Krisen und Konflikte prägen aktuell die öffentlichen Debatten. Welche Auswirkungen hat dies für die politische Beteiligung hierzulande? Dieser Frage geht eine Forschungsgruppe des Weizenbaum-Instituts in Berlin nach. Zum fünften Mal untersucht sie, wie sich im Laufe des zurückliegenden Jahres die politischen Partizipationsformen verändert haben.
Die jährlich veröffentlichte Studie erhebt das soziale Engagement der Deutschen – sowohl offline als auch im Internet. Weiterhin sammeln die Forschenden Informationen darüber, wie sich Mediennutzung und der Umgang mit Fake News verändern. Der aktuelle Bericht evaluiert zudem die Haltung der Bürger:innen gegenüber sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) und den sozialen Medien.
Insgesamt zeigt sich die politische Partizipation in Deutschland zwischen den Jahren 2022 und 2023 leicht rückläufig. Aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse könnten dabei eine Rolle spielen, sagen die Autor:innen der Studie. Eine kurzfristige Abnahme einzelner Beteiligungsformen bedeute nicht zwangsläufig, dass sich Bürger:innen generell aus politischen Angelegenheiten zurückzögen.
Schwankungen bei klassischen Beteiligungsformen
Insbesondere herkömmliche Formen politischer Beteiligung nahmen in den vergangenen fünf Jahren ab. Allerdings sei unklar, ob dies auf eine generelle Entfremdung der Bevölkerung von politischen Repräsentant:innen zurückzuführen ist oder sich das Engagement in andere Bereiche verschiebe. Eine mögliche Erklärung sehen die Wissenschaftler:innen in der Digitalisierung, wodurch sich immer mehr Partizipationsformen ins Internet verlagern. Es sei denkbar, dass Bürger:innen davon ausgehen, dass sie die Politik über soziale Medien besser beeinflussen können als über klassischen Formen der Partizipation.
So unterschreiben Menschen etwa immer seltener Petitionen in der Fußgängerzone. Auch sei es weniger beliebt, andere Menschen politisch zu mobilisieren oder den direkten Kontakt zu Politiker:innen zu suchen. Auch auf Demonstrationen zu gehen oder Spenden zu geben, ist unbeliebter denn je. In den Jahren 2022 und 2021 befand sich die Spendenbereitschaft mit 62 bzw. 64 Prozent noch auf einem Hoch. Dieser Wert fiel im vergangenen Jahr auf 54 Prozent. Eine mögliche Erklärung könnte laut den Forschenden die wirtschaftliche Rezession sein.
Zuwachs gab es 2023 bei Parteimitgliedschaften. Außerdem ist die Bereitschaft, in einer sozialen Organisation mitzuarbeiten, seit Beginn der Studienerhebungen erstmals wieder angestiegen. Den Anstieg um zwei Prozentpunkte interpretieren die Wissenschaftler:innen als postitiv, allerdings statistisch nicht sigifikant. Es ließe sich nicht davon sprechen, dass das ehrenamtliche Engagement sich seit dem Rückgang während der Pandemie wieder erholt habe, teilen die Weizenbaum-Autoren Christian Strippel und Martin Emmer auf Anfrage mit.
Einsatz gegen Hassrede und Falschinformationen
Der Bericht setzt sich auch damit auseinander, wie Menschen mit Falschnachrichten und Hasskommentaren im Internet umgehen. Die Wahrnehmung von sogenannter Hassrede bewegt sich seit einigen Jahren stabil auf hohem Niveau. Rund 40 Prozent der Befragten kamen im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben mit Fehlinformationen in Kontakt. Da es sich um eine Selbsteinschätzung handelt, kann die Studie keine Aussagen darüber treffen, wie viele Fake News unerkannt bleiben oder missinterpretiert werden.
