Justus Dreyling ist promovierter Politikwissenschaftler und seit 2019 bei Wikimedia für internationale Regelsetzung zuständig. Er vertritt die Wikimedia-Bewegung bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) in Genf und berichtet auf netzpolitik.org in loser Reihe über die dortigen Verhandlungen um eine Reform des internationalen Urheberrechts. Der Autor twittert als @3_justus.
Als einziger Mitgliedstaat der WIPO sprach sich China bei der aktuell stattfindenden Generalversammlung erneut explizit gegen die Akkreditierung der Wikimedia Foundation als offizielle Beobachterorganisation aus – wie schon im vergangenen Jahr. Die WIPO ist die Sonderorganisation der Vereinten Nationen, in der internationale Verträge zum Marken-, Patent- und Urheberrecht ausgehandelt werden.
Beobachterorganisationen sind nicht stimmberechtigt, doch ihre Vertreter:innen können sich bei WIPO-Treffen im Plenum zu Wort melden. Dadurch können sie ihre Expertise in die Entscheidungsfindung einbringen.
Chinas Blockadehaltung
Die Wikimedia Foundation stelle das „Ein-China-Prinzip“ – also die Leitlinie der territorialen Integrität der Volksrepublik – durch Falschinformationen in Frage, hieß es in der nicht weiter erläuterten oder belegten Begründung Chinas. Bereits 2020 hatte China behauptet, dass die Wikimedia Foundation über das Wikimedia Taiwan Chapter an politischen Aktivitäten beteiligt sei, die die Einheit Chinas in Frage stellten. Chapter wie Wikimedia Taiwan sind unabhängige, von Frewilligen betriebene Lokalvertretungen der Wikimedia-Bewegung, die die Wikimedia-Projekte in einer geographsichen Region unterstützen und fördern.
Die Wikimedia Foundation wäre nicht die einzige WIPO-Beobachterin mit Verbindungen nach Taiwan. Tatsächlich haben einige der als Beobachter akkreditierten Verbände aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft taiwanesische Mitgliedsorganisationen.
Allerdings blockiert China bereits seit einiger Zeit den Zugang zu sämtlichen Sprachversionen der von der Wikimedia Foundation betriebenen Wikipedia. Auch steht eine festlandchinesische Gruppe von Wikiepdia-Nutzer:innen im Verdacht, andere Wikipedianer:innen ausspioniert und eine Übernahme der chinesischsprachigen Wikipedia vorbereitet zu haben. Erst kürzlich hatte die Wikimedia Foundation daher sieben dieser Nutzer:innen gesperrt und zwölf weiteren den Administratorenstatus entzogen. Chinas Blockadehaltung könnte also auch mit der freien Online-Enzyklopädie zusammenhängen.
Unterstützung aus den USA und Europa
Unterstützung erhielt die Wikimedia Foundation von den USA sowie der Gruppe der industrialisierten Staaten (Group B), der neben Deutschland viele weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union angehören. Aus Sicht der USA und der Group B erfülle die Wikimedia Foundation alle Erfordernisse für eine Aufnahme als Beobachterin.
In der WIPO werden Entscheidungen jedoch nach dem Konsensprinzip getroffen, das Veto eines einzelnen Mitglieds reicht also für eine Blockade aus. Iran, Pakistan und Russland drängten auf die Einhaltung des Konsensprinzips und somit auf eine Vertagung der Entscheidung. Die Wikimedia Foundation muss sich nun im nächsten Jahr erneut um Akkreditierung bewerben und wird nur zugelassen, wenn China von seiner Blockadehaltung abrückt.
Wikimedia Deutschland warnt vor Präzedenzwirkung
Christian Humborg, Geschäftsführender Vorstand von Wikimedia Deutschland, nannte den Vorgang einen Skandal. Auf diese Weise werde den Ehrenamtlichen der Wikipedia weltweit die Möglichkeit einer angemessenen Repräsentation genommen. „Dass die Wikimedia Foundation – die Betreiberin der Wikipedia – von einer UN-Organisation ausgeschlossen werden soll, schafft einen gefährlichen Präzedenzfall für andere Organisationen“, sagte Humborg weiter. Von der Bundesregierung erwartet er nun mehr Einsatz für die Zulassung der Wikimedia Foundation als WIPO-Beobachterin.
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