In Deutschland stößt Kirchenasyl zunehmend auf staatlichen Widerstand. Behörden wollen Menschen abschieben, obwohl sie unter dem Schutz der Kirche stehen. Dass die Polizei zu diesem Zweck Gebäude der Kirche stürmt, galt lange Zeit als kaum denkbar. Nun gab es allein seit dem Sommer 2023 sechs versuchte oder vollzogene Räumungen von Kirchenasyl. Nach Recherchen von netzpolitik.org für den Podcast „Systemeinstellungen“ sind dies innerhalb von zehn Monaten mehr Räumungen als in den gesamten zehn Jahren zuvor.
Die jüngste Räumung erfolgte am vergangenen Sonntag im Kreis Uelzen in Niedersachsen. Eine russische Familie wurde direkt aus dem Kirchenasyl abgeschoben. In dem Bundesland war es die erste Räumung eines Kirchenasyls seit 1998, sagt der Landesflüchtlingsrat. Kurz vor Weihnachten war bei der Räumung eines Kirchenasyls in Schwerin sogar ein Spezialeinsatzkommando im Einsatz.
Laut Zahlen des Bundesinnenministeriums haben Kirchen in Deutschland im vergangenen Jahr in gut 1.500 Fällen Geflüchteten temporären Schutz gewährt. Dieses sogenannte Kirchenasyl basiert nicht auf einer gesetzlichen Grundlage, sondern auf einer Übereinkunft der Katholischen und Evangelischen Kirche mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Mit dem Kirchenasyl wollen Gemeinden verhindern, dass Menschen in teils lebensgefährliche und menschenunwürdige Umstände abgeschoben werden. Stattdessen sollen sie Gelegenheit bekommen, dass Behörden ihren Fall erneut prüfen, oder dass sie nach einer Weile Asyl in Deutschland beantragen können.
Appelle an den Staat
Leitende Kirchenvertreter:innen äußern sich gegenüber netzpolitik.org tief besorgt darüber, dass der Staat nun auch Schutzsuchende aus Kirchenasylen abschiebt. „Wir appellieren an die Ausländerbehörden, das Kirchenasyl zu respektieren“, sagt die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich. Die Auflösung eines Kirchenasyls „unter massivem Polizeiaufgebot und mit zum Teil brachialen Mitteln“ bleibe ein unverhältnismäßiger Eingriff in einen aus guten Gründen gewährten Schutzraum. „Dass es in der jüngsten Vergangenheit gleich mehrfach zu solchen Auflösungen von Kirchenasylen gekommen ist, bereitet uns große Sorge.“
Heinrich fordert: Kirchen und Behörden müssten eng im Gespräch bleiben, damit sie gemeinsam zu einem humanitären Umgang mit Menschen in akuten Notsituationen kommen. Das Kirchenasyl sei ein Schutzraum für besonders schutzbedürftige, oft traumatisierte Menschen. Für die Asylsuchenden sei es häufig die letzte Möglichkeit, um sich vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, die ihnen bei Abschiebung drohen. „Kirchengemeinden leisten damit eine dringend erforderliche Nothilfe.“ Diesen Schritt würden sie nicht leichtfertig gehen.
„Maßnahmen, die auf eine Abschiebung aus einem Kirchenasyl abzielen, widersprechen dem Geist der Vereinbarung zwischen BAMF und Kirchen“, sagt auch der Jesuit Dieter Müller, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche. „Geflüchtete müssen in anderen EU-Mitgliedsstaaten Schläge, Inhaftierung unter katastrophalen hygienischen Bedingungen oder völlige Vernachlässigung bis hin zur Verelendung erdulden.“ Auch laufende Therapien und ärztliche Empfehlungen würden vom Bundesamt ignoriert, wie das jüngste Beispiel der Familie aus Russland zeige, die nach Spanien abgeschoben wurde, obwohl sich die Mutter hier in ärztlicher Behandlung befand.
