Die britische Innenministerin Priti Patel hat Anbieter von Sozialen Medien am Samstag aufgefordert, Beiträge zu entfernen, wenn diese Überfahrten von Geflüchteten „verherrlichen“. In einem Brief an verschiedene Firmen reagierte Patel auf ein Video, das auf TikTok gepostet wurde und viral ging. Es zeigte eine Gruppe, die in einem Schlauchboot den Ärmelkanal überquert.
Laut Patel sollen auch Facebook, Instagram und Twitter „völlig inakzeptable Clips“ löschen, wenn diese „tödliche Überfahrten“ fördern. So seien die Posts von „Menschenschmugglern“ genutzt worden, um für ihre Dienste zu werben. Der Einwanderungsminister Chris Philp hatte Anfang des Jahres bereits mit Vertreter:innen der größten Internetfirmen gesprochen und gefordert, Anzeigen zu entfernen, die für die Überfahrten werben.
Firmen sollen „schnell und proaktiv“ tätig werden
Anlass dieses Treffens war Berichten zufolge, dass weniger als die Hälfte der Anträge auf Entfernung von Internetinhalten befolgt wurde. Zukünftig sollten die Firmen laut Innenministerin Patel „schnell und proaktiv“ von sich aus tätig werden. Der britische „Independent“ zitiert einen Facebook-Sprecher mit den Worten, „Menschenschmuggel ist illegal und alle Anzeigen, Beiträge, Seiten oder Gruppen, die diese Aktivität koordinieren, sind auf Facebook nicht erlaubt“. Der Internetriese werde daher „weiterhin eng mit Strafverfolgungsbehörden auf der ganzen Welt zusammenarbeiten“, um illegale Aktivitäten „zu identifizieren, zu entfernen und zu melden“.
Meldungen zur Entfernung von Internetinhalten werden in Großbritannien von der Kriminalpolizei (National Crime Agency – NCA) erstellt. Die Behörde arbeitet eng mit Europol zusammen, nach britischem Vorbild entstand dort seit 2016 eine „Meldestelle für Internetinhalte“ (IRU). Dort durchsuchen Ermittler:innen mithilfe von Software das Internet nach Postings, die Terrorismus verherrlichenden. Anschließend werden die betreffenden Plattformen informiert, damit sie die Inhalte entfernen. In über 90 Prozent der Fälle setzten die Firmen dies um.
Inzwischen sind aus diesen Löschbitten sogenannte Entfernungsanordnungen geworden. Ihre EU-weite Befolgung ist mit der jahrelang mit dem EU-Parlament verhandelten „Verordnung zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte“ Gesetz geworden. Sie ist seit gestern in Kraft und muss bis zum 7. Juni 2022 von allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden.
Ausweitung im „Gesetz über digitale Dienste“
Zahlenmäßig hat sich die „Meldestelle für Internetinhalte“ in den vergangenen Jahren vorwiegend mit terroristischen Inhalten befasst, seit ihrem Bestehen suchte sie aber auch im Netz nach Einträgen, die eine irreguläre Migration in die Europäische Union begünstigen. Dazu arbeitet sie eng mit dem „Zentrum gegen Migrantenschleusung“ zusammen, das ebenfalls bei Europol angesiedelt ist.
Bislang ist nur die Umsetzung der Europol-Anordnungen zu Terrorismus verpflichtend. Das könnte sich bald ändern, denn gemäß den EU-Vorschlägen für ein „Gesetz über digitale Dienste“ sollen die Bestimmungen zum „Vorgehen gegen illegale Inhalte“ auf andere Kriminalitätsbereiche erweitert werden.
Die zuständigen Strafverfolgungs- oder Justizbehörden müssten dann von den Firmen „unverzüglich“ unterrichtet werden, wenn sich in Postings eine „schwere Straftat, die eine Gefahr für das Leben oder die Sicherheit von Personen darstellt“, abzeichnet. Welche Straftaten darunter fallen, definiert der Entwurf aber nicht. Das Gesetzespaket soll auch „Auskunftsanordnungen“ beinhalten, wonach die Plattformen Nutzer:innendaten zu den betreffenden Accounts herausgeben müssen.
Überquerung des Ärmelkanals nichts „Glamouröses“
Die konservative Politikerin Patel ist für ihre harte Linie in der Migrationspolitik bekannt, im Dezember hatte sie Migrant:innen etwa als „Plage“ bezeichnet. Nicht vom Tisch ist auch der Vorschlag zum Einsatz von Militärschiffen im Ärmelkanal, auch die bald in Großbritannien eintreffenden neuen Militärdrohnen könnten laut einer Meldung des „Telegraph“ zur Migrationsabwehr genutzt werden.
Patel‘s Vorstoß zur Kontrolle des Internet wird von Flüchtlingsorganisationen kritisiert. Clare Moseley, die Gründerin der in Nordfrankreich tätigen Organisation Care4Calais, sagte dem Guardian: „Die Überquerung des Ärmelkanals hat nicht im Entferntesten etwas Glamouröses an sich. Verzweifelte Menschen setzen ihr Leben aufs Spiel, um diese Reise zu machen, und für einige ist es die letzte Reise, die sie machen.“
Tatsächlich sterben immer wieder Menschen bei dem Versuch, den Ärmelkanal bei starkem Wind zu überqueren. Ginge es der Ministerin um die Verhinderung von Toten, könnte sie Möglichkeiten zur sicheren Einreise nach Großbritannien zu schaffen. So hat es auch der Enver Solomon, der Vorsitzende des britischen Flüchtlingsrats in den britischen Medien kommentiert.
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