Als Eric Leandri 2011 die Suchmaschine Qwant gründete, wurde er in Europa mit Vorschusslorbeeren und Fördergeldern überhäuft. Das Unternehmen wurde als europäischer Gegenpol zu Google und als Symbol digitaler Souveränität gefeiert. Es löste dieses Versprechen jedoch nie ein, sondern nutzte Microsofts Technologie von Bing für seine Suche und ist heute mit 47 Millionen Euro verschuldet. Eine große investigative Recherche von Politico (English) zeigt nun, dass die Geschichte noch viel dramatischer ist als gedacht.
Nicht nur nahm Qwant in finanziellen Nöten Gelder des chinesischen Konzerns Huawei an, sondern sein Gründer verließ Anfang 2020 das sinkende Schiff und baute ein privates Überwachungs- und Spionageunternehmen mit dem Namen Altrnativ auf. Politico konnte für die umfangreiche Recherche 4.000 Dokumente einsehen. Sie zeigen wie Leandris neues Unternehmen Kritiker, Konkurrenten und Mitarbeiter großer französischer Marken ausspionierte. Gleichzeitig soll das Unternehmen geplant haben, Staatstrojaner und Drohnen autoritären afrikanischen Regierungen in Zusammenarbeit mit Waffenhändlern aus Polen und dem Nahen Osten anzubieten.
Weiter heißt es in der Recherche:
In den weniger als drei Jahren seit der Gründung des Unternehmens hat sich Altrnativ als Anbieter von Open-Source-Intelligence oder OSINT etabliert, einer Form digitaler Ermittlungen, bei der in der Regel öffentlich verfügbare Informationen zusammengestellt und analysiert werden. So überwachte Altrnativ beispielsweise die Social-Media-Aktivitäten von Kritikern des Luxuskonzerns LVMH [Louis Vuitton Moët Hennessy] und des Speiseölriesen Lesieur, was laut Leandri ein Probelauf für die Arbeit mit anderen Krisenmanagement- und privaten Sicherheitsunternehmen war.
Als europäische Palantir-Alternative positioniert
Zu den Kunden des Überwachungsunternehmens gehörten auch Rüstungskonzerne, zum Beispiel auf der Suche nach undichten Stellen. Im öffentlichen Sektor soll sich Altrnativ an einem Plan des französischen Innenministeriums beteiligt haben, um Big-Data-Werkzeuge für Geheimdienste zu entwickeln. Das Projekt zielte laut Politico darauf ab, ähnliche Software zu schaffen wie die von Peter Thiels Palantir. Altrnativ präsentierte sich als souveräne Alternative zum berüchtigten, von der CIA mitfinanzierten Unternehmen.
Gegenüber Politico sagte Leandri, dass er die Privatsphäre „weiterhin sehr stark“ verteidige. „Das hält mich nicht davon ab, mit Palantir zu konkurrieren und Software zu entwickeln, die riesige Datenmengen verwalten kann, weil ich glaube, dass die Souveränität eines Landes, eines Landes wie Frankreich, wichtig ist.“
Illegaler Zugriff auf private Korrespondenz
Leandri, der 2011 bis 2015 wegen Hehlerei mit europäischem Haftbefehl gesucht wurde, pflegte laut Politico enge Kontakte zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron, sowie Mitarbeitern und Abgeordneten von dessen Partei.
In einem weiteren Verfahren im Juli dieses Jahres wurde Leandri wegen illegalen Zugriffs auf die private elektronische Korrespondenz eines ehemaligen Qwant-Geschäftspartners Jean-Manuel Rozan von einem französischen Gericht verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nachdem Politico mit Leandri für die Recherche Kontakt aufgenommen hatte, versuchte jemand in Dutzenden von Fällen, die Online-Konten eine:r Reporter:in zu hacken, der:die an dieser Geschichte arbeitete.
Dass es Leandri trotz dieser Vorgeschichte gelungen ist, bekannte Marken und den französischen Staat weiterhin als Kunden zu haben, liegt laut Politico an den „hochrangigen Kontakten, die er während seiner Zeit im Herzen der französischen Tech-Industrie gesammelt“ habe und daran, dass er ehemalige französische Beamte eingestellt habe.
Lenadris Mär vom Kampf für die Privatsphäre dürfte mit dieser Recherche allerdings endgültig Geschichte sein.
