VorratsdatenspeicherungNein zum milliardenfachen Datenhorten

Die Verbindungs- und Standortdaten der Kommunikation dürfen nicht anlasslos weggespeichert werden – ein Sieg für die Grundrechte. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung sollte aber auch Anlass sein, über die inhärenten Gefahren von massenhaften Datenhalden nachzudenken. Ein Kommentar.

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Durchdigitalisiert. (Symbolbild) – Vereinfachte Pixabay Lizenz Gerd Altmann

Die Idee war von jeher monströs: das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung wegzuspeichern, um in Kriminalfällen mit diesen Daten ermitteln zu können. Das höchste Gericht Europas hat die Rechtswidrigkeit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung nun erneut festgestellt. Das Urteil ist ein klarer Sieg für die Grundrechte. Aber dass es so viele Jahre, mehrere höchstrichterliche Urteile, massive Proteste und einen wirklich langen juristischen Atem gebraucht hat, um die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland vorerst zu begraben, ist fatal. Denn es ist ein Zeichen dafür, dass ein Teil der politischen Parteien den Kompass in Fragen massenhafter Überwachung verloren hat. Es sind die drei ehemaligen Volksparteien CDU, CSU und SPD, die über Jahre hinweg die anlasslose Vorratsdatenspeicherung protegiert haben.

Wider besseren Wissens hatten sie 2015 eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Es war nur ein Jahr, nachdem der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie zur anlasslosen Datenspeicherung gekippt hatte. Dass eine solche Speicherung rechtlich nicht mit den Werten der EU vereinbar ist, war schon damals klar. Die Große Koalition hat sich aber entschieden, das zu ignorieren.

Der Justizminister muss Wort halten

Rechtlich ist die anlasslose Vorratsdatenspeicherung schon länger begraben. Nun muss die massenhafte Speicherung der Telekommunikationsdaten auch politisch beerdigt werden. Nach Ende der Merkel-Ära ist die Chance dafür nun gegeben. Der liberale Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Urteils bereits an, die Vorratsdatenspeicherung „endgültig“ aus dem Gesetz zu streichen. Dieses Wort muss er halten.

Doch das Urteil sollte Anlass sein, auch andernorts das milliardenfache Horten von Daten zu hinterfragen. Denn dass sich aus Vorratsdaten aussagekräftige Profile errechnen lassen, ist unumstritten. Das ist aber längst nicht auf Telekommunikationsdaten beschränkt: Detaillierte Bewegungs- oder Sozialprofile lassen sich aus anderen massenhaften Informationshäppchen gewinnen. Beispiele dafür liegen auf der Hand: etwa die kürzlich als rechtswidrig gebrandmarkte Vorratsdatenspeicherung der Passagierdaten oder die zwangsweisen massenhaften Biometrie-Sammlungen. Auch aus ihnen und weiteren Datensammlungen können aussagekräftige Profile und Zusatzinformationen über Personen hervorgehen.

Und nicht zuletzt muss erneut darauf hingewiesen werden: Abgespeicherte Massendaten sind immer auch ein inhärentes Sicherheitsproblem. Denn wir leben nicht nur in einer Zeit, in der einigen Politikern offenbar der Sinn dafür fehlt, dass wegen der allseitigen Digitalisierung die anfallenden Daten nicht etwa zu ihrer freien Verfügung stehen, sondern auch in einer Zeit einer strukturellen IT-Sicherheitskrise. Jeden einzelnen Tag können wir nachlesen, wo wieder diese und jene Sicherheitslücken entdeckt wurden oder wo massenhaft Daten abflossen. Es ist so häufig geworden, dass selbst bei Millionen Betroffenen kaum mehr ein Hahn danach kräht. So sind solche Datenhalden wie bei der Vorratsdatenspeicherung eben auch ein Sicherheitsrisiko. Schon deswegen sollte man sich von der Idee des massenhaften Wegspeichern ohne Anlass tunlichst verabschieden.

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10 Ergänzungen

  1. Man mag sich fragen, wie es denn wiederholt sein kann, dass SPD-Innenminister von Bürgerrechten nicht mehr viel wissen wollen, sobald sie den Amtseid abgelegt haben. Mag sein, dass sie ihren Job besonders gut machen wollen, doch in wessen Interesse? Die Frage ist wichtig, denn in einer repräsentativen Demokratie geht die Legitimation vom Wähler aus. Wer anlasslose Vorratsdatenspeicherung weiterhin will, der ist schlicht inkompatibel mit der Rechtsauffassung höchstrichterlicher Urteile.

    Man mag sich fragen, welche Kreise die SPD denn in solchen Dingen berät und beeinflusst. Nun es sind die Führungspersönlichkeiten der Sicherheitsorgane selbst. Es sind deren Interessen, dass sie schlicht ihren Job erledigt kriegen. Und wenn der rechtliche Rahmen als zu eng gefühlt wird, so verlangt man mehr Beinfreiheit.

    Interessant sind in diesem Zusammenhang Interviews von Personen, die es aus den Sicherheitsorganen in die SPD geschafft haben, um dort Interessenvertretung voranzutreiben. Heute hat nach dem EUGH-Urteil Sebastian Fiedler (Kriminalhauptkommissar, ehem. Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, seit 2021 SPD-MdB. ) dem DLF ein sehr aufschlussreiches Interview gegeben, dass es lohnt, analysiert zu werden:

    https://download.deutschlandfunk.de/file/dradio/2022/09/20/eugh_zur_vorratsdatenspeicherung_interview_sebastian_fiedler_dlf_20220920_1220_607361aa.mp3

    Dabei geht es u.a. um die Frage, was denn eigentlich ein Anlass ist. Tja!

