Womöglich hätten Spuren zu dem Tatverdächtigen führen können und zu jenen Unbekannten, mit denen er im Netz mutmaßlich verkehrte. Doch als das Bundeskriminalamt (BKA) eine E-Mail an Jānis Pētersons schickte, waren diese Spuren längst gelöscht. Das sagt Pētersons, der Betreiber des Imageboards Meguca. Auf seiner Website war der rechtsextremistische Terroranschlag von Halle angekündigt worden, Minuten vor der Tat am 9. Oktober 2019.
IP-Adressen, die unter Umständen zu den wahren Identitäten der namenlosen Forennutzer:innen geführt hätten, seien bei Meguca normalerweise für sieben Tage gespeichert worden. Im Fall des Beitrags, den der Attentäter Minuten vor der Tat mutmaßlich selbst verfasst hatte, sei dies jedoch nicht geschehen. Ein Moderator habe ihn schon eher entfernt und mit ihm das gesamte Unterforum, wie Pētersons angibt. Mindestens zwei Tage nach dem Anschlag hätte das BKA demnach noch eine Chance gehabt, etwa IP-Adressen von Nutzer:innen zu sichern.
Die Ermittler:innen hätten „professionell und verständnisvoll“ zur Kenntnis genommen, dass er ihnen nichts zur Verfügung stellen konnte, teilt Pētersons netzpolitik.org mit. Inzwischen hat der Betreiber Meguca komplett vom Netz genommen. Eine Folge des Attentats.
Wann haben die Ermittler:innen von Pētersons erfahren?
Das träge Vorgehen der Sicherheitsbehörden hatte zuerst frontal21 thematisiert. In seiner Sendung vom 15. Oktober berichtete das ZDF-Magazin, dass sich noch niemand bei Pētersons gemeldet hatte. Reporter:innen hatten den heute 29-Jährigen in Lettland aufgespürt.
Erst am 16. Oktober, also einen Tag nach der Ausstrahlung im Fernsehen, wandte sich dann auch das BKA an ihn. Bekannt wurde dies vor Kurzem durch eine Kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten der Linken.
Es ist unklar, weshalb sich die Sicherheitsbehörde nach dem Anschlag nicht eher bei Jānis Pētersons gemeldet hat. Hat sie erst durch das ZDF-Magazin von dem Mann erfahren?
Eine Frage, die das BKA nicht beantworten will.
Pētersons’ Kontaktinformationen standen öffentlich auffindbar im Netz
Die Bundesregierung gibt indes an, die Sicherheitsbehörde biete ihren Mitarbeiter:innen verschiedene Lehrgänge „zur Steigerung der Cyberkompetenz“ an, seit 2017 unter anderem zur „Internetrecherche“. Jedoch standen Pētersons’ Name und Kontaktinformationen wie seine E-Mail-Adresse und sogar seine Wohnanschrift in der Vorstadt Rigas im Zusammenhang mit der Website öffentlich auffindbar im Netz.
Offen ist auch weiterhin, ob die Ermittler:innen versucht haben, direkten Zugang zu dem Webserver zu erhalten, auf dem Meguca lief. Er stand in Paris in einem Datenzentrum der Firma Scaleway, das zur Iliad-Gruppe gehört, einem großen französischen Internetdienstanbieter.
Der französischen Zeitung Le Monde hatte ein Sprecher des Unternehmens im Oktober mitgeteilt, es untersuche den Fall, wolle ihn aber nicht kommentieren. Pētersons gibt an, ihm sei nicht bekannt, dass jemand auf diesem Weg Zugang zu möglichen Sicherheitskopien der Daten erlangt habe.
Auch hierzu will das BKA nichts sagen.
Das Schweigen der Sicherheitsbehörden
Netzpolitik.org hat der Behörde eine Reihe von Fragen geschickt. Beantwortet wurde keine einzige. Zu laufenden Ermittlungen könne man keine Auskünfte geben, teilte eine Sprecherin mit. Schon gegenüber frontal21 hatte sich das BKA im Oktober zu Meguca nicht äußern wollen. Und nicht nur gegenüber Medien scheint es zu mauern.
Am selben Tag, als das BKA erstmals Pētersons kontaktierte, hatte sich der Innenausschuss des Deutschen Bundestags mit dem rechtsextremistischen Terroranschlag beschäftigt. „Nach der Sitzung blieben wesentliche Fragen unbeantwortet“, so der Innenpolitiker Konstantin von Notz von den Grünen. „Auch stellen sich bezüglich der Vernetzung und Mobilisierung von Rechtsextremisten im Internet zahlreiche Fragen – zum Beispiel die, ob nach der Tat entschlossen genug in diese Richtung ermittelt wurde.“
Zeitstempel spricht für Echtheit der Ankündigung
Die Ermittler:innen scheinen zumindest eine Vorstellung davon zu haben, in welcher Welt der Tatverdächtige verkehrte. „Der Beschuldigte nutzte sogenannte Imageboards wie ‚nanochan‘, ‚Julay.World‘ und ‚vch.moe‘“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage. Und Meguca?
Die Ankündigung erschien dort um 11.57 Uhr und 46 Sekunden, wie aus dem Zeitstempel hervorgeht. Verlinkt waren der Livestream auf der Plattform Twitch und Baupläne von Waffen, wie sie der Tatverdächtige bei sich trug.
Nutzer:innen des Forums streuten, das Attentat sei eigentlich woanders angekündigt worden und der Beitrag nur eine Kopie aus einem anderen Imageboard, das über das ZeroNet erreichbar sei, einer dezentralen Variante des Darknet. Doch Belege für diese Behauptung lieferten sie nicht.
Stattdessen ist die Uhrzeit ein Indiz dafür, dass der Tatverdächtige selbst bei Meguca gepostet hat. Der Anzeige auf dem Armaturenbrett seines Mietwagens nach ist es etwa 11.54 Uhr, als er den Livestream startet. Rund dreieinhalb Minuten vergehen, in denen man hört, wie er etwas am Laptop macht. Dann verkündet er: „Done!“ – fertig.
Haben die Ermittler:innen mehr als drei IP-Adressen?
Es gibt noch eine weitere Spur, die das BKA und der Generalbundesanwalt verfolgen. Drei Twitch-Nutzer:innen sollen die Übertragung der Tat mindestens zum Teil in Echtzeit verfolgt haben. Wie die Bundesregierung im Dezember mitteilte, liegen den Ermittler:innen entsprechende IP-Adressen vor.
Sie führen einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zufolge in die USA sowie in die Schweiz. Nicht bekannt ist demnach, ob die Eigentümer:innen tatsächlich dort leben oder ihren Standort mittels Software verschleiert haben. „Die Ermittlungen zu den dahinterstehenden Personen und Hintergründen dauern derzeit noch an“, steht in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage. Erläutert wird nicht, welche Erkenntnisse man sich von den Zuschauer:innen des Livestreams erhofft.
Drei Monate sind vergangen, seit ein 27-Jähriger versuchte, bewaffnet in die Synagoge in Halle einzudringen und schließlich zwei Menschen auf offener Straße und in einem Dönerimbiss erschoss. Ein erster Ermittlungserfolg steht offenbar noch aus.
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