Zwei Personen hatten Facebook verklagt, da der Konzern ihre Nutzerkonten aufgrund einer Verwendung eines Pseudonyms deaktiviert hatte. Nun gab der Bundesgerichtshof den Kläger:innen recht – Facebook hätte ihnen die Verwendung eines Pseudonyms erlauben müssen, wenn sie sich vorher mit Klarnamen gegenüber Facebook registriert haben. Die Accounts müssen wiederhergestellt werden.
Allerdings gilt diese Rechtsprechung nur für Personen, die ihren Account vor dem Inkrafttreten des neuen europäischen Datenschutzrechts im Mai 2018 erstellt hatten. Im Falle dieser alten Accounts greift den Richter:innen zufolge das deutsche Telemediengesetz. Das Gesetz verpflichtet die Betreiber, im Rahmen ihrer Möglichkeiten die „Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen“.
Wie Josephine Ballon der Organisation Hate Aid gegenüber netzpolitik.org erklärt, gilt die neue Rechtssprechung unmittelbar nur für die beiden vor Gericht behandelten Fälle. Alle anderen betroffenen Nutzer müssten ihr Recht selbst geltend machen. Es sei allerdings für diese Fälle erwartbar, dass Facebook zur Vorbeugung neuer Klagen eine neue Regelung einführe.
In der EU-Datenschutzgrundverordnung ist nicht geregelt, ob die Nutzer ein Recht auf die Verwendung eines Pseudonyms haben. Daher bleibt für alle nach dem Mai 2018 erstellten Accounts die Lage rechtlich ungeklärt.
Klarnamen helfen nicht gegen Hass
Facebook erhofft sich, dass die Klarnamenpflicht für weniger Hass sorgt, da die Nutzer auf diese Weise realweltliche Konsequenzen für ihre Aussagen fürchten müssten. So sagte ein Facebook-Sprecher der Süddeutschen Zeitung bereits 2015, dass Anonymität Hassrede befördere, während „authentische Namen zur Diskussionskultur“ beitragen würden.
Diese Haltung ist wissenschaftlich nicht klar belegt. Eine Studie aus dem Jahr 2016 ergibt sogar, dass nicht-anonyme Nutzer auf einer Petitionsplattform teilweise sogar ein aggressiveres Verhalten aufgewiesen hatten. Dabei bestehe die Motivation für solche Aggressionen darin, eigene soziale Normen durchzusetzen. In der zugehörigen Literaturzusammenfassung schreiben die Autoren:
Nicht-Anonymität hilft, Anerkennung zu erlangen, erhöht die eigene Überzeugungskraft und mobilisiert Anhänger.
Auch wenn sich das nicht einfach verallgemeinern lässt, zeigt es, dass es nicht so einfach ist, Anonymität mit mehr Hassrede gleichzusetzen. Ebenso ergab eine Untersuchung von Twitter, dass 99 Prozent der wegen Rassismus gesperrten Nutzer um das EM-Finale 2021 identifizierbar waren.
Tatsächlich ermöglichen Pseudonyme einen wichtigen Teil des öffentlichen Diskurses – vor allem dann, wenn es ungemütlich wird. Beispielsweise können Pseudonyme Mitglieder gesellschaftlicher Minderheiten vor Anfeindungen schützen. Auch Whistleblower können auf Pseudonyme angewiesen sein. Dazu passend haben wir diverse Beispiele gefunden, warum Pseudonymität im Netz unverzichtbar ist.
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