Seit fast drei Jahren darf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Smartphones Asylsuchender auswerten, die sich ohne Pass in Deutschland um Asyl bewerben. Schon als das Gesetz erarbeitet wurde, wurde die Verhältnismäßigkeit der Datenauslesung angezweifelt – unter anderem von der damaligen Bundesdatenschutzbeauftragten. Nun klagen drei Betroffene vor Verwaltungsgerichten in Berlin, Hannover und Stuttgart gegen die Praxis. Unterstützt werden sie von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Einer der Kläger ist der 29-jährige Mohammad A., der aus Syrien nach Deutschland geflohen war. Auch sein Handy wurde ausgelesen. Warum, konnte er nicht verstehen – er war schon längst als Geflüchteter in Deutschland anerkannt. „Ich wusste überhaupt nicht, was da genau passiert, man hat mir nichts erklärt. Aber ich hatte Angst, abgeschoben zu werden. Also habe ich ihm das Handy gegeben. Das war, als würde ich mein ganzes Leben über den Tisch reichen“, sagt er laut Pressemitteilung. An seinem Asylstatus änderte die Nachüberprüfung im Jahr 2019 nichts. Die beiden weiteren Klägerinnen sind eine 37-jährige Frau aus Afghanistan und eine 25-Jährige aus Kamerun.
Die Migrationsbehörde wertet die Geräte aus, um Hinweise auf Herkunft und Identität der Asylsuchenden zu bekommen. Zweifel an ihren Angaben sind dafür nicht Voraussetzung, die Datenträgerauslesung kommt schon in Betracht, wenn eine Person keinen gültigen Pass vorzeigen kann. Es muss nicht versucht werden, die Herkunftsangaben durch weniger invasive Mittel wie eine Asylanhörung zu überprüfen.
Bei der Analyse werden etwa die Ländercodes ein- und ausgehender Nachrichten und Anrufe, Geodaten sowie die verwendete Sprache bei Textnachrichten untersucht. Dann steht da beispielsweise: 64 Prozent der getätigten Anrufe des Antragstellers gehen zu Telefonnummern mit tunesischer Vorwahl. 52 Prozent der eingehenden Textnachrichten sind in französischer Sprache verfasst. Aber auch Profilnamen werden ausgewertet, etwa von Google- oder Facebook-Accounts, die auf dem Gerät gefunden werden.
Oftmals bringt die Auswertung keine brauchbaren Ergebnisse
Letztes Jahr hat das Bundesamt 10.116 Datenträger von Erstantragstellern ausgelesen. Etwa 4.600 Mal beantragten Entscheider Zugriff auf diese Auswertungen, davon wurden bis April 2020 etwa 3.400 durch einen Volljuristen freigegeben. Oft bringen diese Auswertungen nichts: 2019 habe es in 58 Prozent der Fälle keine verwertbaren Ergebnisse gegeben, bei 40 Prozent hätte sich die Identität der Antragstellenden bestätigt, in nur zwei Prozent sei sie widerlegt worden.
Die wenigen verwertbaren Ergebnisse lassen zweifeln, ob das Verfahren überhaupt geeignet ist, Anhaltspunkte für Identität und Herkunft zu bekommen. Dafür greift es tief in die Privatsphäre Geflüchteter ein, die sich in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu dem Land befinden, in dem sie Asyl suchen – und sich deshalb kaum gegen den Eingriff verwehren können.
„Das BAMF missachtet die hohen verfassungsrechtlichen Vorgaben, an die der Staat beim Zugriff auf persönliche Daten gebunden ist“, sagt Lea Beckmann, Juristin bei der GFF. Sie koordiniert das Verfahren, bei dem es nicht nur um die drei aktuell Klagenden geht, sondern um Tausende Geflüchtete, die ihre Datenträger herausgeben mussten. Und so soll auch beim Verwaltungsgericht nicht Schluss sein: „Ziel ist, die gesetzliche Grundlage für die Handydatenauswertung vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen.“
Offenlegung: Die Autorin dieses Artikels hat als Co-Autorin an der Studie „Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland und Europa“ mitgewirkt, die die GFF in Vorbereitung auf die Klageverfahren erstellte.
