Wochenrückblick KW47Von stehenden Ampeln und laufenden Klagen

Diese Woche blicken wir nach vorn: Wir fassen zusammen, welche Netzpolitik die neue Ampelkoalition betreiben will. Außerdem eskaliert in Irland ein Streit über Facebook – und in den USA verklagt Apple die NSO Group.

Maus auf Ast
Bei netzpolitischen Debatten kommt man oft vom Hölzchen aufs Stöckchen. Wir geben den Überblick. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Nick Fewings

„Die Ampel steht“ – mit diesen Worten verkündete Olaf Scholz am Mittwoch den fertigen Koalitionsvertrag. Wir waren fleißig und haben direkt alle 177 Seiten gelesen. Wie geht es jetzt weiter mit Staatstrojanern und Vorratsdatenspeicherung, Breitbandausbau und Urheberrecht? Welche Rolle spielt Digitalisierung für die Ampelparteien im Gesundheitssystem, im Klimaschutz oder in der Bildung? Wir haben für euch alle netzpolitisch relevanten Punkte zusammengefasst.

Was digitale Grundrechte angeht, sieht es gut aus, findet Markus Beckedahl. Was ihn am Koalitionsvertrag freut und welche Enttäuschungen bleiben, erfahrt ihr in seinem Kommentar.

Klartext gegen Massenüberwachung

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte muss stärker für unsere Grundrechte eintreten, wenn es um Überwachung und Geheimdienste geht, meint Paulo Pinto de Albuquerque, der Richter an genau diesem Gericht ist. Sein Sondervotum zu einem Urteil, das den britischen Geheimdienst GCHQ betrifft und ein Nachspiel der Enthüllungen Edward Snowdens ist, erscheint bei uns erstmals auf Deutsch. Dort erläutert er, warum er den Informationsaustausch zwischen Geheimdiensten „befreundeter“ Staaten für rechtswidrig hält – anders als die Mehrheit des Gerichts.

Der Techkonzern Apple verklagt derweil den Spionagesoftware-Hersteller NSO Group. Der hatte Schwachstellen in Apple-Software genutzt, um vielen Medienberichten zufolge auch Handys von Aktivist:innen mit einem Trojaner anzugreifen. Apple möchte das juristisch unterbinden und Forscher:innen unterstützen, die sich gegen den Missbrauch digitaler Überwachungstechnologie einsetzen. Anna Biselli berichtet über die Klage.

„Hybride Bedrohung“ – das ist ein Begriff, den viele EU-Außenpolitiker:innen gerade verwenden, wenn es um die Geflüchteten an der polnischen Grenze geht. Aber was soll das überhaupt heißen? Matthias Monroy erklärt die Geschichte des Begriffs und wie EU und NATO ihn verwenden, um Migration als militärische Bedrohung darzustellen.

EU-Länder betreiben außerdem Projekte, um Migrant:innen daran zu hindern, den Ärmelkanal zu überqueren. Um „Menschenschmuggel“ zu bekämpfen wollen sie Kameras an den Stränden verstecken, auch den Kauf von Booten versuchen die Behörden zu erschweren. Im Artikel von Matthias Monroy lest ihr, was es mit den Polizeiaktionen auf sich hat und warum Großbritannien trotz Brexit an der vom Rat der EU finanzierten Maßnahmen teilnimmt.

Der Rüstungskonzern Rheinmetall übernimmt wesentliche Teile des insolventen Drohnenherstellers EMT. Matthias Monroy berichtet, was die Pläne der Bundeswehr für den Einsatz von Drohnen sind und welche Rolle Rheinmetall dabei spielen könnte.

Max Schrems gegen die irische Datenschutzbehörde

Das Verfahren Max Schrems gegen Facebook nimmt eine neue Wendung: Jetzt hat der österreichische Jurist und Datenschützer die für ihre facebookfreundliche Position bekannte irische Datenschutzbehörde in Österreich angezeigt – denn die hatte von seiner Organisation noyb gefordert, keine vertraulichen Dokumente aus dem Verfahren zu veröffentlichen. Der Fall Schrems gegen Facebook läuft schon seit drei Jahren: An dem Tag, an dem die Datenschutzgrundverordnung rechtswirksam wurde, hatte Schrems am Europasitz des Konzerns in Irland Beschwerden gegen Facebook eingebracht. Alexander Fanta und Markus Reuter erklären, wie das Facebook-Verfahren so eskalieren konnte und was die irische Behörde jetzt tun will.

