„An diesem Tag werden wir versuchen, die Big Tech Cloud nicht zu nutzen, zu füttern oder zu pflegen.“ So beginnt der Aufruf einer Gruppe von Aktivist*innen, die den 8. März zu einer Art Unabhängigkeitstag von Meta, Microsoft, Google und Co. erklären. Mit dabei ist auch eine Gruppe aus Berlin, die sich rund um den feministischen Hackspace Heart of Code spontan zusammengefunden hat, um den Streik mitzuorganisieren. Was zu der Frage führt: Warum soll der 8. März als feministischer Kampftag zugleich ein Tag sein, um Tech-Konzerne zu bestreiken?
netzpolitik.org: Ihr ruft am 8. März zu einem „Streik gegen digitale Ausbeutung“ auf. Einen Tag lang sollen wir Tech-Riesen wie Google, Amazon und Meta boykottieren. Warum gehören die eurer Meinung nach bestreikt?
Heart of Code: Wir sehen die Zentralisierung und Monopolisierung des Internets kritisch. Sehr viele Dienste, die auch häufig andere Namen tragen, basieren auf den sogenannten Cloud-Anwendungen der Tech-Giganten. Das betrifft auch immer öfter Krankenhäuser, Universitäten, Archive und Schulen. So beeinflussen die Big-Tech-Unternehmen die Art, wie wir lernen, wie Fürsorge gestaltet wird, wie wir organisieren, arbeiten, lieben, kommunizieren. Auch wie Verwaltung und Erinnerung gestaltet werden. Wir wollen zeigen, dass das nicht so sein muss und dass wir uns Autonomie zurückholen können.
netzpolitik.org: Wo und wie nutzen wir die Technologien dieser Unternehmen, ohne das zu merken?
Heart of Code: Es sind ja nicht nur die Cloud-Dienste, die wir direkt als Cloud erkennen, also sowas wie Google Drive oder Dropbox oder so, wo wir unsere Daten ablegen. Mittlerweile findet ein großer Teil unseres digitalen Lebens in der Cloud statt. Oft merken wir das gar nicht. Die Software und die Betriebssysteme, die wir im Alltag benutzen, sind physisch nicht mehr der Code, der auf dem Gerät liegt und das wir in der Hand haben. Sondern sie sind ein Mix aus vielen Teilen. Die liegen dann teilweise bei den Unternehmen, die sie produzieren. Kaum jemand weiß, was sie über uns erfahren, wenn wir diese Software benutzen.
netzpolitik.org: Was können sie dadurch über unser Leben erfahren?
Heart of Code: Sowohl die Daten, die wir erzeugen, aber auch die Art, wie wir die Systeme benutzen: Das alles wird ausgewertet. Am ehesten sichtbar ist das bei Social-Media-Apps oder sowas wie Google Mail: Da wissen viele mittlerweile, dass nicht wir die Kontrolle haben, sondern die Unternehmen, die uns die Apps anbieten. Aber dass das auch Software wie Textverarbeitung betrifft, etwa die Microsoft-Office-Suite, das ist vielen nicht klar. Diese Entwicklung finden wir falsch und deswegen wollen wir darüber aufklären und gegensteuern.
netzpolitik.org: Der 8. März gilt als internationaler feministischer Kampftag. An dem Tag geht es vor allem darum, auf Sexismus aufmerksam zu machen. Was hat der Streik gegen diese Konzerne mit Feminismus und Sexismus zu tun?
Heart of Code: Den feministischen Streiks, an die wir uns anlehnen, ging und geht es um Kämpfe um Arbeit und Versorgung, um Antirassismus und queeres Leben. Alle diese Kämpfe waren und sind gegen sexistische Gewalt und Ausbeutungsverhältnisse gerichtet. Und all diese Aspekte sind auch Teil unseres Widerstandes. Wir wollen Autonomie gegenüber den vorherrschenden, kapitalistisch organisierten Machtstrukturen gewinnen. Intersektionaler Feminismus will das gute Leben für alle marginalisierten Gruppen.
netzpolitik.org: Wie können wir uns denn Autonomie zurückholen?
