Hallo,
einige Jahre dachte ich, dass ich ohne Fernseher besser leben könnte. Das war die Zeit, als Notebooks Einzug in unsere Haushalte fanden und man überall auf dem Bildschirm audio-visuelle Inhalte schauen konnte. Nachdem ich vor über 20 Jahren lineares Fernsehen gegen eine DSL-Verbindung eintauschte, reichte das.
Irgendwann wollte ich dann doch wieder einen Fernseher, denn 13 oder 15″ machen nicht so glücklich wie 49″ oder mehr. Wobei Fernseher nicht ganz richtig ist, ich wollte eigentlich einen riesigen Bildschirm, aber da gab es dann nur klassische Fernseher mit HDMI-Eingang. Die waren mittlerweile „Smart“ und versprachen viele bequeme Vorteile durch Apps.
In der Praxis war das häufig nicht besonders nutzerfreundlich und die Software stürzte ab. Und vor allem schwang auch immer etwas Misstrauen mit: Was macht der Computer im smarten Fernseher im Hintergrund? Welche Daten über mein Konsumverhalten sammelt so ein Gerät, telefoniert es auch nach Hause und sendet dort meine TV-Gewohnheiten hin? Und wenn ja, wo kann ich das ausschalten? Wie sicher ist die Software, die immerhin in der Regel im Netz hängt?
Ich hab einmal versucht, die Datenschutzbestimmungen in der smarten Oberfläche mit einer klassischen Fernbedienung zu lesen. Das hat genauso gut geklappt wie man sich das vorstellt, nämlich gar nicht. Zu den vielen immer noch ungeklärten Fragen kommt jetzt eine weitere hinzu:
Wie kann ich verhindern, dass mir mein Fernseher aufdringliche Werbung anzeigt? Und zwar nicht die Werbung aus dem Privatfernsehen, sondern Werbung beim Einschalten?
Aktuell bietet Samsung diesen, nennen wir es Service, an und blendet Kunden bestimmter TV-Marken ungefragt Werbung auf dem Fernseher ein. Das finde ich eine schöne neue Welt: Man kauft einen Fernseher und zwischendurch erinnert eine Werbung daran, dass wir keine Kontrolle mehr über unseren Abspiel-Bildschirm haben. Das Bundeskartellamt ist alarmiert, hat aber nicht so viele Handlungsmöglichkeiten: Kartellamt kritisiert Werbebanner auf Samsung-Fernsehern. Das müsste sich mal ändern.
Ich würde mich freuen, wenn TV-Hersteller auch mal datenschutzfreundliche Fernseher mit aktueller Technologie vertreiben würden. Oder eine Funktion einbauten, mit der sich das ganze „Smarte“ zuverlässig ausschalten lässt. Dann würde ich mir auch wieder einen neuen Fernseher kaufen.
Hinweis in eigener Sache: Am morgigen Freitag bau ich mal Überstunden ab, deswegen wird der bits-Newsletter ausfallen.
Neues auf netzpolitik.org
Facebook steht mal wieder mit dem Rücken zur Wand und greift im Vorfeld der US-Wahlen gegen den Verschwörungsmythos QAnon durch. Daniel Laufer ordnet die Entwicklungen ein: Facebook verbietet QAnon.
Facebook und Instagram sollen künftig sämtliche Seiten und Gruppen löschen, die in Verbindung stehen mit der QAnon-Bewegung. Vieles spricht dafür, dass der Konzern die Verbreitung dieses Verschwörungsglaubens maßgeblich begünstigt hatte. Nun zieht er die Notbremse.
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Anna Biselli berichtet über eine illegale Liste der Auffälligen: Tübingen muss Datensammlung über Geflüchtete beenden.
Die Stadt Tübingen sammelte auf einer Liste Asylsuchende, die vermeintlich auffällig geworden sein sollen. Der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte hat das nun verboten. Oberbürgermeister Palmer zeigt sich uneinsichtig.
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Obwohl der Bundestag das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität eigentlich schon im Juni verabschiedet hat, liegt es weiterhin unabgesegnet auf dem Schreibtisch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Tomas Rudl hat sich umgehört, was dahintersteckt und wie es mit dem umstrittenen Gesetzespaket weitergehen könnte: Steinmeier lässt Große Koalition nacharbeiten.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verweigert einem Gesetzespaket gegen rechte Hetze die Unterschrift. Mit einem eigentümlichen Ansatz will er der Großen Koalition offenbar eine Blamage ersparen. Doch die stolpert wiederholt über sich selbst.
