Der EU-Ministerrat hat am heutigen Montag das Digitale-Märkte-Gesetz endgültig beschlossen. Das lange erwartete Plattformgesetz der EU soll sogenannte Gatekeeper zum fairen Umgang mit kleineren Marktteilnehmer:innen zwingen. Doch wer ist eigentlich ein Gatekeeper? Darauf bleibt die EU-Kommission bislang eine Antwort schuldig – einige Konzerne hoffen offenbar weiterhin darauf, den strengen Auflagen zu entkommen.
Gemacht wurde das neue EU-Gesetz mit Blick auf die „großen Fünf“: Google, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft. Diese Konzerne sind als Gatekeeper so mächtig, dass sie Nutzer:innen und Firmenkund:innen in digitalen Märkten ihre Entscheidungen aufzwingen können. Um dem entgegenzuwirken, schreibt das Gesetz (hier im Volltext) eine Serie von Geboten und Verboten für die allergrößten Firmen vor. Rund 15 bis 20 Gatekeeper sollen diese treffen, schätzt die Kommission.
Konkret bedeutete dies etwa: Google darf bei seinem Betriebssystem Android den Handy-Herstellern nicht vorschreiben, welche Apps oder Software sie vorinstallieren müssen. Brechen will die EU auch das Monopol von Apple, in seinem App-Store nur Zahlungen über das eigene Bezahlsystem Apple Pay abzuwickeln. Im Gesetz gibt außerdem es ein Verbot, die für einen Dienst gesammelten Daten für andere Zwecke wiederzuverwenden, ohne dass die Nutzer:innen dies verhindern können. Gatekeeper müssen überdies immer die Kommission informieren, wenn sie andere Firmen übernehmen – das soll Spielraum geben, um sogenannte „killer acquisitions“ zu verhindern, also das gezielte Aufkaufen und Abtöten der Konkurrenz.
Zwar arbeitet die EU-Behörde nach Informationen von netzpolitik.org bereits seit längeren an einer konkreten Liste, möchte sich aber vorerst nicht in die Karten schauen lassen. Erst wenn das Gesetz im Herbst in Kraft trete, werde die Kommission die betroffenen Firmen informieren, sagte ein Sprecher auf Anfrage von netzpolitik.org. „Daher ist es heute noch zu früh, um auf Ihre Fragen zu antworten und über die möglichen Auswirkungen einer möglichen Benennung einer bestimmten Plattform als Gatekeeper zu spekulieren oder nicht.“
TikTok „definiert sich nicht als Gatekeeper“
Im Hintergrund läuft längst eine Lobby-Kampagne einzelner Konzerne, die eine Einstufung als Gatekeeper verhindern wollen. Lobbyisten der beliebten Video-App TikTok trafen im März einen führenden Mitarbeiter von Margrethe Vestager, der EU-Wettbewerbskommissarin. TikTok „definiert sich nicht als Gatekeeper“, sondern eher als Herausforderer der dominanten Konzerne, argumentierten die Lobbyisten gegenüber der EU-Behörde. Dokumentiert ist dieses Lobbying ein einer Gesprächsnotiz, auf die netzpolitik.org durch eine Informationsfreiheitsanfrage Zugang erhielt. (Sie ist hier im Volltext abrufbar.)
Demnach erkundigte sich TikTok gleich darüber, wie die Einstufung als Gatekeeper ablaufe – und wie es dagegen in Berufung gehen könne. TikTok „prüfe seine Möglichkeiten“, heißt es in dem Dokument. Die Fakten sprechen allerdings gegen das chinesische Unternehmen. Denn Gatekeeper sollen Dienste werden, die in der EU mehr als 45 Millionen Endnutzer:innen oder mehr als 10.000 Geschäftskund:innen haben. Ersteres erfüllt die App klar, sie prahlte selbst bei einem anderen Lobby-Treffen mit mehr als 100 Millionen Nutzer:innen in der EU.
Endgültig trifft die Entscheidung jedoch die Kommission, die jenseits von reinen Zahlen auch qualitativ prüfen will, ob Konzerne die Kriterien eines Gatekeepers erfüllen.
Klarheit erst zum Jahreswechsel
Lobbydruck baut TikTok auch über Irland auf. Dort hat der chinesische Konzern seinen Europasitz aufgeschlagen, er garantiert dort hunderte Jobs. In den Monaten vor dem Beschluss des Digitale-Märkte-Gesetzes trafen sich Lobbyisten von TikTok mehrfach mit irischen Minister:innen. Gesprächsthema: Wie der Konzern das EU-Gesetz sieht, was er ändern möchte. Das zeigen interne E-Mails des irischen Wirtschaftsministeriums, die netzpolitik.org durch eine Informationsfreiheitsanfrage erhielt.
Was genau die irischen Behörden versprochen haben, geht aus den Dokumenten nicht hervor. Bei den Verhandlungen im Rat der EU-Staaten hat Irland aber versucht, Bestimmungen des Digitale-Märkte-Gesetzes zu verwässern. Diese Bemühungen scheiterten jedoch.
Im Herbst soll nun das Plattformgesetz in Kraft treten, etwa zugleich soll auch die Zwillingsverordnung folgen, das Digitale-Dienste-Gesetz. Binnen zwei Monaten nach dem Inkrafttreten der Verordnung müssen große Konzerne anmelden, ob sie die Größengrenze von 45 Millionen Nutzer:innen überschreiten. Die EU-Kommission hat dann 45 Tage Zeit, um die Konzerne über ihre mögliche Einstufung als Gatekeeper zu informieren. Bis Jahresanfang 2023 steht fest, wer Gatekeeper ist – und künftig durch strenge Auflagen einen fairen Wettbewerb garantieren muss.
Sehr informativer Artikel, insbesondere die IF-Anfragen sind sehr erhellend (und klingen nach einem Haufen Arbeit).
Vielleicht könntet ihr nochmal erläutern, wieviel Spielraum lässt denn der DMA der Kommission bei der Definition? Also wie fruchtbar könnte das Lobbying denn sein, wenn die Zahl von 45 Millionen Nutzern dann doch nach einer sehr harten Grenze klingt.
Danke;)
Die Definition steht in Artikel 3: https://www.consilium.europa.eu/media/56086/st08722-xx22.pdf