Naja. Förderung und Loorbeeren sind oftmals nicht relevant für die Relevanz.
Das ist so wie Investoren, die weder über die Unternehmen in die sie investieren, noch über die Börse etwas wissen. Nicht ganz so, weil dort offenbar in PR investiert wurde.
Wir sollten kein Google wollen. Wir sollten Infrastruktur mit Universitäts- und allerlei Registeranbindung wollen. Also das Ganze ohne tracking, dafür in funktionierend und mit Transparenz. Die Zugriffslogik der Staatsapparate führt „dasselbe in Grün“ nun mal ad absurdum, auch wenn es nach europäischen Gesetzen funktionieren würde. Abgesehen davon, das Google etwas mehr (geworden) ist, als eine Suchmaschine.
Betreiber von Suchmaschinen können prinzipiell analysieren, wer sich für was interessiert. Anhand mehrerer Suchanfragen werden auch Motivationen von Benutzern deutlich, warum ein Interesse besteht.
Das einträgliche Nebengeschäft mit Werbung kann auch für De-Anonymisierung von Suchenden hilfreich sein.
Wer im Internet sensible Recherchen anstellt muss sich im Klaren darüber sein, dass er dabei selbst analysiert wird.
Werden ansonsten seltene Suchanfragen auch nur vorübergehend plötzlich „heiß“ können Rückschlüsse auf Arbeitsgruppen möglich werden. Ja, Suchanfragen können als Sensoren ausgewertet werden und sind als Frühindikatoren zur Überwachung geeignet.
Wow… Das lässt mich schon einigermaßen erschrocken zurück.
Doch weiters würde mich interessieren ob Qwant selbst dadurch in Abruf gerät und wie verhängnisvoll die Kooperation mit Bing unterm Aspekt der Datensparsamkeit ist.
Sind da evtl. positive firmeninterne Entwicklungen bekannt oder absehbar?
Selbst habe ich immer gern Qwant genutzt, daher schmerzt das schon ein bissl…
> Doch weiters würde mich interessieren ob Qwant selbst dadurch in Abruf gerät und wie verhängnisvoll die Kooperation mit Bing unterm Aspekt der Datensparsamkeit ist.
Einschätzungen hierzu interessieren mich auch.
Dass es MS Bing Suchergebnisse sind war mir bekannt – EU Rechtsrahmen (GDPR) und die Annahme, dass keine Übermittlung meiner personenbezogenen Daten zu MS stattfindet oder zur werblichen Nutzung hat mir gereicht.
Mir ist in den letzten Monaten aufgefallen, dass Qwant auf Mobilgeräten bei Verwendung als Standardsuchmaschine (iOS, Android) ’sponsored links‘ angezeigt hat, weswegen ich auf Startpage/DuckDuckGo gewechselt bin.
Die prägnante Nennung von Qwant im Titel passt mMn nicht gut zum thematischen Schwerpunkt des Artikels.
Euer Bemühen ums korrekte Gendern in allen Ehren, aber bei einem Bezug auf einzelne konkrete Personen ist das Kokolores!
Zitat: „… Nachdem Politico mit Leandri für die Recherche Kontakt aufgenommen hatte, versuchte jemand in Dutzenden von Fällen, die Online-Konten eine:r Reporter:in zu hacken, der:die an dieser Geschichte arbeitete.“
Das lässt einen ratlos zurück. War das nun ein Mann (Reporter) oder eine Frau (Reporterin), der/die gehackt wurde?
Im englischen Text von Politico steht: „After POLITICO contacted Leandri, someone made dozens of attempts to hack into the online accounts of a reporter working on this story.“ Das kann im englischen eine Reporterin oder ein Reporter sein. Bei einer Meldung wie dieser bleibt jetzt auch nicht so viel Zeit, um deswegen extra bei Politico nachzufragen, welches Geschlecht die Person hat. Das Gendern ist also an der Stelle korrekt, auch wenn es etwas schräg an der Stelle ist.
Also Qwant als Suchmaschine hab ich nie wirklich verwendet, würde ich auch nicht wirklich vermissen. Die Firma hat aber ein sehr schönes Frontend für OpenStreetMap hervorgebracht: Qwant Maps. Zum Glück ist das komplette Open Source, aber als Hosting für eine Einzelperson glaub ich schwer zu stemmen…