GesichtserkennungKampagne für ein dauerhaftes europaweites Verbot

Automatisierte Gesichtserkennung in öffentlichen Räumen, in Schulen oder auf Flughäfen gehört verboten: Das ist die Forderung einer heute europaweit gestarteten Kampagne mitsamt einer Petition. Bei den biometrischen Erkennungsverfahren sei heute noch nicht abzusehen, welche gesellschaftlichen Langzeitfolgen sie haben werden.

Anonymität im öffentlichen Raum könnte der Vergangenheit angehören, sollte sich automatisierte Gesichtserkennung weitflächig durchsetzen. (Symbolbild) CC-BY-ND 2.0 nickestamp

Heute geht eine neue Kampagne europaweit an den Start, die sich dafür starkmacht, die biometrische Gesichtserkennung einzudämmen. Flankiert von einer Petition fordert die Initiative „Verbot der Gesichtserkennung in Europa!“ eben das und möchte bis Mitte 2021 eine möglichst große Zahl an Unterstützern sammeln. Dass biometrische Verfahren, die Gesichter von Menschen unbemerkt im Vorbeigehen scannen, nach und nach wie selbstverständlich daherkommen, soll mit einem Verbot verhindert werden.

Bereits vor einigen Tagen hat die französisch-italienische Initiative ihre Website gestartet und sie unterdessen in mehrere Sprachen übersetzt, darunter auch in Deutsch. Die französische Version konnte bereits mehrere tausend Unterschriften sammeln.

Gesichtserkennung als gefährliche Waffe

Gerade in den letzten beiden Jahren hätten in den europäischen Staaten immer mehr Projekte zur Gesichtserkennung begonnen, erklärt Paolo Cirio, Künstler und Hacktivist aus Italien und einer der Initiatoren der Kampagne, gegenüber netzpolitik.org. Bis zum Mai 2020 seien in mindestens fünfzehn Ländern Tests mit biometrischen Technologien in öffentlichen Räumen gelaufen. Neben Frankreich, Deutschland, Italien, Serbien und Großbritannien, in denen die Öffentlichkeit recht breit über diese Projekte diskutiert hatte, starteten auch Tschechien, Dänemark, Griechenland, Ungarn, die Niederlande, Polen, Rumänien, Slowenien, Schweden und die Schweiz automatisierte Gesichtserkennungstests. Zu der Zunahme an Projekten dürfte beigetragen haben, dass die biometrischen Erkennungsverfahren in den letzten Jahren deutlich bessere Ergebnisse zeigen und gleichzeitig immer mehr hochauflösende Bilder von guten Kameras zur Verfügung stehen. Auf der Kampagnenseite sind für die einzelnen Länder jeweils die biometrischen Projekte vermerkt.

Dass angesichts von diesen Entwicklungen im Februar 2020 ein zuvor von der EU-Kommission zumindest erwogenes fünfjähriges Moratorium für Gesichtserkennungstechnologien in einem White Paper (pdf) wieder kassiert wurde, sei enttäuschend. Cirio sagt, dass diese Entscheidung die jetzige Initiative ins Rollen gebracht hätte: „Diese Petition und diese Kampagne sind auch eine Antwort auf die Entscheidung gegen das Moratorium.“

Immerhin hatte sich der Europäische Datenschutzbeauftragte (European Data Protection Supervisor) nach der Veröffentlichung des Kommissionspapiers in einer Gegenposition klar für ein zumindest temporäres Verbot von automatisierter Gesichtserkennung in öffentlichen Räumen ausgesprochen.
logo der kampagne
Der Kampagnentext vergleicht Gesichtserkennungstechnologien mit gefährlicher Waffentechnik und fordert nicht nur ein Verbot in der Europäischen Union, sondern auch weltweit. Das solle über die Vereinten Nationen (UNO) geschehen. Cirio erklärt gegenüber netzpolitik.org, dass die UNO tätig werden müsse, denn Gesichtserkennung eigne sich zur massenhaften Überwachung und „verletzt die Menschenwürde“.

