.

netzpolitik.org: Das könnte man zum Beispiel mit Regeln bekämpfen, laut denen Apple andere App Stores auf seinen Geräten erlauben muss, wo man sich diese Apps dann herunterladen kann, auch wenn Apple das nicht will. So eine Regel sieht der DMA ja auch vor.

Jan Penfrat: Genau, denn dann hätten die Menschen die Freiheit, sich genau die Programme auf ihren Geräten zu installieren, die sie gern wollen und nicht die, die Apple vorher freigegeben hat.

Auch eine Frage von Freiheit

netzpolitik.org: Soweit zum Ziel des DMA. Der Text des Gesetzes steht schon eine Weile, aber seitdem gab es ja eine längere Zeit der Umsetzung bis Anfang dieses Monats. EDRi hat das begleitet. Wie war es, diesem Prozess zuzuschauen?

Jan Penfrat: Das war sehr anstrengend, aber es war auch sehr faszinierend zu sehen, wie die Europäische Union hier einen ganz neuen Weg geht, um die Macht von dominanten Markt-Playern zu verringern. Traditionellerweise würde man sowas mit dem Wettbewerbsrecht machen. Das greift immer dann, wenn irgendwo ein negativer Effekt für Konsumentinnen oder andere Marktteilnehmer nachgewiesen werden kann. Diese negativen Effekte sind sehr schwer nachzuweisen. Das dauert viele Jahre. Bis das gemacht wurde, ist der Markt häufig schon weiter und die Konkurrenz schon tot.

Insofern ist der DMA hier ein ganz neues Ding, weil die Verbote und Gebote für die Torwächter von Anfang an gelten. Und das ist faszinierend zu sehen. Ob das in der Praxis gut funktioniert, wird sehr stark davon abhängen, wie konsequent die Kommission das Gesetz auch durchsetzt.

netzpolitik.org: Dann lass uns über den großen Schritt reden, den die Kommission in diese Richtung getan hat: Sie hat angekündigt, dass sie untersucht, ob Apple, Google und Facebook die Regeln des DMA richtig umgesetzt haben. Was hält EDRi von dieser Ankündigung?

Jan Penfrat: Wir finden das sehr gut. Das ist genau die Art von Aktionen, die wir uns erhofft haben. Und das ist für uns ein Indiz dafür, dass die zuständigen Personen in der Kommission das sehr ernst nehmen und sich bewusst sind, dass, wenn sie den Torwächtern in dieser ersten Phase etwas durchgehen lassen, das der Kommission später auf die Füße fallen wird, weil sie damit ihre Glaubwürdigkeit untergräbt.

Jetzt muss man natürlich schauen, wohin diese Untersuchung führt. Die Kommission hat jetzt zwölf Monate Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Das ist verständlich, das sind komplexe Untersuchungen. Sie hat jetzt auch das Recht, in die Unternehmen reinzugehen, Mitarbeiter:innen zu befragen. Und wir hoffen natürlich, dass die Kommission, so wie wir als Zivilgesellschaft auch, zu dem Schluss kommt, dass es hier bei einigen Torwächtern erhebliche Umsetzungsmängel gibt.

Kommission handelt schnell

netzpolitik.org: Die Ankündigung kam auch überraschend, weil die Kommission noch mit einer Reihe an Workshops beschäftigt war. Bei denen wollte sie eigentlich nochmal mit den Torwächtern durchsprechen, wie sie die DMA-Regeln umgesetzt haben. Du warst bei diesen Workshops dabei, wie war das?

Jan Penfrat: Das war sehr spannend, weil man sich in der Öffentlichkeit mit den Anwält:innen und Lobbyist:innen der Torwächter austauschen konnte. Denn die Workshops waren live gestreamt und werden später vermutlich als Videos online stehen. Für die Kommission waren die Workshops wahrscheinlich weniger eine Möglichkeit, neue Informationen zu sammeln, sondern Transparenz herzustellen.

Die Kommission hatte durch die Umsetzungsberichte natürlich schon Zeit, sich vorzubereiten. Ich glaube, aus den Berichten geht schon hervor, welche Unternehmen sich Mühe gemacht haben und welche weniger. Viele von den Berichten haben Hunderte an Seiten, Apple hat zwölf Seiten eingereicht. Das spricht schon dafür, mit welcher – ich möchte fast schon sagen – Arroganz große Unternehmen zum Teil an diese Sache rangegangen sind. Es lässt sich aus den Berichten aus unserer Sicht sehr leicht ableiten, in welchen Punkten die Unternehmen versuchen zu schummeln.

netzpolitik.org: Zum Beispiel?

