MonopolmachtWarum Google jetzt zerschlagen werden sollte

Nach einem historischen Urteil im August beginnt heute in den USA ein weiteres Monopolverfahren gegen Google. In einem Gastbeitrag erklärt der Monopolexperte Ulrich Müller, was auf Google zukommen könnte – und warum auch Europa mehr Entflechtung wagen sollte.

Eine grauer Untergrund, auf dem zahlreiche Papierschnipsel in den Farben des Google-Logos verteilt sind: Blau, gelb, rot und grün
Wie sähe das eigentlich aus, wenn man Google zerschlägt? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Reza Rostampisheh

Heute startet in den USA ein großer Prozess zu Googles Machtmissbrauch in der Online-Werbung. Der Vorwurf: Google soll sich durch seine monopolartige Stellung unfaire Vorteile gegenüber Wettbewerbern verschafft und Geschäftspartner benachteiligt haben. Bereits im August hatte ein US-Gericht entschieden, dass Googles Monopolstrategie bei der Internetsuche illegal ist. Damit rückt eine Möglichkeit näher, auf die viele lange gewartet haben: die Entflechtung des derzeit viertwertvollsten Konzerns der Welt.

Dass Google Teile seines Geschäfts verkaufen muss, ist angesichts der umfassenden Monopolstellung und des andauernden Missbrauchs durch das Unternehmen die richtige Lösung. Strafzahlungen und Verhaltensauflagen haben sich als nur wenig effektiv erwiesen.

Google ist ein Monopolist und hat seine unternehmerische Machtfülle gezielt aufgebaut. Dass das illegal ist, steht seit dem bahnbrechenden Urteil Anfang August 2024 fest. Es war ein historischer Sieg für das US-Justizministerium und die amerikanische Antitrust-Bewegung. Lange Jahre wurde das US-Kartellrecht nicht ausreichend angewendet. Inzwischen hat sich der Wind gedreht. Die US-Behörden gehen verstärkt gegen Machtkonzentration und Monopolisierung vor, sie liefern neue Erkenntnisse über die Monopolstrategien der großen Tech-Konzerne und sie streben vermehrt sogenannte strukturelle Maßnahmen an. Das könnte perspektivisch auch andere US-Tech-Konzerne treffen.

Was sind Entflechtungen?

Im Wettbewerbsrecht werden zwei Arten von Abhilfemaßnahmen gegen Marktmacht und Machtmissbrauch unterschieden: zum einen Verhaltensauflagen, also kleinteilige Vorgaben, die Unternehmen erfüllen müssen; zum anderen das große Besteck: strukturelle Maßnahmen, etwa die Abspaltung von Firmenteilen.

Für solche Aufspaltungen – im Fachjargon „Entflechtung“ – gibt es historische Vorbilder. So wurde Rockefellers Ölkonzern Standard Oil im Jahr 1911 aufgespalten, 1982 der Telekommunikationskonzern AT&T. Empirische Analysen zeigen, dass die Aufspaltung von AT&T die Innovation in der Telekommunikationsbranche gefördert hat. Allerdings gewann in den 1980er Jahren die neoliberale Chicago School in der Wettbewerbspolitik an Einfluss. Sie argumentierte, dass Marktkonzentration vertretbar sei, solange größere Unternehmen effizienter sind. Strukturelle Maßnahmen wurden daher seltener.

Dabei haben strukturelle Eingriffe zwei große Vorteile gegenüber Verhaltensauflagen. Sie gehen zum einen die Machtkonzentration an der Wurzel an und sie erfordern zum anderen im Nachgang weniger laufende Kontrolle.

Gerade bei den großen Tech-Konzernen sind Entflechtungen ein sinnvolles Instrument, um die Macht und Selbstbevorzugung durch vernetzte Plattformen aufzubrechen. Google ist dafür ein Paradebeispiel. Das US-Urteil und zahlreiche Verfahren von Wettbewerbsbehörden weltweit zeichnen ein klares Bild von Googles Monopolisierungsstrategie und den Auswirkungen.

