Die niederländische Regierung hat ihre ablehnende Position zum ungarischen Vorschlag zur EU-Chatkontrolle noch einmal deutlich gemacht: Sie möchte kein Scannen von unbekanntem Material, keine Erfassung der Kommunikation aller Bürger:innen und keinen Einsatz von Client-Side-Scanning. Schon im Oktober hatte sich diese Position angedeutet – sie könnte dazu führen, dass eine Einigung im EU-Rat für die umstrittene Richtlinie weiterhin nicht möglich ist.
Im Schreiben (PDF) des niederländischen Justizministeriums an das Parlament heißt es:
- Die Bedenken gegen die Erkennungsanordnung lassen sich im Wesentlichen in zwei Teile unterteilen: Bedenken hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre und Bedenken hinsichtlich der digitalen Widerstandsfähigkeit.
- Was die Verletzung der Privatsphäre anbelangt, so werden die Niederlande keine Vorschläge unterstützen, die eine obligatorische Erfassung der privaten Kommunikation aller Bürger vorsehen, wie dies in dem oben genannten Antrag von Kathmann et al. gefordert wird.
- Außerdem werden keine Vorschläge unterstützt, die eine Verpflichtung zur Aufdeckung von unbekanntem kinderpornografischen Material und Grooming vorsehen.
- Schließlich wird die Regierung auf der Grundlage der derzeit verfügbaren Informationen keine Vorschläge zur obligatorischen Erkennung unterstützen, die in der Praxis nur durch clientseitiges Scannen umgesetzt werden können, da dies Auswirkungen auf die digitale Widerstandsfähigkeit hat. [unsere Übersetzung]
Im weiteren stellt die niederländische Regierung auch darauf ab, dass die Chatkontrolle in der geplanten Form die IT-Sicherheit gefährde. Dies hatte auch der niederländische Geheimdienst bemängelt.
Bei den Verhandlungen im EU-Rat am 12. und 13. Dezember wollen die Niederlande „keine Position“ beziehen, was soviel heißt wie eine Enthaltung. Auch eine Enthaltung trägt dazu bei, dass die Sperrminorität die europaweite Zustimmung zu der umstrittenen Überwachung verhindert.
Was ist die Chatkontrolle?
Die EU-Kommission will mit der so genannten CSA-Verordnung gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder vorgehen. Sie möchte dafür Internetdienste per Anordnung verpflichten, die Inhalte ihrer Nutzer:innen automatisiert auf Straftaten zu durchsuchen und bei Verdacht an Behörden zu melden. Das EU-Parlament bezeichnet das seit fast einem Jahr als Massenüberwachung und fordert, nur unverschlüsselte Inhalte von Verdächtigen zu scannen.
Die EU-Staaten können sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Mehrere EU-Ratspräsidentschaften sind daran gescheitert, eine Einigung zu erzielen. Jetzt versucht es Ungarn, das im zweiten Halbjahr 2024 die Ratspräsidentschaft innehat. Zuletzt hatte es vorgeschlagen, dass Dienste-Anbieter zunächst nur nach bekannten Straftaten suchen müssen – also nach Bildern und Videos, die bereits aufgefallen sind. Neues Material und Grooming sollen erst später verpflichtend werden, wenn die Technik gut genug ist.
Die Grundprobleme der Chatkontrolle bleiben bei diesem Vorschlag bestehen: anlasslose Massenüberwachung, falsche Verdächtigungen, das Ende von zuverlässiger Verschlüsselung und Probleme mit der IT-Sicherheit. Auch dieser Vorschlag fiel im Oktober durch, das Thema wurde von der Tagesordnung genommen, Ungarn informierte lediglich über den Stand der Verhandlungen.
Scharfe Kritik aus der Wissenschaft
Das Vorhaben der EU-Kommission steht weithin in der Kritik – und nicht nur von Digital- und Grundrechteorganisationen. Zuletzt hatten mehr als 300 Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt vor der Verordnung auch in der ungarischen Version gewarnt.
Jüngst hat sich auch Forschungszentrum Informatik (FZI), eine Gründung des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums und der Uni Karlsruhe in einem Positionspapier gegen die Chatkontrolle (PDF) gestellt.
Die Chatkontrolle würde ihr Ziel, nämlich die Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern, verfehlen. „Es wird eine technische Lösung suggeriert, die es nach dem Stand der Technik derzeit nicht gibt.“ Stattdessen ermögliche die Chatkontrolle staatlichen Sicherheitsbehörden zukünftig eine Massenüberwachung. Mit Inkrafttreten der Chatkontrolle würde „ein massiver Eingriff in das Grundrecht auf Sicherheit und Vertraulichkeit der digitalen Kommunikation aller Einwohner*innen der Europäischen Union (EU)“ vorgenommen. „Dies wird einen Grundpfeiler unserer demokratischen Wertegemeinschaft ins Wanken bringen“, so die gemeinnützige Forschungseinrichtung weiter.
Es wäre auch ein Übermaß an Unklugheit, der toxischen ungarischen Ratspräsidentschaft ein Erfolgserlebnis zu verschaffen.
Findet übermorgen nicht schon eine Verhandlung im AStV.2 statt?https://data.consilium.europa.eu/doc/document/CM-5213-2024-INIT/en/pdf