Zentrum für politische SchönheitMit dem Phishing-Paragrafen gegen Aktionskunst

Die Hausdurchsuchungen bei Berliner Aktionskünstlern werden mit einem Paragrafen begründet, der sonst bei Online-Betrug zur Anwendung kommt. Die Künstler vermuten, dass das nur ein Vorwand ist.

Fischförmiger Angelköder wird in der Hand gehalten.
Der Köder schmeckte dem Fisch: In diesem Fall der AfD, die bei einer vermeintlich kostengünstigen Verteilung ihrer Flyer anbiss. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Trophy Technology

Die Razzia bei der bekannten Aktionskünstlertruppe Zentrum für politische Schönheit (ZPS) hat für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt. In den Morgenstunden des Donnerstags hatten Beamte des Staatsschutzes vom Berliner Landeskriminalamt eine Privatwohnung und ein Atelier aus dem Umfeld des ZPS durchsucht und Datenträger, Computer und Smartphones beschlagnahmt.

Die Aktionskünstler hatten im Bundestagswahlkampf der rechtsradikalen AfD eine falsche Flyer-Verteilfirma mit dem Namen Flyerservice Hahn vorgetäuscht und waren so an Millionen Flyer der Partei gelangt, die sie dann nicht verteilten. Dafür richteten sie eine Website für das fingierten Unternehmen ein, dort hieß es nach Bekanntgabe der Aktion, man sei „Weltmarktführer im Nicht-Verteilen von Nazi-Flyern“

Wie aus dem Durchsuchungsbeschluss hervorgeht, ermittelt die Staatsanwaltschaft nun auf Basis einer Anzeige wegen dieser Aktion. Der Verdacht lautet: Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 des Strafgesetzbuchs. Der Paragraf ist quasi die elektronische Form der Urkundenfälschung und kommt beispielsweise bei Phishing-Straftaten zum Tragen.

Phishing ohne Betrugsabsicht?

Bei Phishing treten Straftäter unter falscher Identität auf und fälschen zum Beispiel die Mail einer Bank, um an Login- oder Kontodaten ihrer Opfer zu gelangen. Auch wer ein eBay-Konto unter falschem Namen eröffnet, kann sich nach § 269 StGB strafbar machen.

Normalerweise gehe es bei diesem Paragrafen in fast allen Fällen um Betrug mit Aneignungsabsicht, sagt ZPS-Sprecher Stefan Pelzer gegenüber dem Spiegel. „Wir sind keine Computerbetrüger, wir haben keinen Profit gemacht. Bei uns steht das Kunstprojekt im Mittelpunkt.“

Container mit blauen AfD-Flyern
Nach eigenen Aussagen gelangte der fingierte „Flyerservice Hahn“ an 72 Tonnen Flyer der AfD. - Alle Rechte vorbehalten IMAGO / A. Friedrichs

Dass es bei den Ermittlungen nicht um Betrug geht, sagt auch eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft dem Nachrichtenmagazin. Die Flyerfirma der Künstler nahm von der AfD kein Geld und bot der rechten Partei darüber hinaus sogar an, die Flyer kurz vor der Bundestagswahl zurückzugeben. Weil die Aneignungsabsicht fehlte, blieb der Staatsanwaltschaft offenbar nur der Phishing-Paragraf gegen die Kunstaktion.

„Angriff auf die Kunstfreiheit“

Die verteidigt die Hausdurchsuchung gegenüber dem Spiegel. Es sei eine Grundrechtsabwägung und für eine Durchsuchung reiche ihr schon ein Anfangsverdacht. Bei „klassischen Betrugshandlungen im Internet, die mit diesem Paragrafen einhergehen, sind Durchsuchungen nicht unüblich“, so die Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft gegenüber dem Nachrichtenmagazin. Nur, dass es in diesem Fall keinen Betrug gab, sondern nur die Vortäuschung einer nichtexistenten Firma.