Berliner Bischof: „Wir werden die Menschen schützen“
Der Berliner Bischof und Beauftragte der EKD für das Thema Flucht, Christian Stäblein, weist auf die Historie des Kirchenasyls in Deutschland hin: „Wir sind in großer Sorge, dass diese Übereinkunft, die wir über viele Jahrzehnte gehabt haben, jetzt aufgebrochen wird.“ Man stelle sich mit dem Kirchenasyl nicht über den Staat, erklärt Stäblein. Aus Sicht der Kirche gehe es vielmehr um eine gute Übereinkunft mit dem Staat. Der Bischof hofft, dass es dabei bleibt: „Wir werden die Menschen schützen“.
Stäblein beteuert zudem, dass viele gerichtliche Entscheidungen den Kirchen Recht gäben. Vor Gericht würden die meisten Menschen nach dem Kirchenasyl doch noch ein Bleiberecht erhalten. Das zeige, dass die Kirchen im richtigen Sinne humanitär eingreifen.
Das Kirchenasyl sei keine Aushebelung des Rechtsstaates, betont auch der leitende Geistliche der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel. „Nur in solchen besonderen Fällen, wo es starke Gründe dafür gibt, dass eine humanitäre Not droht und eine rechtliche Überprüfung geboten ist, werden Kirchenasyle gewährt“, sagt Latzel. Die Fälle würden umgehend den zuständigen Behörden gemeldet; der Aufenthalt der Personen sei ihnen laufend bekannt. „Das alles wird von unseren Gemeinden und Kirchenkreisen sehr verantwortlich gehandhabt.“
Nicht nur für Christ:innen sei der Schutz von Menschen elementar, erklärt Latzel – und verweist auf das Grundgesetz: „Wenn wir in diesem Jahr 75 Jahre Grundgesetz feiern, dann ist das individuelle Recht auf Asyl ein wesentlicher Teil davon.“
Podcast-Recherche zeigt Kirchenasyl unter Druck
Von den staatlichen Widerständen gegen das Kirchenasyl handelt auch die aktuelle Folge des netzpolitik.org-Doku-Podcasts „Systemeinstellungen“. Die Folge „Razzia im Pfarrhaus“ begleitet die Pastorin Sandra Menzel aus Büchenbeuren in Rheinland-Pfalz. Sie hat im Jahr 2018 gemeinsam mit mehreren anderen Gemeinden Geflüchteten aus dem Sudan Kirchenasyl gewährt. Für Sandra Menzel war dies praktische Nächstenliebe – für den Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises dagegen Anlass zu einer Strafanzeige. Er zeigte Menzel und mehrere Kolleg:innen an, mit gravierenden Folgen.
Bei den Pastor:innen kam es zu Hausdurchsuchungen. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Daten von dienstlichen und privaten Computern und Smartphones – trotz Warnungen, dass darauf auch seelsorgerisch sensible Daten von Gemeindemitgliedern sein könnten. Ein Gericht erklärte die Hausdurchsuchungen später für rechtswidrig. Auch die Verfahren gegen die Pastor:innen wegen Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt wurden eingestellt.
Die Recherche zeigt: Diese Fälle waren keine Ausnahme. Seitdem der Kurs in der Europäischen Union und in Deutschland erneut auf Verschärfung des Asylrechts ausgerichtet ist, häufen sich auch staatliche Widerstände gegen das Kirchenasyl.
Im Frühjahr 2024 haben Sandra Menzel und der Kirchenkreis Simmern-Trarbach erneut einem Geflüchteten Asyl gewährt, dieses Mal einem Mann aus Syrien, der seinen Asylstatus in Dänemark verloren hatte. In der Nacht des 14. Februar rückte die Polizei an, um den verängstigten Mann mitzunehmen. Dieser wehrte sich und verletzte sich in Panik selbst, um die Abschiebung zu verhindern. Er kam kurz in Krankenhaus und wurde dann nach Dänemark abgeschoben.
In einer Stellungnahme gegenüber netzpolitik.org erklärt die zuständige Kreisverwaltung Neuwied, bei der Abschiebung sei alles mit rechten Dingen zugegangen. In einem vierseitigen Dokument schreibt die Behörde von der „rechtssicheren Bewältigung der Flüchtlingsfrage“. Die dänischen Behörden hätten zugesichert, den Mann nicht nach Syrien zu überstellen. Es sei zudem der Kirchenkreis gewesen, der sich nicht an die Abmachung mit den Behörden gehalten habe.
