Meta VerifiedKlarnamenpflicht als Risiko für marginalisierte Gruppen

Meta testet derzeit ein neues Verifizierungssystem. Das Angebot birgt jedoch erhebliche Risiken für Angehörige marginalisierter Gruppen und politische Aktivist*innen. Vertreter*innen von Sexarbeiter*innen und trans* Personen fordern den Konzern daher zu Gesprächen auf.

Das Instagram-Logo mit einem blauen Haken
– Alle Rechte vorbehalten IMAGO / NurPhoto

Wer bei Instagram oder Facebook die Identitätsdaten verifizieren lassen möchte, könnte bald dazu gezwungen sein, den eigenen Klarnamen öffentlich zu führen. In Australien, Neuseeland und in den USA ist das bereits der Fall. Dort testet Meta, der Mutterkonzern von Instagram und Facebook, aktuell sein neues kostenpflichtiges Angebot Meta Verified. Wer damit die eigene Identität bestätigt, erhält neben einem blauen Häkchen im Profil einige Vorteile, wie beispielsweise einen direkten Zugang zu Kund*innenportalen.

Um ihre Identität zu bestätigen, müssen Nutzer*innen ein Selfie-Video und ein Foto ihres amtlichen Lichtbildausweises an Meta übermitteln. Nach erfolgreicher Prüfung veröffentlicht das Unternehmen dann deren Klarnamen auf den jeweiligen Profilseiten. Offenkundig können Nutzer*innen diesen Namen im Anschluss weder löschen noch verändern.

Die Veröffentlichung des Klarnamens schränkt jedoch nicht nur die Privatsphäre der Nutzer*innen ein, sondern kann für diese auch ein erhebliches Risiko bedeuten – insbesondere dann, wenn politische Aktivist*innen oder Angehörige marginalisierter Gruppen betroffen sind, wie etwa Sexarbeiter*innen oder trans* Personen.

Angriffe in der realen Welt

Gabriel_Nox Koenig vom Bundesverband Trans* (BVT*) sagte gegenüber netzpolitik.org, dass marginalisierte Gruppen auf Social Media schon jetzt viel Gewalt ausgesetzt seien. „Organisierte Gruppen aus dem rechtsextremen, rechtskonservativen und antifeministischen Spektrum“ versuchten diese gezielt und überaus aggressiv aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen oder um ihre Einkommensquelle zu bringen.

Aus diesem Grund warnt auch Yigit Aydin von der European Sex Workers‘ Rights Alliance (ESWA) gegenüber netzpolitik.org vor einer Klarnamenpflicht. „Wenn die Privatsphäre verloren geht, werden Sexarbeiter*innen erpresst und kriminalisiert. Und sie sind bereits heute vermehrt Gewalt ausgesetzt“ [Übersetzung d.A. aus dem Englischen]. Der Schutz der Privatsphäre sei für jede*n wichtig, so Aydin. Für Sexarbeiter*innen und Angehörige anderer marginalisierter Communities gehe es jedoch mitunter buchstäblich um Leben oder Tod.

Auch das Bündnis Ende Gelände bewertet die Verpflichtung zu Klarnamen als problematisch. Für politische Aktivist*innen wachse damit nicht nur die Gefahr staatlicher Repressionen, sondern die Auseinandersetzungen im Netz würden noch einmal härter, so das Presseteam des Bündnisses gegenüber netzpolitik.org. Ein Shitstorm treffe „viel persönlicher und viel intensiver, wenn dabei dein Klarname auftaucht. Und es besteht immer die Gefahr, dass die Angriffe von der virtuellen auf die reale Welt übergreifen.“ Besonders für marginalisierte Personen erhöhe sich dadurch das Risiko, dass „ihre Stimmen verstummen und sie noch unsichtbarer gemacht werden“.

Diskriminierung marginalisierter Gruppen

Gabriel_Nox Koenig vom BVT* sieht obendrein ein Datenschutzproblem. Im hiesigen Meldewesen sei es ein Leichtes, beispielsweise die Meldeadresse einer Person zu erfragen. Koenig erklärt: „Die Verify-Funktion setzt Personen dem Risiko aus, gedoxt oder Opfer von Identitätsdiebstahl zu werden.“ Plattformen, die solche Funktionen einführen, müssten sich daher vorab fragen, wer damit direkt oder indirekt ausgeschlossen wird.

Meta Verified ziele vor allem auf Personen ab, die mit ihrem Social Media Account Geld verdienen, so Koenig. Doch gerade Menschen, die marginalisierten Gruppen angehören, würden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Viele von ihnen verdienen daher über Social-Media-Plattformen ihr Geld – meist sogar ausschließlich.

Koenig hofft daher, dass Meta die Einführung der Verify-Funktion in Deutschland vorab mit NGOs diskutiere. So ließen sich hoffentlich negative Folgen für marginalisierte Gruppen vermeiden. Technisch sei es zum Beispiel kein großer Aufwand, neben den persönlichen Daten einer Person auch den gewählten Social-Media-Namen zu hinterlegen. Auch Yigit Ayden fordert, dass Meta mit marginalisierten Gruppen spricht, um deren Bedürfnisse und Anforderungen besser berücksichtigen zu können.

