Denkmäler und Straßen, die Kolonialherren gewidmet sind, gibt es noch immer in ganz Deutschland. Die Aktionskünstler:innen des Peng-Kollektivs und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland haben dazu aufgerufen, gegen die Erinnerungsorte vorzugehen.
Mit Folgen: In dieser Woche hat die Polizei in Berlin und Leipzig Büroräume und Wohnungen von zwei Mitgliedern durchsucht und unter anderem Computer, Festplatten und Aktenordner beschlagnahmt. „Kopf ab, Runter vom Sockel, Farbe drauf, Schild drüber – die Möglichkeiten sind vielfältig“, schreiben die Aktivist:innen auf ihrer Website. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten. Die Anwältin eines Betroffenen vermutet aber ein politisches Motiv hinter den Ermittlungen.
Ermittelt wurde auch gegen unsere Quelle:n: Nachdem netzpolitik.org aufgedeckt hatte, dass die Polizei in Brandenburg jahrelang Autokennzeichen anlasslos fotografierte und speicherte, wollte das Innenministerium herausfinden, wer uns die Daten zur Verfügung gestellt hatte. Es ließ die Staatsanwaltschaft gegen einen brandenburgischen IT-Dienstleister ermitteln – doch eine Durchsuchung der Firma lehnte ein Ermittlungsrichter überraschenderweise ab. Das Landgericht Potsdam bestätigte im Mai 2020 den Beschluss. Eine juristische Ohrfeige für den Polizeipräsidenten und den Innenminister, meint André Meister. Doch genau wie die Staatsanwaltschaft rechtfertigen sie ihr Vorgehen weiterhin.
Auch Drohnen können den Verkehr aufzeichnen. Die Polizei verwendet die Fluggeräte aber auch für Kontrollen im öffentlichen Raum oder bei Demonstrationen. Das geht aus einer neuen Studie der Informationsstelle Militarisierung hervor. Die Organisation befürchtet den „Verlust überwachungsfreier Räume“. Viele der Polizeidrohnen sind Hobby-Modelle, was zusätzlich Datenschutzfragen aufwirft.
FDP klagt gegen Staatstrojaner
Alle 19 deutschen Geheimdienste dürfen seit Juni Staatstrojaner verwenden. Doch der FDP geht das zu weit, sie hat gegen das Gesetz Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Die 64 Beschwerdeführer:innen begründen das mit einem Eingriff „in die verfassungsrechtlich geschützte Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Abgeordneten und ihren Kommunikationspartnern“. Die FDP kritisiert vor allem, dass das Gesetz Überwachungen schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr erlaubt. Die Telefonüberwachung komme einer verbotenen Online-Durchsuchung teilweise sehr nahe.
In Brüssel hat die EU-Kommission Vorschläge gemacht, wie eine Vorratsdatenspeicherung doch noch möglich sei – obwohl der Europäische Gerichtshof (EuGh) schon mehrfach dagegen geurteilt hat. Im Juni hatte die Kommission ihre Mitgliedsstaaten vertraulich informiert, wie eine Speicherung möglich ist, die mit dem Urteil vereinbar sei. Wir haben das Schreiben der Kommission jetzt veröffentlicht. Ob sie wirklich einen neuen Anlauf nimmt, ist noch unklar, es gibt aber Anzeichen dafür. EU-Abgeordnete zeigten sich entsetzt.
Der EuGh wird bald entscheiden, ob die umstrittenen Upload-Filter rechtmäßig sind. Der EU-Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe gab diese Woche bekannt, dass die Filter aus seiner Sicht keine Grundrechte verletzen. Er sieht keine Gefahr, dass auch erlaubte Inhalte massenhaft automatisch geblockt werden können.
Protest gegen EU-Digitalgesetz
Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz will die EU die Macht von großen IT-Konzernen einschränken. Doch einem zivilgesellschaftlichen Bündnis geht die Gesetzesvorlage nicht weit genug. Das Bündnis, in dem unter anderem Amnesty International, Reporter ohne Grenzen und Hate Aid vertreten sind, fordert, tief ins Geschäftsmodell von Facebook, Youtube und Co. einzugreifen. Ihre Algorithmen würden Desinformation und Hass im Netz verstärken.
Gegen WhatsApp, das zu Facebook gehört, wurde derweil Beschwerden bei der EU-Kommission und den EU-Verbraucherschutzbehörden eingereicht. Der Europäische Verbraucherverband BEUC sieht einen Verstoß gegen verschiedene Gesetze. WhatsApp setze die Nutzer:innen „ungebührlich unter Druck“, damit sie die neuen Nutzungsbedingungen und Datenschutzbestimmungen akzeptieren. Es geht vor allem um die Klausel, nach der WhatsApp persönliche Daten an den Mutterkonzern Facebook übertragen darf.
EU-Beschwerde wegen Auflagen für Google, Facebook & Co.
Auflagen gegen Social-Media-Konzerne wie Facebook und Google, die sieht der deutsche Medienstaatsvertrag vor. Die Plattformen müssen sogenannte Zustellungsbevollmächtigte benennen und darlegen, nach welchen Kriterien sie Nachrichten sortieren. Die EU-Kommission findet das allerdings gar nicht lustig und hat sich in Berlin über die Umsetzung des Staatsvertrags durch die Landesmedienanstalten beschwert. Dass es zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommt, ist aber eher unwahrscheinlich.