Die Anwälte der Künstler sagen, dass die im Beschluss genannten Gründe vorgeschoben wirken: „Die Vorwürfe reichen vermutlich nicht einmal für eine Klagerhebung aus.“ Die Künstler selbst halten die Durchsuchung für einen politischen Skandal. „Wir rufen die gesamte Zivilgesellschaft dazu auf, diesen Angriff auf die Kunstfreiheit abzuwehren“, heißt es in einer Presseerklärung. Pelzer sagt gegenüber netzpolitik.org, dass die Ermittlungen auch ein Vorwand sein könnten: „Mit diesem Verfahren kann der Staatsschutz unsere Strukturen durchleuchten und gleichzeitig versuchen, uns einzuschüchtern.“

Mediale Brisanz der Durchsuchung

Staatsanwaltschaft und Polizei muss die Brisanz der Durchsuchung bewusst gewesen sein. Sie informierte die Polizeipräsidentin Barbara Slovik schon vorher über das Vorgehen, bestätigt die Pressestelle der Berliner Polizei gegenüber netzpolitik.org.

Ob die neue Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) über den Vorgang informiert war, wollte sie nicht beantworten. Die Pressestelle antwortete auf die Ja/Nein-Frage von netzpolitik.org mit einem Statement, dass die Senatorin sich nicht einmische und reagierte nicht mehr auf eine konkrete Rückfrage. Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke) wollte sich auf eine Presseanfrage von netzpolitik.org nicht äußern, was er von Hausdurchsuchungen bekannter Künstlergruppen halte.

Das Zentrum für politische Schönheit hat unterdessen eine Beschwerde gegen die Razzia eingelegt, wie die Gruppe auf Twitter berichtet. Sie hält die Maßnahme für rechtswidrig und sagt: „Das Gericht scheint dem Durchsuchungsbeschluss schlichtweg die Strafanzeige der AfD ohne weitere Ermittlungstätigkeit oder rechtliche Abwägung / Prüfung zugrundegelegt zu haben.“

9 Ergänzungen

  1. „Die Flyerfirma der Künstler nahm von der AfD kein Geld und bot der rechten Partei darüber hinaus sogar an, die Flyer kurz vor der Bundestagswahl zurückzugeben.“

    Oops. Wobei, was für ein Angebot war denn das? Wie ist das semantisch da so abgegangen?

    Haben die dargelegt, die Flyer nicht zu verteilen, oder wie?

    1. Vor allem gilt hier Handelsrecht,das dürfte auch zivilrechtlich interessant und vermutlich teuer werden…

      1. Ist das wirklich so, wenn sie es doch kostenlos gemacht haben? Aber auch wenn zivilrechtlich am Ende Schadenersatz zu zahlen sein soltle, wieso gibt’s dafür eine Hausdurchsuchung? Die Staatsanwaltschaft ermittelt ja nicht in Zivilsachen.

        Und der Anfangsverdacht wegen § 269 ist vielleicht erstmal nicht blöd, aber bei genauerem Hinschauen doch wirklich dünn. Mein Studium ist lange her und ich bin kein Anwalt, aber eine Urkunde soll nach meiner Erinnerung der Beweiskraft einer rechtlichen Tatsache dienlich sein können. Aber: Eine Homepage beweist doch gar nichts, sie ist keine Urkunde über eine Firmengründung oder ein Auszug aus dem Handelsregister. Die HP erweckt vielleicht einen Anschein, aber das ist auch schon alles. Opfer von Fake-Shops im Netz können davon ein Lied singen, wenn sie bemerken, dass die bezahlte Ware nie ankam. Den Tätern wirft man dann aber Betrug (mit Schädigungs- UND Aneignungsabsicht) vor, nicht die Fälschung von beweiserheblichen Daten zur Täuschung im Rechtsverkehr.

        1. Die Flyer sind ja kaputt. Also haben die Künstler einen Wert vernichtet, sowie möglicherweise in die Bundestagswahl eingegriffen, wobei da natürlich das Timing im Bezug auf die Wahl auch eine Rolle spielt. Eine Partei mit Organisiertheit o.ä., hätte sicherlich den Status überprüft und eine Art Strategie für den Fall der Fälle, zumindest auf Landesebene (ein Lager kann mal abbrennen, Autounfall, alle haben Covid, etc.).