Wie Google zum Monopolisten wurde

Im Zentrum von Googles Geschäftsmodell und Strategie steht die eigene Suchmaschine. Hier hat Google ein klares Monopol mit Marktanteilen von rund 90 Prozent. Daneben betreibt Google mit YouTube und Google Maps weitere Dienste, die für Online-Werbung zentral sind. Werbe-Erlöse sind die wichtigste Einnahmequelle für Google: Im vergangenen Jahr verzeichnete der Konzern einen Umsatz von insgesamt knapp 306 Milliarden US-Dollar. 238 Milliarden Dollar erzielte es mit Werbung, also knapp 78 Prozent. Googles liefert fast den gesamten Umsatz des Mutterkonzerns Alphabet (307 Milliarden), zu dem unter anderem die Life Sciences Firma Calico und Waymo für autonomes Fahren gehört.

Rund um sein Suchmaschinen-Monopol hat Google ein ganzes Imperium aufgebaut. Auf der einen Seite kontrolliert Google den sogenannten Adtech-Sektor, also jene Infrastrukturen, über die Online-Werbung gehandelt und abgewickelt wird. Auf der anderen Seite, nämlich die der Nutzer*innen, kontrolliert Google wesentliche Zugangskanäle wie das Android-Betriebssystem und den Chrome-Browser.

Dieses Bollwerk hat Google mit Hilfe zahlreicher Firmenübernahmen aufgebaut. So hat es mehrere Adtech-Firmen wie etwa DoubleClick gekauft. Auch Android, YouTube und Google Maps stammen aus Übernahmen oder wurden durch diese verstärkt.

Der Konzern hat außerdem über Lizenzmodelle für Android sowie Kooperationsverträge dafür gesorgt, dass Google-Dienste flächendeckend auf Smartphones voreingestellt sind. So erhält Apple jährlich Milliarden Dollar von Google, damit dessen Suchmaschine standardmäßig auf iPhones voreingestellt ist. Laut dem US-Gerichtsverfahren hat Google allein im Jahr 2021 rund 26,3 Milliarden Dollar als „traffic acquisition costs“ ausgegeben, also für Verträge, die sicherstellen, dass Datenverkehr auf Google Dienste gelenkt werden. Das war viermal mehr als die sonstigen Ausgaben für die Google-Suche. Der Großteil der Kosten der Google-Suche dient also dazu, anderen Anbietern das Wasser abzugraben.

Wie häufig bei digitalen Diensten gibt es bei der Internet-Suche sogenannte Netzwerk- und Skaleneffekte: Je mehr Suchanfragen es gibt, desto besser lassen sich die Such-Algorithmen optimieren, was wiederum zu mehr Nutzer*innen führt. Häufig wird von vermeintlichen Winner-takes-all-Märkten gesprochen. Aber die Netzwerkeffekte sind nicht unbegrenzt. Tatsächlich sichert erst das Zusammenspiel von Googles wettbewerbswidriger Unternehmensstrategie und Netzwerkeffekten die Monopolstellung des Unternehmens.

Unter Googles Monopolstellung leidet nicht nur die Werbebranche

Das US-Urteil vom August stellt fest, dass Google dank seiner Monopolmacht überhöhte Preise für die Textanzeigen auf Google Search durchsetzen kann. Die Werbetreibenden müssen entweder mehr Geld für Werbung ausgeben und sich die Kosten von den Verbraucher*innen zurückholen. Oder sie reduzieren ihre Werbe-Ausgaben auf anderen Online-Kanälen, was insbesondere die Medien schädigt. Die Medien werden zudem direkt durch Googles Adtech-Dominanz benachteiligt, die Google verschiedene Tricks erlaubt, um seine Erlöse auf Kosten der Verleger zu steigern.

Diese unfaire Verteilung der Wertschöpfung ist nicht nur ein finanzielles Problem. Sie schädigt die öffentliche Debatte, indem sie den Personalabbau bei Medien verstärkt und den Trend zu einem klick-orientierten Journalismus fördert. Für die Demokratie ist das ein großes Problem.