Auf der Kampagnenseite wird darauf hingewiesen, dass sowohl staatliche als auch private Institutionen in zunehmendem Maße auf Gesichtserkennung setzen. Als Beispiele sind Arbeitsplätze, öffentliche Räume, Schulen oder Flughäfen genannt. Oftmals werde von den Vorbeilaufenden keine Zustimmung dazu eingeholt, dass Bilder ihrer Gesichter gescannt, gerastert und verarbeitet würden. Außerdem seien die „Langzeitkonsequenzen“ der biometrischen Erkennungsverfahren noch gar nicht geklärt.

Cirio verweist gegenüber netzpolitik.org auch auf den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg, bei dem in diesem Jahr eine Beschwerde zweier russischer Aktivisten eingegangen ist. Sie wehren sich gegen die Gesichtserkennung im Vorjahr in Moskau, die sich gegen Protestierende richtete. Im März waren sie vor einem Bezirksgericht der russischen Hauptstadt gescheitert und suchen nun den Weg nach Straßburg, um auf ihre Rechte nach der Europäischen Menschenrechtskonvention zu pochen. Russland hatte die Konvention 1998 ratifiziert.

Europäische Aktivisten

Partner der Kampagne für ein dauerhaftes europaweites Verbot von Gesichtserkennungstechnologie sind bisher FutureEverything aus Großbritannien, wo die automatisierte Gesichtserkennung jüngst einen derben gerichtlichen Rückschlag erlitten hatte, die Share Foundation aus Serbien, außerdem mit European Digital Rights (EDRi) die Dachorganisation der digitalen Bürgerrechtler aus Brüssel sowie die französischen Digitalaktivisten von La Quadrature du Net, die aktuell auch versuchen, mit rechtlichen Schritte gegen die polizeiliche Gesichtserkennung in Frankreich und gegen die dazugehörige Biometriedatenbank mit acht Millionen gespeicherten Bildern vorzugehen.

Die Petition kann von jedermann gezeichnet werden, Unterstützer-Organisationen sind nach Angaben Cirios sehr gern gesehen.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

5 Ergänzungen

  1. Nicht nur in öffentlichen Räumen, sondern GENERELL. Vor allem auch generelles Verbot für die Nutzung der Gesichtserkennung durch den Staat (Stichwort Zwang zur biometrischen Erfassung von Fingerabdrücken und Gesichtern in Ausweisen, denn es gibt dafür kein legitimes Interese, die Identifikation dient AUSSCHLIEßLICH DER ÜBERWACHUNG, wie Ausweise generell!!)

    1. @cara
      Du schreibst:
      die Identifikation dient AUSSCHLIEßLICH DER ÜBERWACHUNG, wie Ausweise generell!!)

      Ich kann mir gut deinen Standpunkt vorstellen, weil ich ebenfalls ähnliche Argumente äußere.
      Wie lautet deine Antwort in der Situation wenn eine Person darauf hin sagt „und wie kannst du den Rechtsstaat erhalten wenn du gegen eine Person klagst, die durch dich angeklagte Person holt sich bis das Verfahren vor Gericht anfängt einen anderen Ausweis (haben dann keine Bilder, also unkontrollierbar weitergebbar) und sagt vor Gericht „ich weiß nicht warum ihr mich anklagt, ich bin YZ und nicht XY. Ihr habt die falsche Person verklagt“.
      Wie würdest du also einen Identitätsdiebstahl oder Flucht vor rechtsstaatliche Folgen durch Identitätswechsel verhindern?

  2. Zur Sicherstellung des Nichtverarbeitungsgebotes werden alle Datenströme in der Nähe von Kameras in Echtzeit überwacht, und nur noch die staatliche Cloudlösung für Kameras erlaubt.

  3. Liebes Netzpolitik-Team. Schön wäre, wenn Ihr noch eine Einschätzung zur Kampagnen-Website „wesign.it“ geben könntet, zu der die Website „Ban-Facial-Recognition.eu“ sofort umschaltet. Ich befürworte die Aktion, werde unterzeichnen und den Link verbreiten – trotzdem frage ich mich, warum „wesign.it“ selbst mehr Daten sammelt als nötig gewesen wäre. Danke.

    1. Ich frage bei den Initiatoren gern mal nach, warum sie sich dafür entschieden haben. Ich weiß nur, dass sie mehrere Plattformen erwogen hatten und „wesign.it“ am Ende auch als Partnerorganisation läuft.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.