Kritische StellungnahmenDas Justizministerium soll „digitale Gewalt“ erstmal definieren

Das Bundesjustizministerium plant ein Gesetz gegen „digitale Gewalt“. In den Stellungnahmen zu den Eckpunkten des Plans fordern Verbände und Zivilgesellschaft vor allem eins: dass das Ministerium klar definiert, was damit gemeint ist. Die geplanten Account-Sperren und das neue Auskunftsverfahren stehen in der Kritik, neue Datensammlungen sollen vermieden werden.

Was sich eine KI unter digitaler Gewalt vorstellt
Was sich eine KI unter digitaler Gewalt vorstellt (Diffusion Bee)

Das Bundesjustizministerium hatte im April Eckpunkte für ein Gesetz gegen digitale Gewalt vorgelegt und kurzfristig um Stellungnahmen gebeten. Ziel der neuen Regelungen soll es sein, dass sich Menschen, die von Drohungen und Beleidigungen im Netz betroffen sind, besser schützen können.

Wenig überraschend werden die Eckpunkte in den meisten abgegebenen Stellungnahmen kritisiert und vor dem Missbrauch der geplanten Regelungen gewarnt. Je nach Fokus des Verbandes unterscheiden sich die Schwerpunkte der Kritik zwar, die generelle Absicht jedoch, sich der Verrohung in den sozialen Medien entgegenzustellen, wird einhellig begrüßt.

Der Deutsche Anwaltverein, die Neue Richtervereinigung, der Deutsche Richterbund, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Verband eco, der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, Reporter ohne Grenzen, der Chaos Computer Club, Amnesty International, der Verband Bitkom oder von den Regelungen betroffene Unternehmen wie TikTok oder Meta sind sich in einem einig: Ein wesentlicher Kritikpunkt, der in den insgesamt 36 Stellungnahmen am häufigsten angemerkt wird, ist die fehlende Definition des Gegenstandes des geplanten Gesetzes.

Es fehle zudem eine Abgrenzung, was bereits nach heutigem Recht gesetzlich geregelt ist und wogegen etwa im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auch heute schon schnelle Abhilfe möglich ist. Dazu fehle es auch an einer klaren Definition, was die Schwelle zur Strafbarkeit angeht und was durch das geplante Gesetz eigentlich erfasst werden soll.

Fehlende Definition

Das Problem ist unbestritten: Die Bedeutung des Begriffs „digitale Gewalt“ ist bisher nicht juristisch festgeschrieben. Viele Menschen verstehen darunter ganz unterschiedliche Phänomene, etwa hasserfüllte, beleidigende oder bedrohliche Rede, mitunter aber auch vernetzte Mobbing-Aktionen oder Stalking-Methoden. Auch Identitätsdiebstahl oder Bloßstellen und Verleumden von Menschen fällt manchmal darunter. Manche zählen gar Geschmacklosigkeiten oder beißenden Spott dazu. Einiges davon ist bereits strafbewehrt, anderes an der Grenze zur Strafbarkeit oder bisher nicht strafbar. Allein das Adjektiv „digital“ eint die verschiedenen Inhaltsdefinitionen: „Digitale Gewalt“ muss in Zusammenhang mit den Netzen und mit Kommunikation stehen.

Das Ministerium stiehlt sich mit einer nur vagen Beschreibung aus diesem Definitionsdilemma: „Immer wieder werden Menschen im Netz massiv beleidigt und verleumdet oder im schlimmsten Fall wird dort ihr Leben bedroht.“ Das werden die meisten, die im Netz unterwegs sind, unterschreiben können, es eignet sich allerdings nicht als inhaltliche Abgrenzung.

Stellungnahmen

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Die fehlende Definition des Anwendungsfeldes sei eine Leerstelle in den Eckpunkten zum geplanten Gesetz, schreibt etwa die zivilgesellschaftliche Organisation SUPERRR Lab in ihrer Stellungnahme. Im kommenden Referentenentwurf müsse man „die verschiedenen Formen der digitalen Gewalt klar definieren“, fordert auch Reporter ohne Grenzen. Der Kinderschutzbund Bundesverband begrüßt in seiner Stellungnahme zwar ausdrücklich, „dass rechtsdurchsetzungsfreie Räume geschlossen werden sollen“, aber sieht das Definitionsproblem ähnlich: „Digitale Gewalt“ sei ein „sehr breitgefasster Begriff, der viele unterschiedliche Aspekte umfassen kann“. Das Verständnis davon müsse man „ausbuchstabieren“.

