Zivilgesellschaftliche BeteiligungGesetze sind keine Last-Minute-Weihnachtsgeschenke

Das Wissen und die Erfahrungen zivilgesellschaftlicher Expert:innen sind ein Geschenk, das man nicht achtlos in die Ecke schmeißen sollte. Doch im Moment tun die Ministerien bei vielen Gesetzesvorhaben genau das. Ein ansatzweise weihnachtlicher Kommentar.

Zwei Personen mit Weihnachtsmützen sitzen vor einem Tannenbaum
Ich wünsche mir zu Weihnachten: ein Ministerium, dem die Meinung der Zivilgesellschaft nicht egal ist. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com SB Vonlanthen

Seit mehr als zwei Jahren arbeitet das Bundesinnenministerium an einem Entwurf für ein zweites IT-Sicherheitsgesetz. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik soll neue Kompetenzen und Mittel bekommen, am Anfang wollte man noch den sogenannten digitalen Hausfriedensbruch und einige Darknet-Dienste kriminalisieren. Nachdem man sich auf einen Entwurf aus dem Jahr 2019 in der Großen Koalition nicht einigen konnte, machte das Innenministerium Mitte 2020 einen neuen Anlauf.

Wir haben immer wieder Versionen des Gesetzentwurfs veröffentlicht, weil es das Innenministerium nicht getan hat. Als es das Anfang Dezember doch noch tat, sollte plötzlich alles möglichst schnell gehen: Vier Tage Zeit zur öffentlichen Stellungnahme gab das Ministerium, zwei davon fielen auf ein Wochenende. Nach immenser Aufregung im IT-Sicherheits-Universum hing man ein paar Tage dran und schob die kurze Frist auf einen redaktionellen Fehler. Dann fand man offenbar selbst noch Änderungswünsche, veröffentlichte den nächsten Entwurf, 16 Seiten länger, neue Stellungnahmen bitte, aber flott. Ein Tag muss doch reichen. Dass das erste IT-Sicherheitsgesetz trotz der im Gesetz festgelegten Frist noch nicht einmmal evaluiert wurde – ach, egal.

Wären da nicht hartnäckige IT-Sicherheits-Spezialexperten wie von der Stiftung Neue Verantwortung oder der AG KRITIS, die sich beständig mit der Materie beschäftigen, würde es wohl niemand schaffen, in so kurzer Zeit fundiertes Feedback zu einem Vorhaben abzugeben, das sich auf viele Bereiche der IT-Sicherheit auswirken wird. Und es ist wohl nur ihrer Leidenschaft und Leidensfähigkeit zu verdanken, dass sie es trotzdem tun und dabei noch Spaß zu haben scheinen.

Fragt lieber Oma, bevor ihr dem Onkel Geschenke kauft

Stellen wir uns mal Folgendes vor: Am Tag vor Heiligabend steht der gestresste Einkäufer Horst in den Konsumtempeln, um noch schnell ein Geschenk für den Onkel zu besorgen, der sich kurzfristig angekündigt hat. Zubehör für die Modelleisenbahn geht immer. Dann kehrt Horst an Heiligabend selbst nochmal zurück, um die hastig gekaufte Weiche umzutauschen, weil Oma beim Baumschmücken angemerkt hat, dass der Onkel eine Bahn mit anderer Spurbreite hat.

Das erfreut Menschen wie mich – die am 24. Dezember gerne Ausflüge in Einkaufszentren machen (wenn nicht gerade Pandemie ist), um sich ganz ohne Eintrittskarte von der Absurdität und der Verzweiflung des Geschenke-Stress-Theaters unterhalten zu lassen. Aber Gesetze sind keine Last-Minute-Weihnachtsbesorgungen. Da sollte man die Oma mit den vielen Jahren Lebenserfahrung, die alle Schuhgrößen und Spurbreiten der Familie schon vor dem ersten Kaffee ohne zu Zögern aufsagen kann, vielleicht ein paar Tage früher fragen. Außer: Man will ihre Meinung nicht hören.

Anders kann man das, was das Innenministerium hier tut, nicht verstehen. Allerdings ist er mit dieser Haltung im Ministerienreigen nicht allein. Da muss man die Stellungnahmefrist für den BND-Gesetzentwurf des Bundeskanzleramts mit einer ganzen Woche beinahe großzügig finden. Oder die fünf Tage für ein Gesetz gegen Hassrede. Zumindest wenn man die zwei Tage für 465 Seiten Änderungen am Telekommunikationsgesetz betrachtet. Und es ist ganz egal, ob die Paragrafen-Monster vielleicht schon früher an ausgesuchte Organisationen gegangen sind. Öffentlich ist es, wenn es öffentlich ist.

„Gezielte Sabotage der demokratischen Prozesse“ nennt der Chaos Computer Club die Unart solch kurzer Fristen. Einen „ministeriellen Mittelfinger ins Gesicht der Zivilgesellschaft“, sagt die AG KRITIS.

Gestörtes Ermessen

Laut der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien bestimmen die federführenden Ministerien nach eigenem Ermessen, wann sie welche Verbände in welchem Umfang beteiligen. Offenbar ist dieses Ermessen gestört. Das Ende des Jahres rückt näher, das Ende der Legislaturperiode auch.

Dass man möglichst viele Regierungsentwürfe noch in der letzten Kabinettssitzung am 16. Dezember beschließen will, darf keine Ausrede sein, die Expertise all jener mit Füßen zu treten, die sich seit Jahren für eine bessere IT-Sicherheits- und Netzpolitik einsetzen. Jene, die auf ihren Adventssonntag verzichten, um Textmonster mit möglichst komplizierten Formulierungen und umzähligen Querverweisen zu verstehen, zu analysieren und Änderungsvorschläge zu machen. Die dabei wissen, dass ihre Vorschläge aus dem Beteiligungstheater sowieso kaum eingearbeitet werden können. Denn selbst wenn sie die Fristen halten können: Wer soll das so kurzfristig noch berücksichtigen?

Und wer hofft, dass die oftmals genauso hastig durchgepeitschten Sachverständigenanhörungen im Bundestag es richten könnten?

Wenn das Ermessen der Ministerien so erheblich gestört ist, bleiben nur verbindliche Mindestfristen. Doch die kann und wird es nur geben, wenn wir ein grundlegenderes Haltungsproblem überwinden: Wir müssen die Expertise aus der Zivilgesellschaft als Geschenk anerkennen. Keines, das hektisch und lieblos an Heiligabend gekauft, von der Todo-Liste abgehakt und dann vom Einpackservice mit einer roten Doppelschleife versehen wurde. Keines, das man im neuen Jahr beim Schrottwichteln verhökert. Sondern eines, das seit Jahren gewachsen ist und über das wir uns auch in vielen Jahren noch jedes Mal freuen können. Wenn wir gut damit umgehen.

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Eine Ergänzung

  1. Also nach [keine Zeit] dann 16 Seiten Änderungen und wieder [keine Zeit]. Holla!

    Eine weitere Frage ist, was man von den 16 Seiten an Qualität eigentlich innerhalb von [keine Zeit] erwarten kann.

    Und es schließt sich die Frage an, ob es nicht Zeit ist, Gesetze und deren Entstehung tiefgehend zu analysieren. Wer hat was wann formuliert, woher kommen änderungen, wieviel Aufwand müsste ein Entwurf oder eine Änderung ungefähr bedeuten, und wie passt das zu der Abfolge der Eingaben. Ich glaube Whistleblowing wäre ja demokratiespezifisch effizienter, aber zur Not müsste doch etwas Analyse von (fast) Außen auch möglich sein?

    [keine Zeit]? Mist.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.