CryptowarsGroßbritannien nimmt weiter Einfluss auf EU-Politik

Der britische Ausstieg aus der Europäischen Union stärkt die Zusammenarbeit in informellen Zirkeln. Einer dieser fragwürdigen Zusammenschlüsse bringt nun Maßnahmen zur Entschlüsselung sicherer Kommunikation auf den Weg. Dabei wird auch die US-Regierung eingebunden.

Die Treffen der "G6" sollen einen „freien Gedankenaustausch im kleinen Kreis ermöglichen“. Sie dienen seit jeher der Vorbereitung auf EU-Entscheidungsprozesse.
Die Treffen der „G6“ sollen einen „freien Gedankenaustausch im kleinen Kreis ermöglichen“. Sie dienen seit jeher der Vorbereitung auf EU-Entscheidungsprozesse. Hier im Bild die Innenministerin Priti Patel. – Alle Rechte vorbehalten Home Office

Mit dem Brexit hat Großbritannien den „Europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ verlassen. Aus EU-Sicht wurde das Königreich zu einem Drittstaat, der zwar über ein „Handels- und Kooperationsabkommen“ weiterhin an verschiedenen Maßnahmen der Schengen-Staaten teilnehmen kann. Jedoch verfügt die Regierung auf EU-Ebene über keinerlei Mitbestimmung mehr.

Allerdings bleibt das Land laut einer Mitteilung des britischen Home Office weiterhin Teil der „G6-Gruppe“, in der sich seit 18 Jahren die Innenminister:innen der sechs einwohnerstärksten EU-Mitgliedstaaten organisieren. Auf der Tagesordnung des jüngsten Treffens Ende März stand demnach unter anderem die Verhinderung von Einwanderung. Die Innenministerin Priti Patel habe dort „bahnbrechende Veränderungen“ des britischen Asylsystems vorgestellt. „Durch den Austausch von Informationen“ wollten die Behörden des Königreichs „die illegale Migration auf dem gesamten Kontinent bekämpfen“.

„Gezielte Vorbereitung“ auf EU-Entscheidungsprozesse

Bei den „G6“ handelt es sich um eine informelle Vernetzung ohne jede Anbindung an die Europäische Union. Das erste Treffen fand der Bundesregierung zufolge 2003 mit den Innenministerien aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien statt, damals noch als „G5“. Nach seinem EU-Beitritt nimmt auch Polen seit 2006 an der Vereinigung teil. Zusammen repräsentieren die teilnehmenden Länder rund die Hälfte der EU-Bevölkerung. Auch die EU-Kommission nimmt an den zweitägigen Konferenzen teil.

Der Vorsitz der Gruppe wechselt halbjährlich, derzeit liegt diese Zuständigkeit bei Großbritannien. Zu den Aufgaben des Vorsitzes gehört die Vorbereitung kommender Treffen und die Festlegung der dort behandelten Themen.

Der ursprüngliche Grund für die Einrichtung der „G6“ war die Einflussnahme auf anstehende Gesetzgebungsvorhaben der Europäischen Union. Dies bestätigt auch die Bundesregierung, die davon spricht, die Vernetzung habe die Absicht verfolgt, „die Entscheidungsprozesse im EU-Ministerrat durch gezielte Vorbereitung effizienter zu gestalten“. Zu den Konferenzen werden deshalb bei Bedarf auch die Polizeiagentur Europol, die Grenzagentur Frontex oder die Polizeiorganisation Interpol eingeladen.

Mit dem Lissabon-Vertrag ist der offizielle Zweck der „G6“ seit 2009 nicht mehr die Ratsvorbereitung, fortan gab es auch keine Arbeitsgruppen und Schlussfolgerungen mehr. Als Zweck der Treffen galt nun der „Austausch über Strategie- und Grundsatzfragen“. Dieses ungezwungene Format soll laut der deutschen Bundesregierung „den freien Gedankenaustausch im kleinen Kreis ermöglichen“. Insbesondere würden Themen behandelt, „bei denen noch kein unmittelbarer Entscheidungsbedarf besteht“.