Heart of Code: Das geht nur mit zugänglicher Entwicklung und Wissensteilung, nachhaltigen Betriebs- und Wartungsmöglichkeiten der Technologie und fairen Lieferketten. Wir wollen Transparenz statt Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums an börsennotierte Unternehmen. Also einen techno-politischen Wandel, der systemisch ist und keine Schönheitskorrekturen.
netzpolitik.org: Heißt das, mein Gmail-Account unterstützt das Patriarchat?
Heart of Code: Ja, aber wir verurteilen niemanden, der die Dienste dieser Anbieter nutzt. „Das Internet“, wie es heute ist, besteht in weiten Teilen aus den Infrastrukturen dieser Anbieter. Sehr vieles davon arbeitet unsichtbar im Hintergrund: wenn wir Bahntickets buchen, Behördendiensleistungen oder Schul-Clouds nutzen. Selbst der Messenger Signal, den wir gerne als Alternative zu WhatsApp empfehlen, nutzt die Infrastruktur von Amazon, Google und Apple.
Aktuell ist es beinahe unmöglich, die großen Cloud-Betreiber wirklich zu vermeiden. Aber wir wollen Alternativen aufzeigen. Wie könnte das Internet aussehen, wenn es wieder dezentraler wäre, und wo können wir Angebote nutzen, die anders funktionieren? Denen es nicht um Datensammlung und Verkauf von Werbemöglichkeiten geht? Wo gibt es Infrastruktur, die unsere Probleme löst, anstatt Plattform für eine maximale Monetarisierung zu sein?
netzpolitik.org: Und, wo gibt es die? Also wie könnte denn ein Alltag ohne diese Konzerne und ihre Cloud-Dienste aussehen?
Heart of Code: Leider ist es heute noch so, dass sich der bequemste digitale Alltag in den Clouds der großen Konzerne abspielt. Ihre Dienste greifen unkompliziert ineinander. Doch es gibt eine ganze Reihe an Alternativen: OpenStreetmap ermöglicht Kartendienste ohne eine dauerhafte Internetverbindung und ohne dass die Anbieter wissen, wer welche Orte besucht hat. Mastodon ist ein dezentrales Soziales Netzwerk, dass Nutzer*innendaten nicht an meistbietende Werbekund*innen verkauft. DuckDuckGo ist eine alternative Suchmaschine zu Google. Und im Linux-Universum sammeln sich diverse Betriebssysteme, die Nutzenden nach ein wenig Übung sehr viel Autonomie über Prozesse auf dem eigenen PC geben, ohne ständig an Microsoft oder Apple zu funken.
netzpolitik.org: Warum nutzen nicht schon viel mehr Menschen diese Alternativen?
Heart of Code: All diese Alternativen brauchen die Bereitschaft, sich auf etwas Neues einzulassen. Open-Source-Dienste haben selten die Budgets der großen Tech-Giganten, die unzählige Entwickler*innen, Designer*innen und Psycholog*innen einsetzen können, um das einfachste, schnellste und bequemste Erlebnis zu schaffen. Als Gesellschaft, die Monopole, Überwachung und undemokratische Strukturen ablehnt, sollten wir uns also überlegen, wie wir bessere Bedingungen für Alternativen schaffen können. Ansätze wie „Public Money – Public Code“ oder der Sovereign Tech Fund sind im Entstehen, aber noch lange kein Gegengewicht.
netzpolitik.org: Wenn ich die Cloud weniger nutzen möchte, aber selbst kaum Ahnung von Computern und Code habe, wo kann ich mir das zeigen lassen?
Heart of Code: Es gibt verschiedene Initiativen und Websites, die Unterstützung bieten. In einigen Städten oder online gibt es etwa CryptoPartys, das sind Veranstaltungen, die dabei helfen, einige Themen anzugehen. Empfehlenswert ist auch die Website der Electronic Frontier Foundation zum Thema. Das Data Detox Kit von Tactical Tech und andere bieten Listen mit Alternativen zu gängiger Software der großen Tech-Unternehmen. Und die Haecksen im Chaos Computer Club denken Digitale Sicherheit zusammen mit digitaler Gewalt, was für den feministischen Kontext leider notwendig ist, da digitale Gewalt zum Alltag vieler FLINTA*-Personen gehört. In vielen Städten gibt es auch Hackspaces oder offene Werkstätten, die häufig Gruppen zu nützlichen Themen anbieten. Die findet man zum Beispiel in der Liste der teilnehmenden Organisationen des diesjährigen Cloud Strike.