    1. In einem Interview mit dem DLF wurde Frau Faeser gefragt, wen sie denn in der SPD auf ihrer Seite habe, Frau Esken vertrete ihre Position ja nicht. Sie antwortet, dass sie „einige meiner Parteikollegen auf meiner Seite habe, und ich weiß auch dass der Bundeskanzler das Erheben der IP-Adressen für richtig hält.“

      https://www.deutschlandfunk.de/interview-mit-nancy-faeser-spd-bundesinnenministerin-vorratsdatenspeicherung-dlf-05877789-100.html

      1. Auch der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) sieht nach dem Urteil vom Dienstag Möglichkeiten zur Speicherung von IP-Adressen. Er erwarte, dass diese Spielräume genutzt werden, sagte Holger Münch in der Nacht zum Mittwoch im „heute journal update“ des ZDF.

        Die Möglichkeit der Identifizierung ist nach Münchs Worten bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch von Kindern oder Hass und Hetze im Netz wichtig.

        Zudem werde Kriminalität „immer digitaler“, unterstrich der BKA-Präsident. Eine Mindest-Speicherfrist sei „erforderlich, will man Straftaten erfolgreich bekämpfen“, machte Münch deutlich.

        1. Die SPD ist die Partei der kleinbürgerlichen Spießer, „Ordnung“ geht über alles, Abweichungen sind der Horror. Damit ist maximale Kontrolle ganz natürlich, wie in jeder Schrebergartenanlage.

          Und wie im jeder Schrebergartenanlage gilt für den Vorstand: kleinlich im Kleinen und großzügig im Großen. Die Armen via Harz IV im Zweifel erstmal unter die Existenzgrundlage sanktionieren, den Reichen Millionen hinterzogener Cum-Ex Gewinne schenken.

  2. Ich möchte diesen Kommentar noch mit einer klaren politischen Forderung untermauern:

    – der Handel mit personenbezogenen Daten sollte grundsätzlich (die Juristen verwenden dieses Wort m.M.n. falsch. Sie meinen hier „generell“ im Kontrast zu „im Speziellen“, aber naja…) rechtswidrig sein
    – davon gibt es per Gesetz festgeschriebene Ausnahmen (Journalismus, Kunstfreiheit, wiss. Freiheit, medizinische und vertragsrechtliche Dokumentationsnotwendigkeiten (Grundbücher etc.) etc.)

    Das wird für alle Beteiligten ganz fürchterlich bitter werden, aber wenn wir uns als Gesellschaft nicht in die Bedeutungslosigkeit abschießen wollen, sehe ich das als eines der zentralen Projekte der nächsten Jahrzehnte an. Die allgemeinen Menschenrechte sind mit dem massenweisen Handel von personenbezogenen Daten erstmal nicht vereinbar. Die Verfügbarkeit von Personen- und Persönlichkeitsprofilen wird immer unvereinbare Begehrlichkeiten wecken, weshalb es auch die Verfügbarkeit ist, die reduziert werden muss. Daten die ich nicht habe oder nicht handeln darf, kann niemand (legal) zweckentfremden.

  3. „Die Idee war von jeher monströs: das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung wegzuspeichern, um in Kriminalfällen mit diesen Daten ermitteln zu können.“ Ich weiß gar nicht, welche Plan ich monströser finden soll: Letzteren oder die Absicht sämtlichen elektronischen Textverkehr vollautomatisiert zu durchleuchten. Verharmlosend wird dabei in der öffentlichen Diskussion auf Chats abgestellt, aber eine Erweiterung auf E-Mails ist nur eine Frage juristischen Wollens. Es ist beruhigend, dass die innenpolitischen Hardliner, zu denen mittlerweile auf Nancy Faeser gezählt werden muss, zur Vorratsdatenspeicherung erneut eine deutliche Absage vom EuGH bekommen haben.

  4. Im Prinzip gilt dasselbe auch für das Geldwäschegesetz. Das hat auch mal harmlos angefangen und heute ist der anonyme Kauf nur noch mit günstigen Artikeln möglich.

    1. Wer ausreichend Mittel hat, kauft natürlich weiterhin de facto anonym in beliebiger Größenordnung: über eine Firma irgendwo ohne praktisch verfolgbare Eigentumsverhältnisse.

  5. Mir geht es an der Stelle weniger um die lokalen Politiker:innen und Institutionen als um die Mega-Corps, welche Multi-National eben viel größere Mengen an Daten horten und verknüpfen und verkaufen dürfen. Auch ins Ausland. Auch von Uns. Daher ist die Vorratsdatenspeicherung leider zu wenig, zwar wichtig aber spiegelt nicht die Realität ab. Wenn Ring, Amazon, Facebook und Apple oder Google die Daten von den Smartphones sammeln. Ist das leider viel mehr Info als jene der Vorratsdatenspeicherung und diese ich schon wichtig… nur leider fallen die anderen hinten runter und sind dank über griffiger EULA oft legitimiert, liest ja niemand.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.