Grundrechte sind unteilbar, d.h. für die einen gilt es und wenn es opportun erscheint, dann gilt es auch mal für eine Gruppe nicht. Grundrechte gelten unabhängig von einer möglichen Staatszugehörigkeit auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland.
Insofern kann man davon ausgehen, dass das Vorgehen nicht im Einklang mit unserer Rechtsordnung ist und die Klage auch Erfolg haben wird.
Das wussten jene, die das Auslesen von Daten mobiler Endgeräte von Flüchtenden und Asylsuchenden angeordnet haben, und damit auf ein vorsätzliches Versagen des Rechtssystems gesetzt haben. Und aus vielfacher Erfahrung wissend, dass es Jahre braucht bis das höchstrichterlich wieder abgestellt wird.
Doch ebenso kann es als wiederholte Erfahrung gelten, dass es womöglich auf eine Rüge hinauslaufen könnte, die auf eine Legalisierung mittels Nachbearbeitung bestehender Gesetzte hinauslaufen könnte.
Dieses mittlerweile eingeübte Schema fragwürdiger Gesetzgebung beschädigt unser Rechtssystem. Es kann nicht sein, dass immer wieder nicht Grundrecht-konforme Gesetze und Anordnungen mit voller Absicht verabschiedet werden, um daraus den Vorteil zu ziehen, dass höchstrichterliche Rechtsprechung Jahre braucht, bis ein Urteil verkündet werden kann. Und genau in diesem Zeitraum kann unrechtmäßiges staatliches Handeln fröhlich ausgeübt werden.
Es darf nicht sein, dass ein Gesetzgeber sich vorgeblich unwissend bis ignorant gegenüber dem geltenden Rechtsrahmen stellt, und darauf spekuliert sich einstweilen über diesen hinweg setzen zu können, solange die Justiz diesem Treiben kein Einhalt gebieten kann.
Gesetzgebung und Verwaltung müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie die geltende Rechtsordnung immer wieder am Ring durch die Manege ziehen. Dafür darf es keinen Applaus geben!
Danke für dieses Statement, meine volle Zustimmung. Dieses Vorgehen find ich eine der schlimmsten Vorgänge in der Politik und man kann wenig dagegen machen. Da lassen sich einige Gesetzt aufzählen die bis an die Grenze des verfassungsmäßigen oder darüber hinaus gehen. Mir fallen sponten verschiedene Polizeiaufgabengesetze ein, Telelkomunikationsüberwachung, Urheberrecht usw…
Ich frag mich, wird sich das jemals umdrehen, dass man auch mal wieder weiter von dieser Grenze weggeht und z. B. der Polizei wieder Rechte wegnimmt? Eher unwahrscheinlich…
@ Rubikon
Ich sehe es wie Du. Allerdings ist der Staat heute viel zu groß geworden, als dass er noch sinnvoll kontrolliert werden könnte. Behörden haben heute so viele Aufgaben und bearbeiten so viele Vorgänge, dass eine Kontrolle durch Parlamente, Medien oder Gerichte praktisch nicht mehr möglich ist. An den Skandal von letzter Woche erinnert sich niemand mehr, also kommen die Verantwortlichen damit durch. Nur noch wirkliche Leuchtturmfälle bleiben länger in der Öffentlichkeit.
Bürgerrechte werden wir nur dann konsequent durchsetzen können, wenn staatliche Kernaufgaben definiert sind, Ziele kontrolliert und Missbrauch geahndet werden können.
Das sehe ich allerdings nirgendwo in der westlichen Welt. Corona hat uns eindringlich vor Augen geführt, welche Folgen behördlicher Schlendrian hat.