Jan Penfrat: Ein Beispiel ist Apple und die App Stores von Dritten, die zugelassen werden sollen. Apple interpretiert das aber so, dass, egal wo die Apps herkommen, Apple immer maximale Kontrolle über diese Installationen erhält und dass Apple weiterhin daran Geld verdient. Und das ist natürlich diametral inkompatibel mit dem Geist des DMA, und Kommissarin Vestager hat sich auch schon kritisch dazu geäußert.

Ein anderes Beispiel: Meta ist jetzt verpflichtet, Messenger unabhängig von Facebook anzubieten. Es gibt also ein neues Pop-Up, wo man auswählen kann, ob man die beiden Accounts verknüpft lassen möchte. Und das hat Meta so designed, dass das Trennen so klingt, als würde man alle seine Daten verlieren – obwohl das nicht stimmt. Das sind alles kleine Design-Elemente, die dazu dienen, dass Menschen unsicher werden und im Zweifelsfall lieber die Option wählen, die in Metas Interesse liegt.

Da hoffen wir auch sehr, dass die Kommission clever genug ist, das zu durchschauen und dem einen Riegel vorzuschieben. Damit steht und fällt alles. Und das macht es auch so tricky, denn am Schluss wird das daraus hinauslaufen, dass sich Kommissionsbeamte mit Facebook-Lobbyist:innen in einen Raum setzen müssen und gemeinsam die Formulierung für dieses Pop-Up finden müssen, die als legal gelten kann.

Entscheidend sind Details

netzpolitik.org: Wie war denn die Stimmung bei den Workshops der Kommission? Standen die Mitbewerber:innen der Torwächter da mit Fackeln und Heugabeln rum?

Jan Penfrat: Das ist nur einmal passiert, im übertragenen Sinn, und zwar, als es um die Selbstbevorzugung von Google ging. Da sind dann die Mitbewerber:innen aus der Hotellerie und von Preisvergleichsportalen und so aufgestanden, waren ziemlich verärgert und haben sehr kräftige Worte gewählt. Einer hat Google mit einem Diktator verglichen, der versucht, mit Gewalt die Freiheit der Menschen einzuschränken. Ansonsten ist das alles sehr zivilisiert zugegangen.

netzpolitik.org: Was war dein Eindruck von den Torwächtern?

Jan Penfrat: Mein Eindruck ist: Sie machen grundsätzlich so wenig wie möglich. Wo ich viel Aktivität gesehen hab, war dort, wo die Torwächter eine Möglichkeit gesehen haben, sich selbst als besonders cool zu präsentieren. Ein Beispiel: Wenn man den Workshop von Google mit dem von Apple vergleicht, dann hat Google Android als besonders offen dargestellt. Bei uns kann man Apps installieren, kostenlos, aus allen Quellen, die man will, ist alles schon Open Source.

Das sind die Momente, da wollen sie gern was machen, zu allem anderen muss man sie, glaube ich, eher hintragen. Und das ist natürlich auch Aufgabe der Kommission, das zu machen. Ich hoffe sehr, dass die Kommission zusätzliche Ressourcen für den DMA durchgesetzt bekommt, noch mehr Leute anstellen kann. Denn selbst für die Kommission als große Behörde ist die Heerschaar an Anwaltskanzleien, die die Torwächter anstellen können, eine Bedrohung.

netzpolitik.org: Die Kommission braucht also mehr Ressourcen für die Durchsetzung?

Jan Penfrat: Absolut.

netzpolitik.org: Wer muss denn da zustimmen? Die Mitgliedstaaten?

Jan Penfrat: Das ist in erster Linie eine Budgetfrage. Also die Mitgliedstaaten und das Parlament müssen zustimmen, absolut.

Für die Kommission wird das ein echter Testfall sein, wie gut sie das durchsetzen können. Wir bei EDRi sehen uns jetzt erstmal als Unterstützer der Kommission in dieser Aufgabe, weil wir wollen, dass diese Gesetze erfolgreich durchgesetzt werden. Aber wir sind natürlich auch ein Watchdog und werden der Kommission auf die Finger schauen, wenn wir den Eindruck bekommen, dass sie ihrer Rolle nicht gerecht wird.

Zurzeit bin ich eher beeindruckt von dem, was die Kommission vorgelegt hat, mit den beschränkten Ressourcen, die sie haben. Das hätte ich nicht gedacht, dass sie beim DMA mit so einer Geschwindigkeit aufschlägt. Insofern, Hut ab – jetzt muss man schauen, ob es auch zu etwas führt.

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