Gesetz zu Gewalt gegen FrauenEU-Rat gegen einheitlichen Schutz vor Vergewaltigung

Die EU will Betroffene von digitaler und häuslicher Gewalt stärken – etwa mit einem Verbot bildbasierter Gewalt und mehr Hilfsangeboten. Zwist gibt es bei der Definition vor Vergewaltigung und der Kriminalisierung von Sexarbeit.

Illustration einer Frau mit Handy, umgeben von Sprechblasen, ich interpretiere ihren Gesichtsausdruck als besorgt
Geht es nach Plänen der EU, werden erstmals viele Formen digitaler Gewalt als Straftaten anerkannt (Symbolbild) – Public Domain Motiv: DALL-E-2; Montage: netzpolitik.org

Ein intimes Foto ohne Einverständnis posten, ein Gesicht unerlaubt in einen Deepfake-Porno montieren oder jemandem mit Spyware auf dessen Handy überwachen: Das und mehr soll in der EU zur Straftat werden. Die im März 2022 vorgestellten Pläne der EU-Kommission haben inzwischen weitere Hürden genommen. Diese Woche haben sich die Regierungen der EU-Staaten im Ministerrat auf ihre Position zu dem Gesetzentwurf geeinigt.

Das Gesetz heißt „Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. Ausdrücklich geht es darin auch um Formen von digitaler Gewalt wie Online-Stalking oder bildbasierte Gewalt, also das Verbreiten intimer Aufnahmen gegen den Willen einer Person. Dem Gesetz zufolge sollen Staaten Hilfsangebote ausbauen und Beamt:innen schulen. Die neue EU-Richtlinie wäre damit ein Meilenstein beim Schutz vor digitaler Gewalt, der nicht nur in Deutschland viele Lücken hat.

Nicht verwechseln sollte man die geplante EU-Richtlinie mit dem in Deutschland geplanten „Gesetz gegen digitale Gewalt“. Das deutsche Gesetzesvorhaben dreht sich vor allem um Auskunftsrechte und Account-Sperren und hat damit einen deutlich engeren Fokus.

Nachdem die EU-Kommission einen Entwurf vorgelegt hat, müssen sich Rat und Parlament jeweils auf ihre Positionen einigen. Die jüngst erzielte Einigung im Rat kam allerdings zu einem hohen Preis. Zwar trägt der Rat den besseren Schutz von Betroffenen in vielerlei Hinsicht mit, er fordert aber einige folgenschwere Einschränkungen.

Rat streicht Vergewaltigung aus Gesetzentwurf

So wollte die Kommission eigentlich EU-weite, einheitliche Gesetze gegen Vergewaltigung schaffen. Der Entwurf der Kommission definierte Vergewaltigung als sexuelle Handlung ohne Einwilligung und schrieb:

Die Einwilligung kann während der Handlung jederzeit widerrufen werden. Das Fehlen der Einwilligung kann nicht allein durch das Schweigen der Frau, ihre fehlende verbale oder körperliche Gegenwehr oder ihr früheres sexuelles Verhalten widerlegt werden.

Der Rat konnte sich darauf allerdings nicht einigen. Ein Grund dafür: In manchen EU-Staaten verlangt das Recht, dass Betroffene zusätzliche Belege liefern müssen, etwa dass ihnen Gewalt angetan wurde oder dass sie bedroht wurden. Wie das Magazin Politico berichtet, gab es auch juristische Bedenken, ob die EU mit dem Vorhaben ihre rechtlichen Kompetenzen überdehne.

Statt einer alternativen Formulierung entschied sich der Rat dafür, den Artikel zu Vergewaltigung ersatzlos aus dem Entwurf zu streichen. Das bedeutet, die einzelnen Staaten sollen weiterhin ihre jeweils eigenen Gesetze anwenden. Einen EU-weiten Minimalstandard, wie die Richtlinie ihn etablieren würde, gäbe es an dieser Stelle nicht. Organisationen wie etwa der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) nennen das „schockierend“; davon gehe „eine völlig falsches Signal“ aus.

EU-Staaten machen sich für mehr Netzsperren stark

Auch an anderen Stellen möchte der Rat den Vorschlag der Kommission abschwächen und Betroffene schlechter stellen. Die Kommission schrieb: Behörden sollen Leitlinien herausgeben, beispielsweise wie Beamt:innen sensibel mit traumatisierten Betroffenen umgehen. Der Rat findet: Diese Leitlinien sollen nur freiwillig und nicht-bindend sein. Die Kommission schrieb: Täter:innen sollen Betroffene umfassend entschädigen, auch für die seelischen Folgen ihrer Taten, für Hilfsangebote und Rehabilitation. Der Rat hat viele Passagen zur Entschädigung gestrichen.