Missbrauchsgefahr

In den Stellungnahmen zu den Eckpunkten aus dem Haus von Marco Buschmann (FDP) werden weitere Probleme angesprochen: Das geplante Gesetz soll neue Speicher- und Identifikationspflichten und ausgeweitete Auskunftsansprüche festschreiben und sich auf alle Fälle der Verletzung absoluter Rechte beziehen. Das bedeutet, dass neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch Rechte am geistigen Eigentum sowie das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb darunter fallen sollen. Ein Sprecher des Ministeriums begründete das so: Es könne nicht sein, „dass jemand, der beleidigt oder bedroht werde, schlechtergestellt sei als das Opfer einer Urheberrechtsverletzung“.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund schreibt dazu in seiner Stellungnahme, dass es „mehr als zweifelhaft“ sei, „inwieweit ein Gewerbebetrieb oder das Urheberrecht von digitaler Gewalt betroffen sein“ könne. Daher fordert der DGB, dass der Anwendungsbereich der geplanten Regelungen auf das Persönlichkeitsrecht von Privatpersonen beschränkt werden solle. Der DGB warnt zugleich vor Missbrauch und davor, „den in einer Demokratie nötigen Diskurs zu verschiedensten Themen abzuschneiden“. Die Presse- und Meinungsvielfalt sei ein „für die Demokratie schlechthin konstituierendes Gut“, das nur unter strengen Voraussetzungen eingeschränkt werden dürfe.

Der Deutsche Richterbund betont in seiner Stellungnahme, mit „der Ausdehnung auf jegliche Verletzung von absoluten Rechten“ sei eine „erhebliche Vergrößerung des Anwendungsbereichs verbunden“. Beispiele seien rechtsverletzende Produktbewertungen oder unwahre Arbeitgeberbewertungen, die ohne Zusammenhang zu „digitaler Gewalt“ seien.

Der Richterbund sieht ein Missbrauchspotential und viele ungeklärte Details bei den geplanten Auskunftsverfahren. Dadurch wären soziale Netzwerke, aber auch Messenger-Anbieter wie Whatsapp, Signal oder Threema gezwungen, nach richterlicher Anordnung IP-Adressen der potentiellen Verfasser herauszugeben. Der Richterbund erwartet eine Fülle von Fällen, die wegen des Richtervorbehalts von der Justiz auch zwingend zu behandeln seien. Dass ein zweistufiges Verfahren vorgesehen sei, würde die absehbare Welle noch verschärfen, schließlich bestünde eine Pflicht zur Ermittlung seitens der Gerichte.

Der geplante erweiterte Auskunftsanspruch erntet in den Stellungnahmen teilweise Zustimmung, teilweise Ablehnung. Insbesondere die Pflicht, Daten von Beschuldigten bei der Einleitung der Auskunftsverfahren zu sichern, dürfe nicht später in eine pauschale Vorratsdatenspeicherung münden, schreibt Amnesty International. Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte warnt davor, dass man durch leerlaufende Auskunftsansprüche „ohne Not eine neue Diskussion um Speicherpflichten lostreten“ könnte.

Dass die Anbieter nicht verpflichtet werden sollen, zusätzliche Daten zu speichern, befürwortet auch Reporter ohne Grenzen ausdrücklich und betont, es dürfe „keine anlasslose Speicherung von Daten vorgeschrieben werden“. Amnesty sieht ein Missbrauchspotential auch darin, dass die Auskunftsverfahren genutzt werden könnten, „um die Anonymität von Personen aufzuheben und/oder sie einzuschüchtern“.

Da die Auskunfts-, Sperr- und weitere Pflichten ausgeweitet werden sollen, zeigen sich neben Teilen der Zivilgesellschaft auch die betroffenen Unternehmen und Wirtschaftsverbände wenig begeistert von Buschmanns Ideen. Sie verweisen in ihren Stellungnahmen auf gemeinsame europäische Regelungen wie den Digital Services Act (DSA), die eine neue deutsche Gesetzesinitiative überflüssig und kontraproduktiv erscheinen ließe. TikTok merkt dazu in seiner Stellungnahme an, „eine erneute Fragmentierung durch nationale Gesetze“ sei „kontraintuitiv“. Bitkom warnt in seiner Stellungnahme vor einem „deutschen Sonderweg“ und einer „Doppelregulierung“, die es zu vermeiden gelte. netzpolitik.org hatte Anbieter von Messengern befragt, wie sie das Vorhaben des Justizministeriums bewerten. Eine Sprecherin des Messengers Threema aus der Schweiz kommentierte: „Das Eckpunktepapier des BMJ hat uns gleichermaßen erstaunt wie befremdet.“

Account-Sperren

Kritisiert werden auch die vorgesehenen temporären Account-Sperren, die das BMJ dann plant, wenn „die Gefahr der Wiederholung schwerwiegender Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ gegeben sei. Durch die Betonung der Wiederholungsgefahr soll verhindert werden, dass sich ungerechtfertigte Blockaden häufen oder schon ein einmaliger Fehltritt eine Account-Sperre nach sich zieht.