Der Kirchenkreis hingegen sagt, dem Mann, der in Syrien den Kriegsdienst verweigert hatte, drohe aus Dänemark die Abschiebung in sein Heimatland. Dänemark verfolgt seit Jahren einen extrem harten Kurs gegen Geflüchtete und lehnt – anders als Deutschland – regelmäßig Asylanträge von Syrer:innen ab. Dass der Mann das Abschiebelager verlassen habe, um nach Deutschland zu kommen, gelte dort als Straftat. Die Kirche habe in dieser Situation nur das Recht aufrechterhalten, das Dänemark dem Mann nicht gewähren wollte.
Humanitäre Intervention mit Tradition
Das Prinzip hinter dem Kirchenasyl ist schon aus vorchristlichen Zeiten bekannt. Tempel galten seit jeher als heilige Orte, an denen keine Gewalt ausgeübt werden darf und in die verfolgte Menschen flüchten können. Das griechische Wort Asyl bedeutet wörtlich übersetzt „nicht beraubt“ und bezeichnete einen Ort, an dem etwas oder jemand vor Raub sicher war. Schon aus dem vierten Jahrhundert ist bekannt, dass die damals noch junge christliche Kirche Geflüchteten Schutz in ihren Räumen gewährte. Offizielle Anerkennung erhielt das Kirchenasyl durch die römische Gesetzgebung im fünften Jahrhundert. Der Bruch des Asylrechts wurde damals mit der Todesstrafe geahndet.
In Deutschland lebt die Tradition seit den 1980er-Jahren wieder auf. Die Regierung von Helmut Kohl hatte damals das Asylrecht drastisch verschärft, in Reaktion kam es gelegentlich vor, dass einzelne Kirchengemeinden ihre Räume für Geflüchtete öffneten. Mit der wachsenden Zahl der Menschen, die vor Kriegen, Hunger und Verfolgung geflohen sind, wuchs auch die Zahl der Kirchenasyle in Deutschland. Im Jahr 2014 stieg sie von 79 auf 430. Zum Höhepunkt der Fluchtbewegungen 2015 waren es laut Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche 620 Fälle.
Seit diesen Jahren schwelt in Deutschland ein politischer Konflikt um das Kirchenasyl. Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verlangte ein härteres Vorgehen der Behörden und verglich das Kirchenasyl einmal gar mit der islamischen Scharia. Später nahm er diese Aussage zurück. Nach langen Verhandlungen einigten sich die katholische und evangelische Kirche 2015 mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf verbindliche Rahmenbedingungen. Diese sind bis heute gültig und sehen unter anderem vor, dass die Kirchen dem Amt jedes Mal melden, welcher Person sie an welcher Adresse Asyl gewähren.
Meist handelt es sich beim Kirchenasyl um sogenannte Dublin-Fälle von Menschen, die bereits in einem anderen EU-Staat als Asylsuchende registriert wurden und deshalb dorthin abgeschoben werden sollen. Nicht selten würde dies jedoch die Abschiebung in menschenunwürdige Zustände bedeuten. Die katastrophalen Zustände in den Lagern etwa in Griechenland und Italien sind gut dokumentiert, die Menschenrechtsorganisation Medico International bezeichnet die Situation dort als „Schande Europas“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kirchenasyl#Rechtliche_Aspekte_des_Kirchenasyls_in_Deutschland
Sollten wir nicht lieber darüber reden, wie wir in unserer Gesellschaft Geflüchteten mehr humanitäre Hilfe und Unterstützung geben können, ohne sie kirchlichen Einflüssen auszuliefern?
Sollten wir die Menschen nicht aus der Enge von sog. Kirchenasylen befreien, die eine Form von kultureller Übergriffigkeit auf Menschen ausüben, die sich in einer existentiellen Notlage befinden?
Gibt es denn kein Bauchgrimmen, wenn man sieht wie Institutionen des Missbrauchs sich als Zufluchtsorte gerieren und auch noch fälschlich als „Asyl“ bezeichnen?
Nehmt Menschen bei euch zuhause auf, anstatt sie in Kirchen einzupferchen und zur Schau zu stellen.