Neue Anbieter mit alternativen Geschäftsmodellen wie die datenschutzfreundliche Suchmaschine Neeva können sich nicht durchsetzen. Google hingegen kann durch seine Monopolgewinne weiter expandieren, etwa in den KI-Sektor. Damit steigt auch die politische Macht des Unternehmens. Google gehört heute zu den größten Lobby-Akteuren in der EU und den USA und kann seine Investitionen politisch nutzen. Gemeinsam mit anderen Tech-Unternehmen versucht der Konzern etwa, unliebsame Datenschutzgesetze in den USA zu verhindern.

Googles Kontrolle über verschiedene Sphären aufbrechen

Googles Machtstellung ist ein bislang ungelöstes gesellschaftliches Problem. Inzwischen gibt es weltweit mehr als einhundert Wettbewerbsverfahren gegen Google bzw. Alphabet. Und auch die EU-Kommission hat Rekordstrafen verhängt. Aber diese Strafen bewirken angesichts der gewaltigen Monopolgewinne von Google nur wenig.

Deshalb wächst die Erkenntnis, dass es ohne strukturelle Maßnahmen nicht gehen wird. Dabei soll Google nicht in kleinere Suchmaschinen aufgespalten werden. Es geht vielmehr darum, die Kontrolle von Google über verschiedene Sphären und Zugangspunkte aufzubrechen, um die Monopolisierung und Selbstbevorzugung zu stoppen.

Dabei stehen zwei Bereiche besonders im Fokus, die Vermittlung von Online-Werbung (Adtech) und die Kontrolle über Zugangswege ins (mobile) Internet, insbesondere Android und der Browser Google Chrome.

Wettbewerbsbehörden wollen Abspaltung des Werbegeschäfts

Am klarsten ist der Fall bei Adtech. Dazu muss man sich klar machen, was bei Online-Werbung auf Webseiten und Suchmaschinen passiert. Beim Aufrufen einer Webseite laufen im Hintergrund in Sekundenbruchteilen Auktionen ab, welche Anzeigen auf den Werbeflächen dieser Seite zu sehen sein werden. Google stellt den größten Server bereit, über den Publisher die Auktionen abwickeln. Es ist auch bei den Diensten marktbeherrschend, mit denen Werbetreibende ihre Online-Anzeigenkampagnen steuern. Dazwischen betreibt Google mit AdExchange auch den größten Auktionator auf dem Markt.

Ermittlungen amerikanischer und europäischer Wettbewerbsbehörden zufolge hat Google diese Kontrolle über die verschiedenen Seiten des Markts jahrelang zu seinen Gunsten missbraucht. In dem heute beginnenden Gerichtsverfahren zu Googles Monopolstellung im Adtech-Bereich fordern das US-Justizministerium und mehrere Bundesstaaten, wenigstens den Google-Dienst für Publisher und die Google AdExchange abzuspalten. Auch die EU-Kommission kam 2023 zu dem vorläufigen Schluss, dass Google seine Adtech-Marktmacht missbraucht hat und es struktureller Maßnahmen bedarf.

Insgesamt sprechen die Verfahren im Werbebereich dafür, dass Google zumindest einen Teil seiner Adtech-Dienste abspalten muss. Sinnvoll wäre es, den gesamten Adtech-Bereich abzutrennen. Das würde eine weitere Selbstbevorzugung beziehungsweise die umfassende Behinderung anderer Anbieter durch Google verhindern. Google sollte demnach nur die Dienste für die Verwaltung der eigenen Werbeflächen behalten. Die Teile für Verleger und für Werbetreibende sollten an unterschiedliche Anbieter verkauft werden, um einer erneuten Marktkonzentration vorzubeugen.

Auch Android und Chrome könnten abgespalten werden

Bei Android und Chrome könnte es ebenfalls zu Abspaltungen kommen. Zumindest gibt es in den USA Stimmen, die das als Konsequenz des Urteils zum Suchmaschinen-Monopol fordern. Als erste Maßnahme könnten die Abkommen zwischen Google und Apple sowie anderen Handy-Herstellern gestoppt werden, die die Google-Suche bevorzugen. Das Gericht könnte aber weitergehende Maßnahmen verhängen, um zu verhindern, dass Google sich neue Strategien einfallen lässt, um Android und Chrome erneut zu seinen Gunsten zu missbrauchen.

