Illegale ÜberwachungPegasus-Skandal löst Erdbeben in Israel aus

In Israel hat die Polizei jahrelang die eigenen Bürger:innen überwacht – ohne dafür eine Rechtsgrundlage zu haben. Zu den Opfern sollen zivilgesellschaftliche Gruppen, ranghohe Beamt:innen und das Umfeld von Ex-Premierminister Benjamin Netanyahu zählen. Nun sollen Untersuchungen Licht in den zwielichtigen Skandal bringen.

Die Regierung des israelischen Premierministers Naftali Bennett muss nun einen handfesten Überwachungsskandal aufarbeiten. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Xinhua

Jüngst enthüllte das Fachmedium Calcalist, dass die israelische Polizei Teile der eigenen Bevölkerung unrechtmäßig mit der Spionagesoftware Pegasus ausgespäht hat. Allerdings war zunächst nur wenig darüber bekannt, welche Personen genau betroffen waren. Das ändert sich nun: Calcalist wurde eine umfangreiche Liste an betroffenen Personen zugespielt.

Damit lässt sich allmählich das Ausmaß des Ausspähungsskandals abschätzen. Demnach seien Journalisten, Minister, Manager, Bürgermeister, Aktivisten, Mitglieder gesellschaftlicher Minderheiten sowie Verwandte des ehemaligen Premierministers Benjamin Netanyahu Ziel der Überwachung gewesen.

Vorgegangen sei die verantwortliche Spezialeinheit der Polizei ohne gesetzliche Grundlage, schreibt Calcalist, ohne Quellen zu nennen. Eine notwendige richterliche Genehmigung habe die Einheit nicht eingeholt – wohl unter der Annahme, dass diese nicht erteilt worden wäre, so die Zeitung.

Politisches Erdbeben weitet sich aus

Die Polizei streitet die Vorwürfe ab, trotz inzwischen eingestandener Unregelmäßigkeiten beim Einsatz des Staatstrojaners. Eine erste interne Untersuchung habe ergeben, dass nur eines der 26 von Calcalist genannten Opfern tatsächlich gehackt worden sei. Hierbei hätte ein unabhängiger Richter grünes Licht gegeben, so der an den Premierminister Naftali Bennett adressierte Polizeibericht.

Die Vorwürfe haben in Israel ein politisches Erdbeben ausgelöst – schon allein, weil die Enthüllungen den derzeit laufenden Korruptionsprozess gegen den Ex-Premier Netanyahu gefährden könnten. Der seit dem Sommer 2021 amtierende Premier Bennett hat bereits eine rasche Untersuchung durch das Justizministerium angekündigt, auch das Parlament und die Geheimdienste wollen sich die Sache genauer ansehen.

Im Inland setzt die israelische Polizei den Staatstrojaner Pegasus seit 2015 ein. Mit der Software lassen sich so gut wie alle Daten eines infizierten Handys umfassend und unbemerkt auslesen, was einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre bedeutet. Laut anonymen Quellen habe die Polizei in den letzten zwei Jahren rund 100 Personen jährlich mit dem Spähwerkzeug überwacht, berichtet die New York Times.

Die missbräuchliche Nutzung der mächtigen Spionagesoftware Pegasus hat in den letzten Jahren zu einer Reihe an Skandalen in aller Welt geführt. Wiederholt ließ sich nachweisen, dass mit dem Werkzeug der israelischen NSO Group, das offiziell für den Einsatz gegen Organisierte Kriminalität und Terrorismus angepriesen wird, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Oppositionelle überwacht wurden. Zu den Kunden des Überwachungsunternehmens sollen auch deutsche Behörden wie das Bundeskriminalamt und der Bundesnachrichtendienst gehören.

Frühe Informationen wichtiger als jede Rechtsgrundlage

Ohne einen gerichtlichen Beschluss darf nur der Inlandsgeheimdienstes Schin Bet solche Spionageoperationen innerhalb Israel durchführen – und dann nur zur Verhinderung von Terroranschlägen. Die von der Polizei auf diese Weise erhaltenen Informationen seien daher vor Gericht unbrauchbar, schreibt Calcalist. Um diese reinzuwaschen, habe die Polizei anschließend zumeist eine „richtige“ Untersuchung in die Wege geleitet. Die daraus resultierenden Beweise konnte sie dann vor Gericht verwenden.

Intern sei den beteiligten Polizisten kommuniziert worden, dass das Ziel der Ausspähungen sei, Informationen möglichst früh erhalten. Dies sollte helfen, potenzielle Gefahren bereits im Vorfeld zu identifizieren. Auch über Demonstrationen wolle die Einheit im Voraus umfassend Bescheid wissen, um etwaige gewaltvolle Proteste zu verhindern. Dieser Version setzt Calcalist entgegen:

In jedem demokratischen Land gelten Proteste als unabdingbares Recht, seine Meinung zu äußern, und als wichtiges Instrument, um die Macht der herrschenden Regierung auszugleichen. Für die israelische Polizei jedoch wurden Proteste und Demonstrationen, unabhängig vom Grund, als tatsächliche Bedrohung betrachtet.

Ins Visier der Spezialeinheit gerieten noch weitere zivilgesellschaftliche Gruppen: So seien Aktivist:innen ausgespäht worden, welche sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung einsetzten. Weiter habe sie die Smartphones äthiopisch-stämmiger Israelis gehackt. Jene hatten wiederholt gegen ihre schlechte Behandlung durch die Polizei demonstriert.

Wie Calcalist berichtet, seien auch hochrangige Beamte mit Pegasus überwacht worden. So habe die Polizei die Generaldirektorin des Finanzministeriums Keren Turner sowie ihren Vorgänger Shai Babad bespitzelt: Es sei befürchtet worden, dass die beiden geheime Dokumente an Journalist:innen weitergeben könnten. Zudem wurde die hochrangige Beamtin Emi Palmor aus dem Justizministerium zum Ziel der Spionage. Diese hatte seit 2016 wegen Rassismus-Vorwürfen gegen die Polizei ermittelt. Sie befürchtet nun, dass die Polizei nach Gründen gesucht habe, sie ihres Amtes zu entheben.

Staatstrojaner im Gerichtssaal

Drastische Folgen könnten die Enthüllungen auch für den laufenden Korruptionsprozess gegen den Ex-Premier Netanyahu haben. Die Ermittlungen hatte die israelische Sicherheitsbehörde (Israel Securits Authority, ISA) eingeleitet, weil es illegale Absprachen zwischen Netanyahu und dem Chef der Telekommunikationsgesellschaft Bezeq, Shaul Elovich, gegeben haben soll. Als Gegenleistung für Wettbewerbsvorteile habe Elovich dafür gesorgt, Netanyahu in der eigenen Berichterstattung vorteilhafter darzustellen, so der Vorwurf.

Im Rahmen der Ermittlungen sei es zur Ausspähung vieler beteiligter Personen gekommen, darunter der Generalsekretär des Kommunikationsministeriums sowie hochrangige Angestellte Bezeqs. Dies sei kein Zufall – die ISA soll gute Verbindungen zu der Spezialeinheit der Polizei haben. Die Einheit sei außerdem nicht davor zurückgeschreckt, Zeugen auszuspionieren, um die Plausibilität ihrer Statements zu überprüfen. Dabei sollen auch Journalist:innen zum Ziel der Spionage geworden sein – alles ohne gerichtlichen Beschluss. Die gewonnenen Informationen habe die Einheit an die verantwortlichen Ermittler weitergegeben, ohne dass sie deren Ursprung preisgaben.

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