Counterspeech ist nach wie vor eine verbreitete Taktik, um Hass und Falschnachrichten entgegenzuwirken. Allerdings ist hier die Aktivität im vergangenen Jahr leicht rückläufig. Während der Corona-Pandemie haben noch 41 Prozent derer, die Hasskommentare gesehen haben, mit einer Aufforderung zu Respekt reagiert. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 32 Prozent. Auch bei Falschnachrichten sinkt die Bereitschaft, andere zu warnen: 2021 taten dies 64 Prozent, 2023 waren es nur noch 53 Prozent.
Die Forschenden heben hervor, dass es je nach Altersklasse große Unterschiede gibt, wie Menschen im Netz Hass und Fake News wahrnehmen und sich dagegen einsetzen. 77 Prozent der unter 35-Jährigen gaben an, innerhalb des vergangenen Jahres auf Hass gestoßen zu sein. Bei Menschen über 64 Jahren waren es nur 21 Prozent. Jüngere sind auch aktiver, wenn es darum geht, Nachrichten zu überprüfen und problematische Inhalte zu melden. Die Autor:innen begründen dies mit besseren technischen Kenntnissen jüngerer Menschen. Bei der Einforderung von Respekt sind ältere Menschen indes ebenso engagiert wie jüngere Generationen.
Digitale Kluft bei der Mediennutzung
Daran schließt ein weiterer zentraler Befund der Studie an, wonach es eine erkennbare „digitale Kluft“ bei der Mediennutzung gibt. Vor allem Männer mit höherem Bildungsgrad – konkret 78 Prozent von ihnen – nutzen das Internet, um sich über das politische Tagesgeschehen zu informieren. Bei Menschen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss sind es 51 Prozent.
Nur 59 Prozent der Frauen nutzen das Netz zu diesem Zweck – insgesamt viel seltener als Männer. Aus Sicht der Studien-Autor:innen ein ernüchterndes Ergebnis. Das Internet schuf einst große Hoffnungen, allen Menschen politische Informationen niedrigschwellig zugänglich zu machen und so die Kluft zwischen mehr und weniger informierten Bürger:innen zu schließen.
Grundsätzlich entwickele sich die politische Mediennutzung hierzulande aber zum Digitalen hin: Radio und Zeitungen verlieren an Bedeutung. Die Zahl der Internetnutzenden sei in den vergangenen Jahren zwar angestiegen, gegenwärtig stagniere die Zahl allerdings. Knapp zwei Drittel der Menschen gaben 2022 und 2023 an, das Netz mehrmals pro Woche zu nutzen, um sich politisch zu informieren. An erster Stelle steht hier aber nach wie vor – ebenfalls auf gleichbleibenden Niveau – das Fernsehen: Nutzten im Jahr 2021 noch 76 Prozent der Deutschen das Fernsehen als Informationsquelle, sank dieser Wert in den vergangenen zwei Jahren um zwei Prozentpunkte.
Einstellungen zu Künstlicher Intelligenz
Der aktuelle Weizenbaum Report erörtert außerdem, wie es um die Einstellung der Bürger:innen gegenüber digitalen Innovationen steht. Während das Internet als Ganzes überwiegend positiv gesehen wird, zeigen sich die Menschen uneins, wie sie soziale Medien und KI bewerten. 27 Prozent sehen Social Media eher negativ, 32 Prozent tun dies bei KI. Die mediale Aufmerksamkeit rund um ChatGPT und bildgenerierende Systeme Künstlicher Intelligenz hat diese Technologie offenbar nicht in ein besseres Licht rücken lassen – im Jahr 2022 sah nur ein Viertel der Befragten diese Technologie kritisch.
Auch hier weist die Studie jedoch große Unterschiede zwischen den Altersgruppen nach: Die über 64-Jährigen sind im vergangenen Jahr weniger begeistert von KI als noch 2022. Fast die Hälfte der unter 35-Jährigen sieht (46 Prozent) sieht KI jedoch positiv; im Vorjahr waren es noch 31 Prozent der Befragten.
Erstmals wurde in der Befragung auch die persönliche Nutzung von Künstlicher Intelligenz berücksichtigt. Dabei gab mit 75 Prozent ein Großteil der Deutschen an, die Technik in der Freizeit bereits genutzt zu haben. Im Arbeitsleben haben lediglich 23 Prozent schon einmal KI-Systeme eingesetzt. Am wenigsten Anwendung findet die Technologie bisher im Bildungskontext – nur 17 Prozent der Befragten verwenden sie dort.