Auch in den Adtech-Verfahren könnte es Auflagen in diesem Bereich geben, insbesondere für Chrome. Denn Google könnte sonst versuchen, die Werbe-Auktionen stärker in den Browser zu verlagern und auf diese Weise die Kontrolle zurückzuerlangen. Eine Abspaltung könnte solche Umgehungsstrategien unterbinden.

Es ist fraglich, ob alternativ Auflagen zur Nicht-Diskriminierung von Wettbewerbern an dieser Stelle ausreichen würden. Ein Mittelweg wären Auflagen sowie eine organisatorische Trennung innerhalb von Alphabet, ohne einen Verkauf an Dritte. Das könnte zugleich ein Warnsignal an Google sein, dass bei Verstößen gegen diese Auflagen eine Abspaltung leicht möglich wäre.

Mehr Entflechtungen wagen

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Google in den nächsten Jahren Teile seines gestaffelten Internet-Imperiums verkaufen muss. Das wäre ein richtiger Schritt, um den Machtmissbrauch und die Schäden für Öffentlichkeit, Demokratie und Verbraucher*innen zu stoppen. Dabei ist klar, dass es zusätzlich zu Abspaltungen klare Regeln etwa für den Datenschutz braucht. Aber Regulierung allein wird die Vermachtung der digitalen Welt nicht aufbrechen. Die Kombination unterschiedlicher Instrumente ist entscheidend. Wir brauchen einen Mix aus Aufspaltungen, effektiv durchgesetzter Regulierung sowie der Förderung von öffentlichen Infrastrukturen und Standards.

Die EU-Kommission hat in den vergangenen Jahren einige große Wettbewerbsverfahren gegen Google geführt. Diese haben wegen der Strafzahlungen in Milliardenhöhe zwar für Aufsehen gesorgt. Wirklich effektiv waren sie jedoch nicht. Denn Google hat die Verhaltensauflagen geschickt für sich umgesetzt, so dass seine Monopolstellung im Kern unangefochten blieb. Aus diesen Erfahrungen müssen die Wettbewerbsbehörden endlich Konsequenzen ziehen. Um Googles Monopolmacht zu brechen, muss der Konzern aufgespalten werden.

Dabei sollten die EU und die USA an einem Strang ziehen, so wie es sich zuletzt bei Adtech angedeutet hat. Aber es ist noch offen, ob die nächste US-Regierung ebenso entschieden gegen Monopolmacht vorgeht wie es die derzeitige Biden-Regierung tut. Die EU sollte deshalb bereit sein, auch eigenständig zu handeln. Die Androhung von Abspaltungen im Adtech-Verfahren ist ein Hoffnungszeichen. Dahinter sollte die EU-Kommission bei ihrer finalen Entscheidung nicht zurückfallen.

Als Zivilgesellschaft müssen wir uns dafür starkmachen, dass strukturelle Maßnahmen wieder stärker genutzt werden. Die Machtkonzentration in der digitalen Welt ist zu groß, zu schwerwiegend und sie schadet der Demokratie. Sie erfordert mutige Maßnahmen. Google sollte aufgespalten werden.

Ulrich Müller ist Mitgründer und Vorstand von Rebalance Now. Die Organisation tritt dafür ein, die Monopolisierung der Wirtschaft zurückzudrängen und die Macht großer Unternehmen zu beschränken. Das Ziel ist eine vielfältige und ausgewogene Wirtschaft. Auf der „Bildet Netze“-Konferenz zum 20. Geburtstag von netzpolitik.org am 13. September spricht Ulrich Müller über Ansätze gegen die Monopolmacht von Big Tech.

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2 Ergänzungen

    1. Man könnte fast meinen, es gäbe Parallelen zwischen Theodor Roosevelt und John Maynard Keynes, was die Unbeliebtheit dessen angeht, wofür sie mal standen. Das Stichwort im Falle Roosevelts lautet „Sherman Antitrust Act“.

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