Zur Ende-zu-Ende-Verschlüsselung hat die EU-Kommission dagegen noch keine klare Meinung. Um die Verschlüsselung geht es auch im Entwurf zu einem Handelsvertrag zwischen WTO-Mitgliedern. Es werden Zölle auf Daten diskutiert, außerdem eine Möglichkeit, ausländische Softwareanbieter zu verpflichten, ihre Algorithmen und Quellcodes offenzulegen. Gravierender wäre aber die Möglichkeit für Staaten, Verschlüsselungen zu umgehen. Die ersten beiden Vorschläge lehnt die EU-Kommission ab – zum dritten hält sie ihre Meinung noch zurück.
Von Bildung und Bildungslücken
Seit Beginn der Pandemie lernen die meisten Studierenden in Deutschland vor dem Bildschirm zu Hause statt im Hörsaal. Aktuell ist Prüfungsphase und hier setzen viele Universitäten auf Online-Klausuren. Zunehmend verwenden sie dabei Software, die Betrugsversuche erkennen soll. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisiert, dass die Programme oft Datenschutz und IT-Sicherheit verletzen. In deutschen Schulen gilt es zwar noch als fortschrittlich, wenn ein Beamer statt Overhead-Projektor im Klassenzimmer steht. Künstliche Intelligenz im Unterrricht ist da noch eine Zukunftsvision, an der jedoch schon viel geforscht wird. Daniel Wydra hat berichtet, wie Expert:innen auf EU-Ebene den Einsatz der Technologien aus ethischer Sicht bewerten.
Es ist in erster Linie keine ethische sondern erstmal auch eine rechtliche Frage, inwiefern kleine Kinder schon als Influencer:innen auf YouTube, Instagram, TikTok und Co auftreten sollten. Nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz dürften sie dort nur unter strengen Auflagen tätig sein, doch die Realität sieht anders aus. Das liegt daran, dass Eltern, Plattformen und zuständige Behörden oft weg schauen.
Netzpolitisches aus aller Welt
In anderen Teilen der Welt haben nicht mal Erwachsene freien Zugriff auf soziale Netzwerke, weil die Regierung das Internet zensiert. Das passiert gerade in Kuba, wie Denise Stell berichtet. Die kubanische Regierung steht nach Protesten unter Druck und will nach Beobachtungen von Menschenrechtler:innen verhindern, dass sich die Demonstrierenden über WhatsApp und Facebook organisieren.
Zensiertes Internet ist auch in Bürgerkriegsgebieten wie Syrien ein Thema. Doch der syrische Geheimdienst setzte in der Zeit der Massenproteste 2011 hauptsächlich auf Folter und rohe Gewalt, von digitaler Überwachung verstand er kaum etwas. Darüber schreibt Hannah El-Hitami in ihrem Gastbeitrag. Sie hat in Koblenz den Prozess gegen einen ehemaligen Geheimdienst-Ermittler aus Syrien verfolgt.
Von Syrien zu den Seychellen – das ist zwar ein sehr weiter Sprung. Doch hierhin hat sich die Gesichtersuchmaschine PimEyes abgesetzt, die Millionen von Bildern aus dem Internet speichert und biometrisch analysiert. Ein deutscher Datenschutzbeauftragter hat einen Fragenkatalog hinterhergeschickt und versucht weiter, gegen die Firma vorzugehen.
Eine anderer Suchmaschinenkonzern, der gerade in Frankreich Probleme bekommt, ist Google. Der Konzern missachtet neue Bestimmungen des französischen Urheberrechts und hat zu wenig an Presseverlage gezahlt. Google soll nun Strafe zahlen, und zwar nicht wenig: 500 Millionen Euro.
Auch in den USA verschärft die Biden-Regierung zurzeit den Umgangston mit den großen Digitalkonzernen. Ein neues Maßnahmenpaket soll nun den Wettbewerb in digitalen Märkten verbessern und Firmenfusionen schärfer kontrollieren. Das Paket beinhaltet unter anderem auch Regeln zur Netzneutralität und ein Recht auf Reparatur. Tomas Rudl schreibt, dass das alles aber erstmal nur eine Absichtserklärung ist.
Nach dem Blick in einzelne Länder nun zu einem Gremium, das internationale Reichweite hat: Das World Wide Web Consortium legt technische Standards für das Web fest. Doch in Sachen Privatsphäre treffen aktuell verschiedene Geschäftsinteressen im Gremium aufeinander: Vertreter:innen von Cookie-, Tracking- und Werbevermarktungsfirmen mischen seit einiger Zeit mit und versuchen die Einführung von Privatsphäre-Standards zu verlangsamen.
Und sonst so?
Das Deutsche Gesundheitssystem will digitaler werden, im nächsten Schritt mit dem E-Rezept. Das ist nun in der Modellregion Berlin-Brandenburg in der Testphase. Jana Ballweber hat sich angeschaut, was genau es damit auf sich hat und welche technischen Hürden es gibt.
Als nervige Hürde nimmt ein Beirat des Wirtschaftsministeriums von Peter Altmaier offenbar auch die Presse wahr, wenn es um Börsengänge von Start-Ups geht. In einem nun öffentlich gewordenen Positionspapier forderte der Beirat „Regeln zur Vermeidung einseitig diffamierender Artikel“. Markus Reuter kommentiert: „Die Forderung zeigt, wie verkommen das Selbstbild der Branche ist.“
Das war es auch fast schon wieder aus der netzpolitischen Kalenderwoche 28. Zum Schluss haben wir noch einen Kinotipp: Ein Regie-Duo hat umfangreiches Videomaterial über die Hacker-Legende Wau Holland zusammengetragen und gibt neue Einblicke in sein Leben und frühe Jahre des Chaos Computer Clubs. Der Dokumentarfilm läuft zum Beispiel in verschiedenen Freilichtkinos.
Wir wünschen ein erholsames Wochenende, bis zum nächsten Mal!
0 Ergänzungen
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.