„Unheil im Internet“

Seit 2007 wird zudem das US-Heimatschutzministerium im Format „G6+1“ eingeladen, die gemeinsamen EU-US-Gespräche finden gewöhnlich am zweiten Tag des Treffens statt. Als Zweck der US-Einbindung nennt die Bundesregierung die „Überzeugung“, dass internationalen Bedrohungen insbesondere durch Terrorismus durch eine „transatlantische Zusammenarbeit“ begegnet werden sollte. Auf der Agenda der letzten Jahre standen deshalb anstehende EU-US-Abkommen, darunter zur Weitergabe der Daten zu Fluggästen, Finanztransaktionen oder bei Militäreinsätzen festgestellter „ausländischer Kämpfer“. Themen waren außerdem der Austausch „elektronischer Beweismittel“, wozu die Europäische Union nach Beschluss einer eigenen Richtlinie ein Zusatzabkommen mit der US-Regierung plant. Ein ähnliches Abkommen wird auf Ebene des Europarates verhandelt, in dem neben allen EU-Mitgliedstaaten auch die USA beteiligt sind.

Anlässe früherer „G6“-Treffen mit den USA waren zudem Maßnahmen gegen „Cyberkriminalität“. Dazu haben sich die Innenminister:innen der EU-Staaten sowie Großbritanniens jetzt abermals mit der US-Regierung beraten. Auf dem virtuellen Treffen vor zwei Wochen stand laut dem britischen Home Office „Unheil im Internet“ auf der Tagesordnung. Die Teilnehmenden hätten sich demnach mit der Lösung von Problemen befasst, „die durch die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung entstehen“.

Behandelt wurde vermutlich der jüngste Vorstoß der EU-Kommission, Anbieter von Messengerdiensten zur Mitarbeit bei der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der Ausbeutung von Kindern zu zwingen. Eine von der EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson vorgeschlagene Methode würde die Firmen zum Durchleuchten von Dateianhängen zwingen. Dabei werden die Daten mit Hashwerten bereits bekannter Videos oder Bilder, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, abgeglichen. Noch bis Mitte April hat die Kommission hierzu eine öffentliche Konsultation gestartet.

Mit den USA habe man sich im Rahmen der „G6“ laut dem britischen Home Office jetzt „auf eine stärkere Koordination und eine globale Antwort“ geeinigt. Dies betreffe nicht nur die Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern, sondern auch des Terrorismus. Ähnlich weitgehend hatten bereits die „Five Eyes“-Staaten USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland mit Japan und Indien einen staatlichen Zugriff auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gefordert und dabei auch Gewaltverbrechen, terroristische Propaganda und Anschläge als Bedrohungen genannt.

Brexit stärkt Geheimdienstzusammenarbeit

Die fortgesetzte EU-Zusammenarbeit mit Großbritannien im „G6“-Rahmen belegt, dass der Brexit informelle Netzwerke einzelner Regierungen weiter stärkt. Großbritannien bleibt etwa Mitglied der „Police Working Group on Terrorism“ (PWGT), in der sich Staatschutzabteilungen aller EU-Mitgliedstaaten sowie aus Norwegen, Island und der Schweiz organisieren. Auch die PWGT ist ein informeller Zusammenschluss und gehört nicht zur EU.

Die britische Regierung dürfte aber vor allem auf die engere Geheimdienstzusammenarbeit setzen. Dies betrifft neben den „Five Eyes“ vermutlich auch den europäischen „Berner Club“ und seine „Counter Terrorism Group“ (CTG), an denen der britische Inlandsdienst MI5 teilnimmt. Die CTG kooperiert in zunehmenden Maße mit Europol, wo das Königreich nach dem Brexit ebenfalls nur noch über Umwege teilnehmen darf.

Möglicherweise ist der Kampf gegen verschlüsselte Kommunikation einer der ersten sichtbaren Erfolge dieser fragwürdigen Kooperation mit Großbritannien. Nach den informellen Zirkeln der „G6“ und der „Five Eyes“ wird das Thema nächste Woche auf dem offiziellen EU-US-Treffen ranghoher Beamt:innen behandelt. Unter dem Tagesordnungspunkt „Herausforderungen im Zusammenhang mit Verschlüsselung und rechtmäßigem Abhören“ stellt die amtierende slowenische EU-Präsidentschaft die im Dezember unter deutschem Vorsitz beschlossene Ratsresolution zu Entschlüsselung vor.

Aufbauend auf einer Initiative von 2019 könnten auf dem für Juni geplanten EU-US-Ministertreffen dann konkrete Verabredungen getroffen werden.

9 Ergänzungen

  1. Und die Neuigkeit ist? Natürlich werden weiterhin UK+US in allen Fragen über Verschlüsselung dominant sein. Warum sollte sich das ändern?

  2. „Fragwürdige Zusammenschlüsse“?