In Panel-Befragungen werden Menschen wiederholt interviewt
Die Ergebnisse des diesjährigen Reports stellt das Weizenbaum-Institut heute um 18 Uhr in einer digitalen Veranstaltung vor. Sprecher:innen sind Felicitas Strickmann, Jonas Fegert, Aimo Görne und Christian Strippel. Im Fokus der Veranstaltung stehen die Herausforderungen der Digitalisierung für junge Menschen.
Die jährliche Untersuchung des Weizenbaum-Instituts und der Freien Universität Berlin beruht auf einer Telefonbefragung. Im Herbst 2023 wurden 2.170 Personen in durchschnittlich 30-minütigen Interviews befragt, wobei 47 Prozent bereits im Vorjahr teilgenommen hatten. Dadurch, dass viele Personen wiederholt befragt werden, lässt sich ein genaueres Bild vom Zeitverlauf des Engagements zeichnen, so die Autor:innen.
Zitat:
In der Politikwissenschaft hat der Forschungszweig Partizipationsforschung die politische Beteiligung (Partizipation) zum Gegenstand. Unter politische Partizipation fallen jene Verhaltensweisen von Bürger/innen, die als Gruppe oder allein freiwillig Einfluss auf politische Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems (Kommune, Land, Bund und Europa) ausüben wollen. Man unterscheidet konventionelle (verfasste, gesetzlich garantierte und geregelte) von unkonventionellen (nichtverfassten) Formen der politischen Partizipation. Durch eine inzwischen jahrzehntealte Partizipationsforschung wurden Kriterien entwickelt, die unterschiedliche Beteiligungsformen ausweisen.
Niedermayer unterteilt die Gesamtheit partizipativer Aktivitäten der Bürger in folgende sechs Formen:
a) Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen;
b) parteibezogene Aktivitäten;
c) auf Gemeinde, Wahlkampf und Politiker bezogene Aktivitäten;
d) legaler Protest;
e) ziviler Protest;
f) politische Gewalt.
Quelle: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/202091/politische-partizipation/
Zitat: >> Erstmals wurde in der Befragung auch die persönliche Nutzung von Künstlicher Intelligenz berücksichtigt. Dabei gab ein Großteil der |Deutschen| >>der Befragten<>der Befragten<< schon einmal KI-Systeme eingesetzt. In der Freizeit findet die Technologie bisher wenig Anwendung – nur 20 Prozent der Befragten verwenden sie im Privaten.
Im Herbst 2023 wurden 2.170 Personen in durchschnittlich 30-minütigen Interviews befragt, wobei 47 Prozent bereits im Vorjahr teilgenommen hatten.
Ein verkleinertes Abbild von 2.700 Personen bei einer angebbaren Grundgesamtheit von ~83 Mill.
Repräsentativität im Sinne der sozialwissenschaftlichen Umfrageforschung bedeutet, dass eine
Stichprobe „ein verkleinertes Abbild einer angebbaren Grundgesamtheit“ ist. Repräsentativität ist also dann gegeben, wenn man aus einer Stichprobe korrekte Schlüsse auf die Grundgesamtheit ziehen kann.
Sie bezeichnet das Verhältnis von Stichprobe zur Grundgesamtheit für eine Datenerhebung.
Um aus einer Stichprobe Informationen zu ermitteln, die entsprechende Merkmale in der Grund-
gesamtheit richtig wiedergeben, sind drei Schritte entscheidend:
1. das Auswahlverfahren, wie also die Stichprobe aus der Grundgesamtheit gezogen wird.
2. die Realisierung der Auswahl, in welchem Maße also die geplante Auswahl tatsächlich
erfolgreich umgesetzt wird.
3. die Erhebung von Informationen in der realisierten Auswahl, ob also die eigentliche Daten-
erhebung die Informationen richtig sammelt.