Auch die neuen Entwicklungen rund um das Digitale-Märkte-Gesetz könnten für Facebook unbequem werden. Facebook gehört nämlich der Messenger WhatsApp. Und wenn es nach dem EU-Parlament geht, muss es bald möglich sein, Nachrichten zwischen verschiedenen Messengern wie WhatsApp, Telegram und Signal auszutauschen. In den kommenden Wochen gehen die Verhandlungen in die nächste Runde.Alexander Fanta bringt euch auf den aktuellsten Stand.

Die EU-Kommission will außerdem eine Kennzeichnungspflicht für politische Werbung einführen, um Desinformation und Wahlbeeinflussung zu erschweren. Alexander Fanta erklärt euch die Details.

Der türkische Staat hat laut einem Bericht der Bürgerrechtsbewegung Statewatch einen Algorithmus genutzt, um im Militär mutmaßliche Unterstützer:innen des Putschversuchs von 2016 zu identifizieren. Das auf Excel basierende „FETÖ-Meter“ analysierte demnach sensible Daten von hunderttausenden Menschen – laut Bericht ohne Rechtsgrundlage. Markus Reuter berichtet.

Virenschleuder Amazon

Während die Corona-Infektionszahlen durch die Decke gehen und erste EU-Länder eine Impfpflicht einführen, macht der Online-Händler Amazon gute Geschäfte mit Impfskepsis und Verschwörungserzählungen. Sein Empfehlungssystem schlägt reihenweise solcher Inhalte vor. Das reicht von Titeln wie „Impfschaden durch Corona Impfung – Die ganze Wahrheit!“ bis zu Autor:innen, die Covid-19 ominös als „Teil eines Plans“ bezeichnen. Tomas Rudl fragt in seinem Text, wie Amazon mit solcher Desinformation in der Krise umgeht.

Abseits von kommerziellen Virenschleudern im Netz sorgen die steigenden Corona-Zahlen dafür, dass immer mehr Menschen eine rote Warnung auf ihrer Corona-Warn-App angezeigt bekommen. Mehr als 400.000 Warnungen wurden allein in der Woche ab dem 15. November verschickt. Das verunsichert viele Menschen und wirft Fragen auf: Was bedeutet die Warnung, wann verschwindet sie wieder, und wie komme ich an einen PCR-Test? Markus Reuter und Ingo Dachwitz beantworten einige der drängendsten Fragen in ihrem FAQ.

Upcycling Android und eine Suchmaschine für freie Plätze in Frauenhäusern

Für alles Mögliche benutzen wir unsere Smartphones, und alle paar Jahre ein neues zu kaufen ist für viele Menschen ganz normal. Mit freier Software könnt ihr euren alten Handys neues Leben einhauchen, wenn der Hersteller den Support für das Betriebssystem einstellt. Franziska Rau erklärt, wie die Free Software Foundation Europe mit ihrer Kampagne „Upcycling Android“ dabei helfen möchte und was das mit Umweltschutz zu tun hat.

Und es gibt noch mehr gute Neuigkeiten: Bald könnten schon ein Standard-Sensor des Smartphones und eine App reichen, um versteckte Kameras in Hotelzimmern und auf Toiletten zu erkennen. Die Idee dazu hatten Forschende aus Singapur. Der Code für die Software soll in Zukunft auch als Open Source für alle zugänglich sein. Markus Reuter hat sich die Studie der Forschenden genauer angeschaut und erklärt, warum das System nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für Betreiber:innen von Clubs und Festivals gut sein könnte.

Am Donnerstag war der „Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“, der darauf aufmerksam machen soll, wie viele Frauen weltweit körperliche und psychische Gewalt erfahren. In der Corona-Krise hat sich die Situation für viele Frauen verschärft – und damit auch der Bedarf an Schutzräumen für Betroffene. Damit die Suche nach freien Plätzen in Frauenhäusern jetzt einfacher wird, hat die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) eine Suchmaschine entwickelt, mit der Frauen und Beratungsstellen freie Plätzen in Frauenhäusern finden können. Markus Reuter hat aufgeschrieben, warum frauenhaus-suche.de gerade jetzt so wichtig ist.