>> Einen Tag lang sollen wir Tech-Riesen wie Google, Amazon und Meta boykottieren. <<
Ich mach das 365 Tage im Jahr. Mittels DNS blocking, Firewall, Proxies, und Browser-Addon. Ich lebe gut damit und vermisse gar nichts. Das ganze nervige Zeug erreicht mich nicht mehr.
Der Aufruf, "einen Tag lang" zu boykottieren, kostet mich ein mildes Lächeln.
Ich benutze Tails OS, Brave oder Firefox als Browser, Duckduckgo, Ecosia oder Swisscows als Suchmaschinen. Invidious, wenn ich Videos gucken will anstatt Youtube.
Trotzdem gibt es leider Dinge, die mich zum gläsernen Bürger machen.
Zum Beispiel: Lohnabrechnungen bekomme ich nicht mehr per Brief zugeschickt. Sondern nur noch digital. Mein Arbeitgeber hat unsere Buchhaltung und Lohn ausgegliedert. Eine IT-Firma kümmert sich nun darum. Dafür wurde von jedem Mitarbeiter von unserer Firma ein Profil erstellt und nur über dieses können wir in unseren Lohn einsehen, und die Stunden, die wir abgeleistet haben.
Datenschutz? Ich muss mir die Nutzungsbedingungen der IT-Firma garnicht durchlesen, um zu wissen, dass die Schindluder mit deinen Daten betreiben.
Also bei mir funktioniert der Boykott 365 Tage im Jahr schon technisch nicht. Sogar, wenn ich mich niemals einlogge um meinen Lohn anzusehen.
>> Ich benutze … Ecosia
Ecosia assigns a Bing tracking ID to every user:
Ecosia also assigns a “Bing Client ID” in order to improve the quality of the search results. This value is a user-specific ID which enables Bing to deliver more relevant search results also based on previous searches. The ID is saved in the Ecosia cookie and retrieved during future visits.
While the “Bing Client ID” can be manually disabled by the user, most people probably are not even aware of it. This is because Ecosia has done a good job burying this information in their privacy policy. To read the full privacy policy, you will need to scroll all the way to the bottom of the privacy page, and then click a light blue “READ MORE” button, which opens up more information.
Sehr schön. Und wenn man zu Duckduckgo recherchiert, wird, weil Bing-Ergebnisse gezeigt werden und gewisse Tracker durchgelassen werden, einem klar, dass auch DDG nicht sicher ist:
https://www.searchenginejournal.com/duckduckgo-microsoft-trackers/452006/
Sogar SearX ist atm nicht sicher in Datenschutz, wie manche User hier erklären: https://www.reddit.com/r/privacy/comments/mp5w4l/is_searx_the_most_private_search_engine/
Aber weil mein Arbeitgeber mich sowieso auf irgendeine Cloud abgespeichert hat, ist mein Status als gläserner Bürger unumkehrbar. Egal ob ich nun Ecosia benutze oder DDG oder Searx oder Swisscows oder Startpage oder oder oder…
Pranee: „Also bei mir funktioniert der Boykott 365 Tage im Jahr schon technisch nicht. Sogar, wenn ich mich niemals einlogge um meinen Lohn anzusehen.“
und: „Aber weil mein Arbeitgeber mich sowieso auf irgendeine Cloud abgespeichert hat, ist mein Status als gläserner Bürger unumkehrbar.“
Das können Sie ändern. Wenn Sie Informationen und deren Kanäle auf verschiedene, möglichst nicht persistente Linux-IT-Umgebungen sprich Systeme aufteilen, diese jeweils mit sehr gut konfigurierten Anonymizern nutzen, und „Anonymität“ nicht als allein von technischen Möglichkeiten abhängiges Phänomen, sondern als Gesamtkonzept begreifen und gedanklich umsetzen, können Sie sehr weit kommen. Dies schliesst allerdings einige Verhaltensänderungen, sprich die Aufgabe liebgewordener Gewohnheiten ein, sowie die Bereitschaft, auf Windows und Apple zu verzichten.
