Die Jugendorganisation der Grünen hat unter dem Titel „Polizei neu aufstellen“ ein umfassendes Positionspapier zur Reform der Polizei vorgelegt, das sich mit vielen Bereichen polizeilichen Handelns auseinandersetzt. Das Papier bietet die bislang weitreichendsten und grundrechtsfreundlichsten Ansätze einer Polizeireform aus der gesamten Parteienlandschaft.
In einem ersten Punkt fordert das Papier eine Überprüfung, welche Aufgaben überhaupt von der Polizei wahrgenommen werden sollten. Die Polizei würde oft auch dann eingesetzt, wenn diesen Aufgaben „speziell geschulte Berufsgruppen besser und effektiver nachkommen könnten“. Als Beispiele werden hierbei der Umgang mit Opfern häuslicher oder sexualisierter Gewalt, mit Obdachlosen, Geflüchteten oder Suchtkranken genannt.
Die finanziellen und personellen Ressourcen von zivilen Trägern für Streetwork, psychologische Krisenhilfe oder ähnliches müssten massiv ausgebaut werden, damit nicht nur die Polizei 24 Stunden am Tag zu Einsätzen gerufen werden könne. Speziell ausgebildetes Personal könne die Prävention stärken, Eskalationen verhindern und auch die Polizei entlasten.
Menschenfeindliche Einstellungen verdrängen
Im zweiten Punkt fordern die jungen Grünen, dass die angehenden Polizist:innen schon vor der Anstellung auf menschenfeindliche Einstellungen hin überprüft werden sollen. Außerdem manifestierten sich in geschlossenen Einheiten der Polizei gefährliche Tendenzen oft in besonderem Maße, sie führten zusammen mit einem übersteigerten Korpsgeist zu einem Weltbild von „wir gegen den Rest der Welt“. Dieses sei mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht zu vereinen. Ein Vorschlag, um dem entgegenzuwirken: die personellen Zusammensetzungen geschlossener Einheiten spätestens nach drei Jahren ändern.
Zu Racial Profiling heißt es im Papier, dass bestimmte Begriffe in Gesetzen wie „grenzpolizeiliche Erfahrung“ ein Racial Profiling rechtfertigten – und geändert werden müssten. Darüber hinaus brauche es Antidiskriminierungsgesetze nach dem Berliner Vorbild auf Länder- und Bundesebene.
Zu den Vorschlägen gehört auch die Einführung von Anti-Rassismus-Beauftragten und eines „Ticket-Systems“, bei dem Kontrollierte einen schriftlichen Nachweis über die Kontrolle erhalten, damit sie diese im Falle von überdurchschnittlichen Kontrollen auch nachweisen und rechtlich überprüfen lassen können.
Eine weniger martialische Polizei
Das Papier kritisiert die Militarisierung der Polizei als ungeeignet, „um Sicherheitsbedürfnisse in der Bevölkerung zu befriedigen“. Dabei wagt sich die grüne Jugend sogar an ein Sakrileg der deutschen Polizei heran und fordert, dass nicht jede Polizeistreife mit Schusswaffen bewaffnet sein müsse. In England gehört dies schon seit jeher zum Alltag, in Deutschland soll diese Reformmaßnahme mit schärferen Waffengesetzen flankiert werden, so das Papier.
Auch der Einsatz von Pfefferspray soll überprüft werden. Das Reizgas werde zu leichtfertig eingesetzt. Für Demonstrationen fordert die Grüne Jugend, auf den Einsatz von Pferden und Hunden zu verzichten, gleichzeitig solle das Vermummungsverbot abgeschafft und die polizeiliche Kooperation und Deeskalation zugunsten der Versammlungsfreiheit gestärkt werden.
Auch für die Ausbildung der Polizei schlägt die Grüne Jugend eine Öffnung vor. So kritisiert das Papier die Kasernierung angehender Polizist:innen und fordert Polizei-Studiengänge an regulären Hochschulen. Zur Öffnung der Polizei gehöre auch, dass diese vielfältiger aufgestellt werde, auch in Führungspositionen.
Mehr unabhängige Kontrolle gefordert
In einem dritten Punkt geht es um staatliche Kontrolle der Polizei. Täter in Uniform unter den Polizist:innen hätten in Deutschland kaum Konsequenzen zu befürchten. Um Straftaten im Amt und rechtswidrige Polizeigewalt bekämpfen zu können, braucht es laut dem Papier in allen Bundesländern und im Bund eine anonymisierte Kennzeichnungspflicht.
Außerdem sollen „unabhängige Ermittlungsstellen mit Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften“ eingeführt werden, welche bei Fehlverhalten von Polizeibeamt:innen tätig werden. Diese Anlaufstellen sollen mit weitreichenden Kompetenzen und Ressourcen ausgestattet werden. Um zudem mehr Transparenz der juristischen Aufarbeitung von Polizeigewalt zu ermöglichen, sollen nach Meinung der Grünen Jugend alle Einsatzprotokolle und Polizeivideos bei einer unabhängigen Treuhandstelle aufbewahrt werden. So könne sichergestellt werden, dass Polizei, Justiz, unabhängige Ermittlungsstellen, aber auch von Polizeigewalt Betroffene gleichermaßen Zugriff auf diese möglichen Beweismittel erlangen könnten.
Datenbankabfragen besser kontrollieren
Zu den illegalen Datenabfragen der Polizei heißt es in dem Papier: „Sofern über polizeiliche Datensysteme Informationen abgerufen werden, muss durch eine persönliche Kennung zweifelsfrei nachvollziehbar sein, wer, wann, warum, welche Daten abgerufen hat.“ Unberechtigte Datenabfragen müssten konsequent straf-, disziplinar- und beamtenrechtlich verfolgt werden.
In Bund und Ländern sollen darüber hinaus von Ministerien unabhängige Polizeibeauftragte in den Parlamenten eingeführt werden, damit die parlamentarische Kontrolle über den Polizeiapparat gestärkt werde.
Generell kritisiert das Papier auch die mangelnde Fehlerkultur bei der Polizei. Hier sei ein tiefgreifender Kulturwandel nötig, für den die Einführung von Polizeibeauftragten erst der Anfang sei. Dieser Wandel, der zu mehr Vertrauen führen könne, müsse aber in der Polizei selbst stattfinden.
Darüber hinaus fordert das Papier Studien über die Polizei, besonders im Hinblick auf menschenfeindliche Ideologien, und nennt hierbei die von Bundesinnenminister Horst Seehofer verhinderte Studie über Racial Profiling.
Das Papier endet mit dem Satz, dass diese Maßnahmen „nur ein erster Schritt sein können auf dem langen Weg zu einer befreiten Gesellschaft, die Gewalt und Repression als Mittel der gesellschaftlichen Problemlösung Stück für Stück überwindet“.
Kritik von rechts, Lob aus Wissenschaft
Dementsprechend groß ist der Aufschrei bei Konservativen und den Polizeigewerkschaften, die das Papier teilweise anhand einzelner, in den falschen Zusammenhang gestellter Ausdrücke zerlegen und sich nicht weiter inhaltlich damit befassen. Inhaltliche Kritik kommt unter anderem von den Grünen selbst, die sich in den letzten Jahren immer mehr an polizeiliche Forderungen angenähert haben.
Das Papier wird aber nicht nur kritisiert, sondern erhält auch Lob aus der Wissenschaft. Der Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes schreibt auf Twitter, dass er darin „keine einzige Forderung“ sehe, die er nicht zu 100 Prozent unterstützen würde: „Die haben alle Probleme in und mit der Polizei sauber aufgearbeitet und daraus Konsequenzen gezogen.“
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