Jedr kann sich unter den Umständen in Europa selbst ein Bild davon machen in welche Richtung das Penel ausschlägt: Autokratie der politischen Eliten oder Verfassungsstaat der die Menschenrechte respektiert. IMHO bewegt sich das Pendel zunehmend in die Richtung des Ersteren (nicht nur bei Flüchtlingen, sondern auch bei der Überwachung der Bürger und Kontrolle der öffentlichen meinung).
Die „weniger fluechtlingsfreundlichen“ Parteien gewinnen die Wahlen, werden also demokratisch bewusst an die Macht gebracht. Das ist das Gegenteil von Autokratie.
Die „linken“ luegen sich halt schoen, dass die Mehrheit der Waehler anderer Meinung ist. Weil nicht sein kann was nicht sein darf.
Ist immer spannend, dass ausgerechnet die „linken“ die Kirchen ueber das Gesetz stellen wollen, sobald es ihnen passt.
Aber dann wieder heulen, wenn es nicht passt, oder andere Gesetze auch nicht befolgen.
WOW, das man sowas mal bei netzpolitik zu lesen bekommt das ist schon erstaunlich. vor einem jahr war sowas noch hetze von rechts
Das ist keine rechte Hetze, das ist Rechtsstaat. Weder gibt es ein Kirchenasyl, dass der deutsche Staat „brechen“ koennte, noch sind Kirchen „Schutzraeume“ ausserhalb des staatlichen Gewaltmonopols.
Das war ein Ergebnis der Aufklaerung, aber damit haben es die „linken“ leider nicht so.
> Das war ein Ergebnis der Aufklaerung, aber damit haben es die „linken“ leider nicht so.
Schaffst Du es auch, deine Behauptung zu begründen, oder kommt es dir nur darauf an alternativen Mist zu verteilen?
Warum wird so ein abwertender und unqualifizierter Kommentar freigeschaltet?
Die totalitäre Ecke aus der diese Posterin trötet, ist keinen deut besser, als die behauptete andere Seite.
Ein wichtiges Element des Rechtsstaates ist, dass rechtliche Entscheidungen, welche zB gegen Gesetze und Rechte verstoßen, revidiert werden können. Den Part, dass die Gerichte, wenn sie hier tätig werden, durch ihre Entscheidungen in der überwiegenden Zahlen der Fälle, die Abschiebungen durch die Behörden aus dem Kirchenasyl heraus letztendlich zu unrecht erklären, hast du anscheinend überlesen.
Aber um Fakten geht es dir hier nicht. Offensichtlich bist du hier, um dein Feindbild von den pösen Linken zu pflegen. Und wie heißt es so schön, wenn der Feind bekannt ist, hat der Tag Struktur.
Interessanter Kommentar, wenn man bedenkt, dass der Originalkommentar sich nicht inhaltlich gegen die Aktivität ausgesprochen hat sondern gegen die phantasierte kirchliche Sonderrolle.
Staat goes AFD: Kirchenasyl? Das war gestern. Heute wird geräumt und direkt abgeschoben. Staatsanwaltschaften stellen Hausdurchsuchungsbescheide für Pastorenwohnungen aus. Man glaubt es kaum wieviel Manpower und Energie die Staatsgewalt aufbringt um der ärmsten und hilflosen habhaft zu werden. Aber es passt ins Bild: Erst jüngst verabschiedete das Parlament das „Rückführungsverbesserungsgesetz.“ Es schafft den Rahmen für Maßnahmen wie sie hier beschrieben wurden und es amtet den Geist des AFD-Programms.
Nun, weil es einfacher ist für die Behörden. Da weiß man ja wo sich die Leute aufhalten. Ist genau so wie bei denen die halbwegs integriert sind, die Kinder zur Schule gehen und sie vielleicht sogar in Ausbildung / Arbeit sind.
Die Außenwirkung ist: Die, welche sich bemühen werden abgeschoben. Die welche sich nicht integrieren wollen, straffällig werden etc. die lässt man gewähren. Als ob man die rechten Parteien auch noch unterstützen möchte.
Mittlerweile gehe ich von Vorsatz bei Behörden und politischen Entscheidern aus genau diesen Eindruck hervorrufen zu wollen.