Was die Suchmaschinen angeht: Mit Searx und Startpage machen Sie einen guten Anfang, wenn Sie sie in obige Systeme einbetten. Und: Wenn Sie Informationen suchen, fangen Sie immer bei denen an, von denen Sie wissen, dass sie garantiert nicht tracken (wie z. B. dieser Seite hier).
„Lohnabrechnungen bekomme ich nicht mehr per Brief zugeschickt. Sondern nur noch digital.“
Ich denke nicht, dass man das hinnehmen muss. Es ist wie bei den Betriebsanleitungen technischer Geräte, die es oft nur noch als pdf zum Ausdrucken und immer weniger als physisches Heft gibt. Das Unternehmen spart somit Kosten, diese werden auf den Verbraucher umgelegt, der sich in jedem Fall einen Rechner samt Drucker besorgen muss.
Im von Ihnen beschriebenen Fall sollen Sie auch noch akzeptieren, dass immerhin sehr persönliche Daten von völlig intransparenten Outsourcing-Firmen oder Organisationen verwaltet werden.
Wäre ich Betroffener, liesse ich mir sowas nicht gefallen.
BTW: Herr Lauterbach will, wie seit heute bekannt, die „Elektronische Gesundheitsakte“ auf diesselbe Weise „verbindlich“ durchsetzen, da sie zu wenig genutzt werde bzw. die Akzeptanz „bei gerade mal einem Prozent“ liege.
Nun, lieber Herr Lauterbach, warum ist das wohl so??
„Datenschutz? Ich muss mir die Nutzungsbedingungen der IT-Firma garnicht durchlesen, um zu wissen, dass die Schindluder mit deinen Daten betreiben.“
Wegen dieser, leider voellig unqualifizierten pauschalen, Haltung hat Datenschutz einen so schlechten Ruf und ist Deutschland in der Digitalisierung weitgehend abgehaengt.
Irgendeine Vorstellung von Auftragsdatenverarbeitung und Datenschutz? Betriebsrat?
Es braucht einfach keine IT-Firmen für effektiven Datenschutz. Datenschutz gehört nicht zentralisiert, sondern bleibt dezentral, am besten nur über den User verwaltet. Dann von mir aus RSA und gleich einen so großen Schlüssel, dass sogar Quantencomputer Wochen brauchen, um die Daten abzugreifen. Noch geiler, wenn der Schlüssel noch einen Knopfdruck eines personalisierten und anonymen Yubikeys und dessen Authentizität abwartet. Moment mal…. habe ich das nicht schonmal irgendwo geschrieben?
Aber den Ruf hat Deutschland sich selbst eingebrockt. Nicht wegen Usern, die Firmen nicht vertrauen, sondern weil der Staat Firmen vertraut. Man sollte aber auch froh sein, dass Deutschland ein weißer Fleck auf Streetview ist und Oculus Rift hier nicht verkauft werden darf und Amazon Ring hier semi-legal ist. Das Meckern der User soll sich auszahlen.
Deutschland ist in der Digitalisierung hauptsächlich deswegen „abgehängt“, weil man seit Jahren dem „Großen Bruder“ jenseits des Teiches nach dem Munde redet und nichts Eigenes und vor allem SICHERES entwickelt.
Wer derart den Bürger als digitales Ausbeutungs-, Manipulations- und Überwachungsobjekt betrachtet wie es unsere Regierung(en), die EU und vor allem die USA tun, braucht sich über solche Sätze wie den von „Pranee“ nicht zu wundern!
Im Artikel steht hinter „FLINTA*-Personen“ ein Stern, aber keine Erklärung dazu…. Nicht dass noch jemand eine böse Suchmaschine anwirft um den Begriff zu „StartPagen“ :-)