Beim Thema Netzsperren möchte der Rat den Vorschlag der Kommission erweitern. Aus dem Entwurf der Kommission geht hervor: Bei unter anderem bildbasierter Gewalt sollen Behörden auf Wunsch der Betroffenen auch Netzsperren anordnen können. Der Rat möchte dagegen, dass Behörden das auch ohne den Wunsch von Betroffenen veranlassen können.

Netzsperren gelten als problematisches Werkzeug im Kampf gegen illegale Inhalte im Netz. Hierzu gibt es den Grundsatz: Löschen statt Sperren. Löschen bedeutet, dass illegale Inhalte tatsächlich nicht mehr zugänglich sind, auch nicht mit technischen Tricks wie einem VPN-Dienst. Sperren bedeutet, dass Inhalte zugänglich bleiben. Der Rat hatte sich jüngst bei einem anderen Gesetzesvorhaben – der Chatkontrolle – für weniger Hürden bei Netzsperren eingesetzt.

Parlament: Ausschuss will Sexarbeit kriminalisieren

Als nächstes muss sich nun das EU-Parlament auf seine Position einigen. Auch hier zeichnet sich ab: Den besseren Schutz von Betroffenen trägt das Parlament in vielerlei Hinsicht mit. Doch besonders an einer Stelle zeichnet sich ein Streit ab. Aus einem gemeinsamen Entwurf zweier Ausschüsse Ende vergangenen Jahres geht hervor: Das Parlament könnte das Gesetz nutzen, um Rechte von Sexarbeiter:innen weiter einzuschränken. Der Entwurf stammt von LIBE (dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres) und FEMM (dem Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter).

Bei der Regulierung von Sexarbeit sind die Staaten der EU gespalten. Einige Staaten, darunter Deutschland, erlauben Sexarbeit. Andere Staaten kriminalisieren etwa das Anbieten oder den Kauf sexueller Dienstleistungen.

Aus grundrechtlicher Perspektive ist Sexarbeit legitim, sie stützt sich auf die Berufsfreiheit und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Anders versucht der Parlamentsausschuss in seinem Entwurf zu argumentieren. Er bezeichnet Sexarbeit pauschal als „sexuelle Ausbeutung“ und folgt damit inhaltlich einer Strömung, die als „sex worker exclusionary radical feminism“ bekannt wurde; das heißt übersetzt: radikaler Feminismus, der Sexarbeiter:innen ausschließt. Konkret geht aus dem Entwurf hervor: Es solle etwa eine Straftat sein, sexuelle Dienstleistungen zu kaufen oder durch die Sexarbeit anderer Geld zu verdienen.

Entschieden ist noch nichts, alle drei EU-Organe müssen sich letztlich gemeinsam auf das Gesetz einigen. Das Parlament könnte sich im Juli auf seine Position festlegen, hieß es in einem Briefing aus dem Frühjahr. Ab dann kann der Trilog starten, also die finalen Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat.

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3 Ergänzungen

  1. „Bei unter anderem bildbasierter Gewalt sollen Behörden auf Wunsch der Betroffenen auch Netzsperren anordnen können. Der Rat möchte dagegen, dass Behörden das auch ohne den Wunsch von Betroffenen veranlassen können.„

    Woher soll die Behörde, denn Wissen das es ohne Erlaubnis geposted wurde, wenn Betroffene nicht gefragt werden? Auch sehe ich hier sehr großes Missbrauchspotential, um andere Webseiten zu bedrohen. Wer kümmert sich rückwirkend um die Milliarden von Inhalten? Kann ja sein das es ohne Zustimmung geposted wurde.

    1. Das sollen die Behörden eben gar nicht wissen, die sollen einfach nach Belieben sperren können.

  2. Was ist denn bitte „bildbasierte Gewalt“? Verklagt Friedrich Merz bald die Karikaturisten, weil sie ihm Gewalt angetan haben, und Ihr feiert das?

    Bitte distanziert Euch endlich von den evangelikalen Porno-Feinden, auch wenn sie sich den Feminismus-Pelz anziehen um nett auszusehen. Danke Sebastian&Chris!

    Danke, dass Ihr den Begriff nun nicht mehr ohne Anführungszeichen und Gegenrede verwendet. Ihr seid ein seriöses Organ geworden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.