Justus Dreyling ist promovierter Politikwissenschaftler und seit 2019 bei Wikimedia für internationale Regelsetzung zuständig. Er vertritt die Wikimedia-Bewegung bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) in Genf und berichtet auf netzpolitik.org in loser Reihe über die dortigen Verhandlungen um eine Reform des internationalen Urheberrechts. Der Autor twittert als @3_justus.
Während der Corona-Krise war es verhältnismäßig still um die Weltorganisation für geistiges Eigentum WIPO – und das obwohl auf einmal eine breite Öffentlichkeit über geistige Eigentumsrechte diskutierte, insbesondere über den Patentschutz von COVID-19-Impfstoffen. Aufgrund der Pandemie ist die Arbeit am internationalen Urheberrecht jedoch fast vollständig zum Erliegen gekommen. Dabei gibt es Probleme, insbesondere im Bildungs- und Forschungsbereich, die die WIPO lösen könnte.
Die WIPO ist die Sonderorganisation der Vereinten Nationen, in der über neue Regeln für das internationale Patent- und Urheberrecht verhandelt wird. Das zentrale Gremium für urheberrechtliche Fragen, der SCCR, tagt üblicherweise zweimal im Jahr. Aufgrund der durch das Coronavirus bedingten Einschränkungen kam es 2020 und 2021 allerdings lediglich zu einem Treffen des ständigen Ausschusses fürs Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. Auch wurde der SCCR deshalb zuletzt in einem hybriden Format durchgeführt – die meisten Delegierten waren also lediglich online zugeschaltet.
Stillstand trotz Handlungsbedarf
UNICEF hat vor kurzem die Dimensionen der durch die Pandemie hervorgerufenen globalen Bildungskrise veranschaulicht: Ein Drittel der Schulkinder weltweit habe im vergangenen Jahr nicht am Distanzunterricht teilnehmen können, etwa weil das Geld für einen Internetzugang oder Endgeräte fehlte. Neben diesen strukturellen Problemen mögen urheberrechtliche Fragen zweitrangig erscheinen. Und doch tragen sie dazu bei, dass Fernunterricht vielerorts nicht funktioniert.
In vielen Ländern gelten für den Distanzunterricht andere Regeln als im Klassenzimmer. Lehrende dürfen urheberrechtlich geschützte Materialien dort oft eigentlich nicht mit Schüler*innen oder Studierenden teilen, gerade bei Teilnehmer*innen aus anderen Ländern. Auch dürfen Archive, Bibliotheken und Museen Materialien in vielen Fällen nicht online zugänglich machen. All dies hat die Corona-Krise schmerzlich in Erinnerung gerufen.
Wie die WIPO helfen könnte
Lehrende sollten nicht vor die Entscheidung gestellt werden, sich entweder gesetzeswidrig zu verhalten oder einen schlechteren Unterricht anzubieten, nur weil ein veraltetes Gesetz eine Nutzung zwar im Analogen erlaubt, im Digitalen aber nicht. Auch müssen Bibliotheken und andere Institutionen auch während einer Pandemie Zugang zu Bildung und Kultur ermöglichen dürfen.
Die WIPO könnte hier für Klarheit sorgen. Dazu müsste sie den Mitgliedstaaten empfehlen, den bestehenden Spielraum für solche Anwendungsbereiche auch zu nutzen. Insbesondere für grenzüberschreitende Nutzungen bräuchte es aber ein neues internationales Abkommen. Deshalb wollten zivilgesellschaftliche Organisationen diese Themen wieder in den Mittelpunkt der SCCR-Debatten rücken.
Fortschritte ausgerechnet im Bereich Signalschutz
Noch bei der letzten Sitzung im November 2020 wurden diese Bemühungen abgebügelt. Überraschenderweise kam es nun zunächst beim ersten ständigen Agendapunkt zu Fortschritten: dem Schutz von Rundfunksignalen.
Internationale Verhandlungsrunden benötigen in aller Regel mehrere Jahre bis zum Abschluss. Besonders lang dauern die Verhandlungen über das geplante Broadcasting Treaty. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre streiten sich die Mitgliedstaaten der WIPO über das Vertragswerk. Der Entwurf sieht die Einführung eines urheberrechtsähnlichen Schutzrechts für Ausstrahlungen durch Rundfunksender vor. Rundfunksender erhoffen sich, so besser gegen „Signalpiraterie“ vorgehen zu können – also die Wiedergabe etwa von Ausstrahlungen von Sportveranstaltungen auf Webstreams ohne Einverständnis des Rechteinhabers.
Intransparentes Vorgehen
Jetzt versucht eine informelle Gruppe rund um den SCCR-Vorsitzenden letzte Streitigkeiten aus dem Weg zu räumen. Kritiker*innen aus Reihen der Mitgliedstaaten und der Zivilgesellschaft halten dieses Vorgehen für intransparent, da nur Befürworter eines Broadcasting Treaty eingebunden waren. Auch hatten sich die Mitgliedstaaten eigentlich darauf verständigt, nicht über Vertragstexte zu verhandeln, da im hybriden Modus eine Teilnahme auf Augenhöhe aufgrund von Konnektivitätsproblemen nicht für alle Delegationen gewährleistet werden kann.
Sollte das Broadcasting Treaty bald im Rahmen einer WIPO-Vertragskonferenz ausverhandelt werden, müssen gute Schrankenregeln enthalten sein. Insbesondere bei der Einführung eines neuen Schutzrechts benötigen Staaten Flexibilität: Nutzungen von Ausstrahlungen im öffentlichen Interesse müssen weiterhin ohne Erlaubnis des Rechteinhabers möglich sein, etwa die Wiedergabe von Ausschnitten im Bildungskontext. Probleme könnten außerdem bei der Ausstrahlung gemeinfreier Inhalte entstehen. Es müsste sichergestellt werden, dass Uploadfilter gemeinfreie Inhalte auf Plattformen nicht einfach sperren, nur weil sie auch von einem Rundfunksender ausgestrahlt worden sind.
Und am Ende bewegt sich die WIPO doch
Zum Ende der letzten Sitzung schlossen sich Entwicklungs- und Schwellenländer einer zivilgesellschaftlichen Forderung an: Es soll untersucht werden, wie bestehendes Urheberrecht sich in der Pandemie auf den Zugang zu Wissen auswirkt. Die Industriestaaten waren zunächst lediglich zu regionalen Workshops zum Thema bereit. Als Kompromiss findet nun im Rahmen des nächsten SCCR eine Informationsveranstaltung statt, bei der der Einfluss von COVID-19 auf das Urheberrechtssystem aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet werden soll.
Das mag zunächst nach nicht viel klingen. Tatsächlich sind es in internationalen Foren aber oft solche kleinen Schritte, die die Dynamik von Verhandlungsrunden verändern. Für die Fürsprecher*innen von Bildung und Forschung sowie der Archive, Bibliotheken und Museen wird es in der nächsten Sitzung des SCCR nun darum gehen, dass ihre Belange auch tatsächlich im Rahmen der Informationsveranstaltung berücksichtigt werden. Insbesondere müssen die Mitgliedstaaten nun Schritte unternehmen, um den Zugang zu Bildungsinhalten unter Krisenbedingungen zu erleichtern.
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