Es gibt ein sehr zutreffendes Sprichwort: “Wo kein Kläger, da auch kein Richter.“ Im vorliegenden Fall haben wir nun KlägerInnen; und damit ist die Grundlage für ein späteres rechtskräftiges Urteil gelegt – mehr kann man erst mal nicht tun. Nun muss das Gericht im Verfahren hierzu seine Arbeit machen und ein Urteil fällen.
Zum Thema in Recht gegossenes Unrecht: Ich hoffe immer noch darauf, dass der präventive, polizeiliche “Unendlichkeitsgewahrsam“ aus dem Bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) entfernt wird. Klagen hierzu, gegen das Bayerische PAG, sind anhängig.
“Wo kein Kläger, da auch kein Richter.“
Einserseits das/ein Rechtsstaatsprinzip, andererseits im Widerspruch zu stetiger Überprüfung.
Wird Überprüfung zum Teil des Systems, oder sollen wir mit stetigem Aufwand würfeln?
Meinten Sie: „mit stetig wachsendem Aufwand“?
„Nur noch wirkliche Leuchtturmfälle bleiben länger in der Öffentlichkeit.“
Wo man früher wenigstens den Anstand hatte, von seinem Amt zurückzutreten, wenn man erwischt wurde oder etwas verbockt hatte, ist Aussitzen zum Breitensport unter den Amtsträgern geworden.
Das wird leider dadurch befördert, dass unser Rechtssystem und Kontrollorgane nicht wirksam genug gegen Amtsträger, Behörden und große Konzerne vorgeht und sich durch Überlastung kurz vor dem Kollaps befinden.
Die Grundrechte dürfen nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, um sich als fortschrittliches und freies Land zu erklären, sondern fordern auch eine strikte Einhaltung. Wie oft belehren deutsche Politiker andere Staatschefs und fordern die Einhaltung von Grundrechten und Menschenrechten in anderen Ländern? Erst mal vor der eigenen Tür kehren. Wer das nicht schafft, verliert an Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit an die gesellschaftlichen Werte hat Deutschland insbesondere beim Umgang mit Flüchtlingen verloren. Leider.
„Im **Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
von dem Willen beseelt**, als gleichberechtigtes Glied in einem **vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen**, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ GG Präambel
Wir brauchen mehr Bewusstsein, Verantwortung und Willen für unsere Werte einzustehen!
Ich hoffe, dass sich das Bundesverfassungsgericht entschieden auf die Seite der Flüchtlinge stellt.
Könnte doch bitte mal jemand argumentativ herleiten, warum die Auslesung der Handydaten bei Einreisenden, die sich nicht ausweisen können, verfassungswidrig sein sollte?
In welches Grundrecht wird eingegriffen? Gibt es eine Ermächtigungsgrundlage für das Auslesen und warum sollte sie verfassungswidrig sein? Warum sollte die Maßnahme ungeeignet sein oder unverhältnismäßig? Bisher gibt es dazu hier nur Mutmassungen und Gefühlsausbrüche – aber eben keine Argumente.
Ich kann eine Grundrechtsverletzung nicht erkennen. Der Staat muss sich selbstverständlich alle zur Verfügung stehenden Informationen verschaffen, schon um rechtmäßig über seinen Antrag auf Asyl oder Aufenthaltsrecht entscheiden zu können. Verweigert der Betroffene ohne Ausweisdokument die Handy-Auslesung, sollte er abgewiesen werden und kann sein Asylrecht nicht geltend machen. Denn er ist verpflichtet, an der Sachverhaltsermittlung selbst mitwirken.
Irreführend oder gar manipulativ ist jedenfalls die Headline von Biselli „Oftmals bringt die Auswertung keine brauchbaren Ergebnisse“, wenn sie dann vorträgt, dass die Auslesung in immerhin 42 % der Fälle zu einem Ergebnis führt. Bei den übrigen 58% Fällen lässt sie offen, wieviele noch wenigstens Indizien liefern. Denn diese können sich mit anderen Informationen zu Beweisen verdichten. Damit ist die Maßnahme auf jeden Fall schon mal geeignet.