Ob es so weit kommt, bleibt jedoch abzuwarten. Carolin Stratmann, Pressesprecherin bei Meta Deutschland, erklärte auf Anfrage gegenüber netzpolitik.org: „Wir testen Meta Verified gerade mit sehr hohen Standards. Wenn wir mehr darüber gelernt haben, was am besten funktioniert, und sichere Lösungen finden, können wir es für eine breitere Anwendung freigeben.“ Was genau diese „hohen Standards“ sind und wie Meta sichere Lösungen finden will, ließ die Sprecherin offen.

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8 Ergänzungen

  1. Wir werden wohl bald sehr viele KI Generierte ChatBOT Fake Accounts sehen. Dann ist zu erwarten das die Social Media Konzerne zunehmend anfangen werden die User immer strenger zu verifizieren. Gerade für marginalisierte Gruppen oder Menschen in autoritären Systemen wird dies natürlich sehr nachteilig sein.

  2. Eine Klarnamenpflicht bringt massive Risiken für jeden: In der realen Welt wird die Privatsphäre dadurch gewahrt, dass Information nur in kleinsten Häppchen geteilt wird. Im Freundeskreis kennt jeder nur bestimmte Aspekte meines Lebens. Dem Pfarrer bei der Beichte oder dem Arzt bei der Untersuchung kann ich privateste Informationen mitteilen, weil sie erstens einer beruflichen Schweigepflicht unterliegen und zweitens – in der Regel – nicht Teil meines Leben sind. Nicht außerhalb ihrer Funktion.

    Im Internet hingegen kann jeder auf Knopfdruck mein gesamtes digitales Leben zusammen führen. Auch wenn es meinen Arbeitgeber nichts angeht, was ich von Putin halte, meine Arbeitskollegen nicht, wie ich zu Coronaimpfungen stehe und gar niemanden, dass ich mich für die anonymen Alkoholiker interessiere und Herrn Lindern toll finde.

    Solange ich auf jeder Seite ein anderes Pseudonym verwenden kann, bleibt mein Privatleben privat. Wenn aber, angefangen mit Meta und bald gefolgt von vielen anderen Seiten, meine Beiträge mit meinem realen Namen verknüpft werden – dann kann jeder alles finden.

    Und das geht ja wohl gar nicht!

    1. Wollte mich verifizieren und zahlte. Aber als ich las, dass mein vollständiger Name veröffentich wird … NEIN!!!! Das werde ich nie tun. Verifizieren ist ok. Foto OK. Name Nein. Grund: Sehr selten und repressalien werden folgen.

  3. >> Klarnamenpflicht als Risiko für marginalisierte Gruppen <<

    Ich möchte dieser Ansicht energisch entgegentreten:

    So sehr marginalisierte Gruppen schützenswert sind, die Klarnamespflicht ist für jeden Internet-Nutzer ein Risiko!

    Übermittelte persönliche Daten sind nirgends sicher.

    1. „So sehr marginalisierte Gruppen schützenswert sind, die Klarnamespflicht ist für jeden Internet-Nutzer ein Risiko!“

      Die beabsichtigte Besserstellung von „marginalisierten Gruppen“ kommt letztendlich von derselben Sorte Mensch, die Plakate mit „Keine Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ im ÖPNV aufhängen lässt. Oder bei einer Vorratsdatenspeicherung immer nur schlimm findet, dass Anwälte, Ärzte und Journalisten betroffen sind.

      Klar sind die besonders betroffen, aber in Wirklichkeit ist es für alle übel (außer die echten Kriminellen im Fall der VDS, denn die schützen sich besonders gut).

  4. Begegnen sich zwei „Pseudonyme“ im Internet so sind das virtuelle Repräsentationen in einem virtuellen Raum. Pseudonyme erfüllen den Zweck, eine virtuelle Außendarstellung zu schaffen, die sich nicht selten erheblich vom realen Selbst unterscheidet. Problematisch ist es, wenn das reale Selbst zu einem seiner Pseudonyme eine zu enge emotionale Bindung entstehen ließ, die auf die reale Identität negative psychologische Auswirkungen haben kann. Wer unter seinem Pseudonym leidet, der kann daran wachsen oder sich davon möglichst schmerzfrei trennen.

    Die interessante Frage im juristischen Kontext ist jedoch, ob es überhaupt möglich ist, ein Pseudonym strafrechtlich relevant zu schädigen. Ein Pseudonym ist weder eine natürliche Person noch eine juristische, es könnte aber einen imaginären wirtschaftlichen Wert darstellen. Gewiss kann ich eine Automarke hassen, beleidigende Worte öffentlich gegen den Firmennamen benutzen, aber habe ich dadurch die Persönlichkeitsrechte des CEOs oder der Anteilseigner damit tangiert? Juristisch könnte es wirksam werden, wenn es zur Geschäftsschädigung ausreichend wäre.

    Beleidigungsfähig ist nur ein realer Klarname, mithin meist nur Personen des öffentlichen Raums, oder solche Personen, die sich nicht durch Pseudonym geschützt haben, was als grob fahrlässige Eigengefährdung angesehen werden kann.

    1. Hiermit möchte ich einen Hinweis auf die Melderegisterauskunft ergänzen. Die einfache Melderegisterauskunft wird in Deutschland jedermann ohne Vorliegen besonderer Voraussetzungen erteilt. Hierbei werden Vor- und Familiennamen, Doktorgrad sowie Anschriften zu der angefragten Person weitergegeben. In Hamburg zum Beispiel für 12.00 Euro zu haben, wer online beantragt, zahlt nur 6 Euro. Das ist bereits jetzt schon ein massives Problem für viele Menschen.

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