Das Hans-Bredow-Institut bewertet die Sperren-Idee schlicht als nutzlos: „Account-Sperren stellen keinen wirksamen Schutz vor digitaler Gewalt dar.“ Auch für die Neue Richtervereinigung sei „nicht erkennbar“, dass die richterlich angeordneten Account-Sperren „ein effektives Mittel im Kampf gegen digitale Gewalt“ werden. Amnesty International und der CCC betrachten sie ebenfalls als wenig zielführend. Der CCC bezeichnet sie als „Strafe ohne Urteil“, da oftmals das „Online-Leben des Betroffenen de facto beendet“ werde.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hingegen regt in seiner Stellungnahme an, dass der Anspruch auf Account-Sperren noch erweitert werden soll: Auch in Fällen von Volksverhetzung sollen sie möglich werden. Der Verein „Weisser Ring“ fordert eine Ausweitung der Account-Sperren „auch bei einmaliger Begehung“. Auch Reporter ohne Grenzen schreibt: „Bereits eine einmalige, rechtswidrige Handlung“ solle die Möglichkeit für eine Account-Sperre eröffnen.

Anlaufstelle im Inland

Neben der vielschichtigen Kritik gibt es auch Lob: Begrüßt wird in den meisten Stellungnahmen, dass Anbieter eine konkrete Anlaufstelle in Deutschland benennen sollen, an die sich Betroffene wenden können. Diese sogenannten Zustellungsbevollmächtigten und die Ausweitung der dazugehörigen Zuständigkeiten wird zumeist als sinnvoll erachtet. Lediglich die Wirtschaftsverbände und betroffenen Anbieter äußern Skepsis gegenüber der Aufwertung der Anlaufstelle.

Amnesty International regt in der Stellungnahme an, den inländischen Bevollmächtigten zusätzlich dazu zu nutzen, um auch „den Schutz der Meinungsfreiheit vor ungerechtfertigten Account-Sperren zu verbessern“.


Transparenzhinweis: Auch der Chaos Computer Club hat eine Stellungnahme abgegeben. Die Autorin ist ehrenamtliche Sprecherin des CCC.

3 Ergänzungen

  1. Minister Buschmann (FDP) gehört derjenigen Partei an, die sich Blockade auf die Fahnen geschrieben hat, zum Zweck der Lähmung der Ampel-Koalition.

    Da die FDP-Minister einen Amtseid geschworen haben, wäre allzu offensichtliche Arbeitsverweigerung ein Entlassungsgrund. Mithin sind bei der FDP also Strategien der Verzögerung angesagt. Vgl. Springer-Boss Döpfner: „FDP stärken!“

    Die Formulierung eines Gesetzes ohne hinreichende juristische Definitionen kann sowohl taktische aber auch strategische Wirkungen entfalten. Wird das Gesetz (das man als Partei eigentlich nicht will) mit schwachen Definitionen im Bundestag durchgewinkt, freuen sich die Rechtsanwälte, und Gerichte werden Mehrarbeit bekommen. So haben daran alle ihren ausgiebigen Spaß.

  2. Ich empfehle jedem die Rede von Rowan Atkinson zum Thema „Freedom of Speech“. Beleidigende Inhalte sollten demnach legal sein, da gegen unerwünschte und verletzende Sprache nur mehr Sprache hilft. Auch Obama ist dieser Meinung.

    Sprache zu regulieren führt zwangsläufig zu mehr Hass. Was ist beleidigend und was nicht? Bspw. war die Aussage: „Dämliches Stück Hirn-Vakuum“ lt. LG Heilbronn nicht strafbar.

    Ziviler Widerstand gegen negative Äußerungen helfen mehr und beleben den gesellschaftlichen Diskurs mehr als die Regulierung je schaffen könnte. Von der Überlastung mal abgesehen. Drohungen etc. sind alle separat im StGB geregelt.

    Auch zeigte „Du bist so 1 Pimmel“ warum solche Gesetze mehr Schaden als nutzen. Andere Menschen ohne Medienwirksame Aufmerksamkeit bleiben wegen sowas verurteile Straftäter.

    1. Ergänzend hierzu will ich sagen:

      Die Protestaktion „Reform Section 5“ war in England erfolgreich, so dass seit 2014 jeder jeden ganz legal beleidigen kann. Rowan Atkinson bzw. Mr. Beans war hier eine entscheidende Rolle, da er sich im Laufe der Protestaktion immer wieder drum gebeten hat das man ihn „gerne beleidigen“ kann.

      Ehrlich gesagt wirkt diese Gesetzgebung hier im Vergleich sehr autoritär und realitätsfern. Die wirklich schlimmen Dinge sind ja nicht mehr beleidigend, sondern Verleumdung, Drohungen, Volksverhetzung.

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