Den Standort verfolgen, private Nachrichten mitlesen, Bilder und Videos abgreifen: Ist die Stalkerware erst einmal auf dem Handy einer betroffenen Person installiert, können Täter:innen sie auf Schritt und Tritt überwachen. Häufig sind es die eigenen Partner:innen, die ihren Vertrauten hinterherspionieren. Eine internationale Online-Umfrage des IT-Sicherheitsunternehmens Kaspersky hat jetzt gezeigt, dass 30 Prozent der Befragten es unter bestimmten Umständen für akzeptabel halten, ihre Partner:innen mit Spionagesoftware heimlich zu überwachen. Christina Braun hat sich die Umfrage für euch genauer angeschaut.

Neugierige E-Scooter und Kindersicherung fürs Internet

E-Roller gehören mittlerweile zum Stadtbild. Damit durch die Straßen zu flitzen mag ja ganz lustig sein. Weniger lustig ist, dass die Anbieter Lime, Bolt, Tier und Voi nach einer Recherche von mobilsicher.de persönliche Daten ihrer Kund:innen an Drittanbieter weitergeben sollen. An welche Unternehmen die persönlichen Daten der Kund:innen fließen und ob sich dafür die Fahrt auf dem E-Roller lohnt, lest ihr im Artikel von Markus Reuter.

Der Kampf des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegen Pornos im Netz geht in die nächste Runde: Seit Oktober müssen in Frankreich Pornoseitenbetreiber das Alter ihrer Nutzer:innen abfragen, sonst werden sie gesperrt. Jetzt hat die Regierungspartei La République en Marche einen weiteren Vorstoß in Sachen Jugendschutz im Netz unternommen: Frankreich könnte Smartphone- und Computerhersteller bald schon dazu verpflichten, eine Kindersicherung auf ihren Geräten zu installieren. Ob die Software am Ende wirklich aktiviert wird, sollen die Eltern selbst entscheiden, erklärt Christina Braun. Begeisterung und Applaus für den Gesetzesvorschlag gab es von Präsident Macron – gute Voraussetzungen also, dass der Entwurf noch vor den Präsidentschaftswahlen nächstes Frühjahr verabschiedet wird.

Das Ende von Zero-Rating-Tarifen rückt näher. Das hat die Bundesnetzagentur vergangene Woche bekannt gegeben – und damit die Netzneutralität gestärkt. Die betroffenen Anbieter kritisieren das teilweise scharf. „Anstatt den Rechtsstaat infrage zu stellen, wären die Telecomanbieter gut beraten, Konzepte zu entwickeln, wie sie ihre Kund:innen zum absehbaren Ende der illegalen Zero-Rating-Angebote entschädigen können“, schreibt Julia Reda. In ihrer Kolumne legt sie dar, warum sich die Anbieter ihrer Ansicht nach mit ihrer Kritik gegen den Rechtsstaat außerhalb des demokratischen Diskurses bewegen.

Und am Ende versorgen wir euch mal wieder mit Neuigkeiten aus dem Fernsehrat. Diesmal geht es darum, wie öffentlich-rechtliche Medien auf Fehler reagieren, wenn sich denn im Programm welche eingeschlichen haben. Bisher landen Korrekturen und Richtigstellungen häufig in einer „schwer verlinkbaren Richtigstellungsrumpelkammer“ irgendwo im Netz, schreibt Leonhard Dobusch. Das müsse sich ändern. Seiner Meinung nach gehört die Aufarbeitung von Fehlern ins Programm – und zwar schonungslos und selbstkritisch.

In eigener Sache

Unsere Spendenkampagne ist seit letzter Woche im Gange! Du überlegst noch zu spenden, aber willst erstmal wissen, was mit dem Geld überhaupt passiert? Kein Problem, Stefanie Talaska hält die Öffentlichkeit jeden Monat auf dem Laufenden. In unserem neuesten Transparenzbericht erfahrt ihr, wie es im September um unsere Einnahmen und Ausgaben stand.

374.434 Euro fehlen uns noch, um unser Jahresziel von einer Million Euro zu erreichen. Spende jetzt für digitale Freiheitsrechte!

Und damit wünschen wir ein schönes Wochenende!

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