          1. – das zps hat der rechten Partei unverbindlich angeboten günstig Flyer zu verteilen und eine Adresse genannt
            – die rechte Partei hat ihnen daraufhin ohne Angebot, Auftrag, Rechnung, Vertrag oder ähnliches was Grundlage für ein rechtsverbindliches Geschäft sein könnte Millionen Flyer an die Adresse gesendet
            – das zps hat dann mitgeteilt, dass sie die Flyer nicht mehr vor der Wahl verteilen können und angeboten diese zurück zu geben
            – die rechte Partei hat die Flyer nicht wieder haben wollen
            – das zps hat den Papiermüll daraufhin auf eigene Kosten zu Kunst gemacht und entsorgt

            Die rechte Partei ist es scheinbar gewohnt Angebote von rechts gesinnten Unternehmen anzunehmen, so dass sie sich hier keinerlei Gedanken gemacht haben und aus unternehmerischer Sicht sehr verantwortungslos gehandelt.

          2. „das zps hat dann mitgeteilt, dass sie die Flyer nicht mehr vor der Wahl verteilen können und angeboten diese zurück zu geben“

            Dann wäre es tatsächlich sehr dämlich von der AFD dort gewesen. Daraus wiederum etwas zu konstruieren wäre dann irgebdwo zwischen Steuergeldverschwendung, Rechtsbeugung und Hochverrat (siehe Dänemark: mit den im Kontext der Verfassung lokal betrachtet Bösen zusammenarbeiten).

          3. Mach Dich mal schlau ueber den Unterschied zwischen HGB und BGB, Du wirst Dich wundern.

            Als Firme zu agieren hat diverse Nebenwirkungen, auch wenn es nur eine Scheinfirma ist.

          4. Das kommt schon auf das Timing drauf an. Sind dann Wochen dazwischen gewesen oder noch Tage (s.u.)…

  2. „Weil die Aneignungsabsicht fehlte, blieb der Staatsanwaltschaft offenbar nur der Phishing-Paragraf“ Eine Aneignungsabsicht ist im Bereich des Diebstahls relevant, nicht beim Betrug. Aneignungsabsicht hat mit der Bereicherungsabsicht nur den Namen gemein: „Hierfür genügt es, dass es dem Täuschenden auf den Vermögensvorteil als sichere und erwünschte Folge seines Handelns ankommt, mag der Vorteil auch von ihm nur als Mittel zu einem anderweitigen Zweck erstrebt werden. Nicht erforderlich ist, dass der Vermögensvorteil die eigentliche Triebfeder oder das in erster Linie erstrebte Ziel seines Handelns ist.“ Bericherungsabsicht ist die Vorstellung des Täters, rechtswidrig einen Vermögensvorteil zu erlangen. Der Vermögensvorteil muss die unmittelbare Kehrseite des Schadens sein („Stoffgleicheit“).

    Ein bayrischer Staatsanwalt hätte sicher hier kein Problem gesehen: Die Weggabe der Flyer durch die Getäuschten entspricht dem Zugang der Flyer bei den Täuschenden. Dass die Flyer einen Tag vor der Wahl (laut PM der AfD damals) zurückgegeben am werden hätten sollen, ändert nichts an der Tatsache, dass die Tat vollendet wurde spätestens mit der fehlenden Möglichkeit die Flyer zu verteilen.

    Die Berliner Staatsanwaltschaft ist da ein wenig skrupulöser, denn in der Kommentarliteratur wird diese Konstellation mangels Rechtsprechung durchgespielt: „An der Bereicherungsabsicht fehlt es, wenn die Tat allein auf die Zufügung eines Nachteils für das geschädigte Vermögen oder der verursachung von Aufwand, Unruhe oder Unnehmlichkeiten für eine Dritten abzielt“

    Wie gesagt, im Bereich des Betrugs ist schwieriger einen Dursuchungsbeschluss zu begründen, weil es mehr rechtliche Unwägbarkeiten gibt als beim § 269 StGB. Und die Urteilsschelte, dass der Richter „besoffen“ gewesen sei, ist peinlich für das „ZPS“ und wir werden beim Prozess sehen, ob nun Betrug mit auf Zettel steht. Die Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft sieht das Vorliegen eines Betrugs auch im Raum stehen.

    vorl Nach dem Leitkommentar

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