    Alles andere als eine weitere Zusammenarbeit mit Großbritannien auf möglichst vielen Feldern wäre strategisch ja vollkommen idiotisch. GB ist eine weltweit bestens vernetzte Nation mit einem strategischen Politikansatz, den es in Europa – mit Ausnahme vielleicht von Frankreich – so nicht gibt. Es wäre ein Riesenfehler, dieses Potenzial nicht zu nutzen.

    Neben festen Strukturen wird es für solche Gespräche immer auch informelle Gruppen geben, so funktioniert Politik in 99 % der Fälle. Daran ist nun wirklich absolut nichts Anrüchiges.

    Der tatsächlich wirkungsmächtigste Einfluss Großbritanniens auf die EU wird aber auf anderer Ebene zu spüren sein, nämlich bei seiner Wirtschaftspolitik. Wenn GB wirklich auf eine Singapur-Strategie hinarbeiten sollte, wird das ein dringend benötigtes Korrektiv für eine übergriffige EU sein, die aus sich selbst heraus nicht mehr gut kontrolliert werden kann.

    1. Ahja, der klassische Take der Libertaeren: „wenn demokratische Strukturen nicht machen, was ich will, dann muss man die eben zu Gunsten von undemokratischen Strukturen abschaffen“ 8)

      1. Ganz im Gegenteil. Die Gemengelage aus Ministerrat, Kommission, Parlament und zusätzlich nationalen Regierungen hebelt demokratische Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene oft geradezu aus. Hinzu kommen die bekannten Verstöße gegen das „one man – one vote“-Gebot im Europäischen Parlament. Wenn jemand ein Musterbeispiel für transparente Demokratie sucht, würde wohl niemand die EU vorschlagen.

        Das ganze System ist inzwischen weitgehend unreformierbar, so dass Druck von außen das einzige wirksame Korrektiv ist. Leider ist das nur in sehr wenigen Bereichen machbar, in diesem Fall Wirtschaftspolitik.

        1. „Die Gemengelage aus Ministerrat, Kommission, Parlament und zusätzlich nationalen Regierungen hebelt demokratische Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene oft geradezu aus.“

          Alle genannten Gruppen sind zumindest indirekt von demokratischen Prozessen bestimmt. Das Problem ist vielmehr, dass sich Parteien und Politiker allzuoft nicht mehr den Wählern oder dem Wahlprogram verpflichtet fühlen, sondern nach ein paar „inoffiziellen“ Treffen (nicht-meldepflichtige Spende oft inklusive) den (WIrtschafts-)Lobbyisten und „Globalisten“ nach dem Mund reden.
          Es ist dann das System Trump was du (Tim) hier als Läsung vorschlägst: der hat die größte Feindin des öffentlichen Schulsystems zur Chefin desselben ernannt; weil ja nur sie das System reformieren könnte. – Jetzt sollen also zwielichtige Sicherheitspolitiker aus dem demokratischen Schatten heraus „Reformen“ anstoßen. Erstes Opfer sind dann drei weitere Grundrechte nach Wahl.

    2. „Neben festen Strukturen wird es für solche Gespräche immer auch informelle Gruppen geben, so funktioniert Politik in 99 % der Fälle. Daran ist nun wirklich absolut nichts Anrüchiges.“

      „Informell“ bedeutet hier außerhalb jeglicher demokratischer Kontrolle. Entscheidungsprozesse werden damit noch undurchsichtiger. Das als demokratisches Freudenfest zu verkaufen erfordert wirklich Chutzpeh, alle Achtung!
      Die Zeiten in denen der Normalbürger solche geschlossenen Geheimzirkel ohne zu mucken akzeptiert hat sind nun mal leider vorbei.

      1. @ Tea

        Wenn sich eine Abteilungsleiterin mit dem Staatssekretär in der Kantine zufällig auf einen Kaffee trifft und dabei die geplante Vorlage XYZ anspricht, kann die Öffentlichkeit nun mal nicht zuschauen. Darüber regt sich auch niemand auf. Es ist auch wirklich albern, sowas als „geschlossene Geheimzirkel“ zu bezeichnen.

        Sobald ein Vorgang später aktenkundig wird oder gar das Parlament drüber abstimmt, sieht es natürlich anders aus.

        Faustregel: Nicht alles, was die ca. 5 Mio. Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes in Deutschland jeden Tag ohne sofortige Kenntnis der Öffentlichkeit tun, ist ein Angriff auf unsere Verfassung.

        Wir müssen hier echt aufpassen, dass wir nicht zu Jakobinern werden, die draußen niemand mehr ernst nimmt.

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