Europäische Regulierer tun sich sichtlich schwer mit einem raschen Verbot sogenannter Zero-Rating-Angebote. Erst im Juni des kommenden Jahres soll es eine endgültige Entscheidung sowie aktualisierte Leitlinien zur Netzneutralität geben, die den Spielraum von Mobilfunkanbietern und nationalen Regulierungsbehörden abstecken. Das gab heute die EU-Agentur GEREK bekannt, das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation.
In drei wegweisenden Vorabentscheidungen schob der Europäische Gerichtshof (EuGH) Zero-Rating-Angeboten wie StreamOn der Telekom oder Vodafone Pass jüngst einen Riegel vor. Bei solchen Angeboten wird der Zugriff auf einen bestimmten Online-Dienst nicht auf das monatliche Datenvolumen angerechnet. Da hierbei ausgewählte Datentransfers wie Video-Streams „auf Grundlage kommerzieller Erwägungen“ unterschiedlich behandelt werden, verstoße dies grundsätzlich gegen die EU-Verordnung zur Netzneutralität, urteilte der EuGH.
Das EU-Gesetz verpflichtet Netzanbieter dazu, sämtlichen Datenverkehr ohne Diskriminierung oder Störung gleich zu behandeln. Regulierer hatten aber ein Auge zugedrückt und Zero-Rating-Angebote unter Auflagen dennoch zugelassen, weil „ökonomische Diskriminierung“ nicht ausdrücklich verboten war.
„Tiefe Analyse der Urteile“
Die EuGH-Urteile an sich seien nicht überraschend gewesen, sagte Klaus Nieminen von der finnischen Regulierungsbehörde Traficom heute auf einer Pressekonferenz. „Aber die Begründungen und Erwägungen waren ziemlich interessant“, sagte Nieminen. Deshalb brauche es nun eine tiefe Analyse der Urteile, samt ordentlicher legaler Argumente und ordentlicher Begründungen, bevor sich das GEREK auf verbindliche Rahmenbedingungen für europäische Netzanbieter festlegt.
Tatsächlich hatten die weitreichenden Entscheidungen des EuGH viele überrascht, darunter etwa deutsche Verbraucherschützer:innen vom VZBV, die eines der Gerichtsverfahren angestrengt hatten. Der Rechtsstreit geht freilich noch weiter: Bindend sind für Telekom und Vodafone erst die Urteile heimischer Gerichte, die beim EuGH um die Vorabentscheidungen gebeten hatten. Die laufenden Verfahren dürften sich noch monatelang hinziehen.
Weniger Zero Rating steht fest
Fest stehe jedenfalls, dass es überarbeitete Leitlinien geben werde, so Nieminen, der zugleich Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe zum Offenen Internet beim GEREK ist. In enger Kooperation mit der EU-Kommission sowie mit „Stakeholdern“ – also der Industrie und womöglich auch mit zivilgesellschaftlichen Gruppen – werde GEREK bis März 2022 einen ersten Entwurf der Leitlinien vorstellen und eine öffentliche Konsultation dazu starten. Erste Eingaben werden jetzt schon angenommen.
Recht sicher sei auch, dass es danach weniger Zero-Rating-Angebote in Europa geben werde, sagte Véronique Ney von der luxemburgischen Telekomaufsicht ILR. Diese sind in fast allen EU-Ländern auf dem Markt, alleine mittels Zero Rating bevorzugtes Musikstreaming gebe es in 22 EU-Ländern, Videostreaming in 21 Ländern. Die Branche wird’s nicht freuen, Verbraucher:innen auf lange Sicht schon: Schließlich winkt nicht nur ein offenes Internet, sondern auch ein höheres monatliches Datenvolumen.
„Tatsächlich hatten die weitreichenden Entscheidungen des EuGH viele überrascht, darunter etwa deutsche Verbraucherschützer:innen vom VZBV, die eines der Gerichtsverfahren angestrengt hatten. Der Rechtsstreit geht freilich noch weiter: Bindend sind für Telekom und Vodafone erst die Urteile heimischer Gerichte, die beim EuGH um die Vorabentscheidungen gebeten hatten.“
Wieso sind die Urteile vom EuGH nicht bindend für die Unternehmen? Nicht, dass man davon ausgehen müsste, dass deutsche Gerichte von EuGH Urteilen abweichen würden, aber im Zweifel gilt doch dann EU-Recht > Landesrecht (ansonsten Vertragsverletzungsverfahren)
Bei einem Vorabentscheidungsverfahren fragen nationale Gerichte beim EuGH nach, wenn sie sich nicht sicher sind bzw. sicherstellen wollen, dass ihr Urteil mit EU-Recht vereinbar ist, das ja EU-weit einheitlich angewandt werden soll. Die Vorabentscheidung des EuGH fließt dann entsprechend in das weitere Verfahren vor nationalen Gerichten ein. Mehr hier: https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-europalexikon/177355/vorabentscheidungsverfahren
Noch länger auf Fairness warten. Klasse. Über 3-4-5 Jahre zieht sich das jetzt schon. In der Zeit hätten die Telkos endlich auf Mbits umstellen können
Deutschland einziges Land mit überteuertem Unlimited Mobilfunk
Warum ist Zero Rating in anderen wenn dort ab 20€ Unlimited angeboten wird?
Leider nach wie vor ein echtes Trauerspiel. Seit Jahren zieht sich das jetzt und die Bundesnetzagentur selbst glaubt ja StreamON und VodafonePass seien netzneutral. Was haben die Gerichte und Behörden genau erwartet, wie das EU Gericht urteilt? Es ist im Gegenteil sehr schön zu sehen, wie eine Instanz, die vorher nicht von Lobbyvertretern bequatscht wird, ihr Verständnis eines freien Internets und Gerätefreiheit usw. vorträgt und so wie es das EU-Gericht schildert, ist es die einzig richtige Antwort.
Das die Umsetzung weitere Jahre dauern soll, kann nur ein schlechter Scherz auf Seiten Deutschland sein?
Wie lange mussten Kunden in Deutschland auf ein halbwegs ok‘es Verbraucherschutzgesetz warten? Noch heute gibt es viel Optimierungsbedarf beim Verbraucherschutz in Deutschland. Deutsche Telkos spekulieren viel zu häufig mit dem Unwissen und der Gutgläubigkeit der Kunden. Verbraucherschutz wird als „Kundenservice“ deklariert und der Netzausbau (der in anderen EU Ländern besser ist) als Argument für teure Preise. Nur in Deutschland möglich. Überteuerte Verträge mit wenig Leistung. Der Versuch bezahlbares Unlimited im Mobilfunk zu verhindern. Und obwohl das EU-Gericht wegweisende Entscheidungen getroffen hat, versucht man hierzulande alles an Altem festzuklammern.