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Mark Zuckerberg hat mit Facebook eine gefährliche Maschine erschaffen, die er ganz offensichtlich nicht im Griff hat. Nach ewigem Herumeiern hat der Konzern nun überraschend verkündet, nur drei Wochen vor den US-Wahlen, nach dem Wahltag bis auf Weiteres keine politischen Anzeigen mehr auf Facebook und Instagram zuzulassen. Leonard Kamps fasst den aktuellen Stand zusammen: Facebook bereitet sich auf eine Zeit ohne Gewinner vor.
Sollte Trump die US-Wahl verlieren, ist ein friedlicher Machtwechsel nicht selbstverständlich. Facebook und die Unternehmenstochter Instagram bereiten sich offenbar auf chaotische Tage vor und verbieten politische Werbung auch nach dem Wahltag.
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Frankreich hat eine Art WLAN-Störerhaftung mit eingebauter Vorratsdatenspeicherung, wegen irgendwas mit Terror. Und die französischen Behörden scheinen offenbar nicht zimperlich zu sein, sollten Cafébesitzer gegen die Speicherpflicht verstoßen, berichtet Charlotte Pekel: Barbesitzer in Frankreich wegen unterlassener Vorratsdatenspeicherung verhaftet.
Die Polizei hat mehrere Gastronomen im französischen Grenoble festgenommen, weil sie nicht die Daten der Gäste speicherten, die ihr WLAN nutzten. Ein Anti-Terror-Gesetz von 2006 schreibt das vor – das dürfte nach einem EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung allerdings überholt sein.
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Wir haben eine FAQ von Privacy International zu den aktuellen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs über die Vorratsdatenspeicherung übersetzt: Was die neuen Gerichtsurteile zur Vorratsdatenspeicherung bedeuten.
Am Dienstag hat der Europäische Gerichtshof zum dritten mal über die Vorratsdatenspeicherung entschieden. Die anlasslose Massenüberwachung bleibt weiter grundrechtswidrig, mögliche Ausnahmen sorgen jedoch für Diskussionen. Gemeinsam mit Privacy International beantworten wir die wichtigsten Fragen.
Kurze Pausenmusik:
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Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Tomas Rudl unterstützt.
Was sonst noch passierte:
Einmal im Jahr liefert die ARD/ZDF-Onlinestudie aktuelle Zahlen zur Medien- und Netz-Nutzung in Deutschland. Jetzt ist die 2020er-Ausgabe erschienen: Zahl der Internetnutzer wächst um 3,5 Millionen. 66 Millionen Menschen in Deutschland nutzen zumindest ab und zu das Internet, das sind 94 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren. Interessant an den Zahlen ist, dass Instagram mittlerweile in jüngeren Zielgruppen Facebook überholt hat. Das konnte man absehen, ist aber jetzt durch Zahlen belegt. Überraschend finde ich, dass bei den unter 30-jährigen Snapchat immer noch eine große Rolle spielt, deutlich vor TikTok.
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Bei Übermedien schreibt der Journalist Michalis Pantelouris lesenswert über die sich ständig wiederholende Debatte, wonach Journalismus sich nicht mit einer Sache gemein machen dürfe. Ich halte die These auch für falsch, weil ich mich in meiner Arbeit selbstverständlich mit Grundrechten und der Demokratie gemein mache und in diesen Fragen nicht neutral bin. Pantelouris sieht das ähnlich, hat das nur deutlich länger ausformuliert: Journalisten sind Aktivisten.
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In einem Policy-Brief haben Nurzat Baisakova und Jan-Peter Kleinhans für die Stiftung Neue Verantwortung aufgeschrieben, wie die Chip-Industrie funktioniert, welche Lieferketten es dort gibt und warum das auch eine politische Frage ist, wenn das eigene Ziel digitale Souveränität sein soll: The Global Semiconductor Value Chain – A Technology Primer for Policy Makers.
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Zeit-Online und BR haben gemeinsam recherchiert, wie vietnamesische Hackergruppen versuchen, Dissidenten in Deutschland zu hacken und auszuspähen. Das gibt es bei Zeit-Online: Cyberspionage: Hanois Hacker. Und beim BR: Vietnamesische Hacker spionieren in Deutschland.
Statt Agenten senden autoritäre Staaten heute Hacker, um Dissidenten auszuspähen. Gruppen wie OceanLotus sind auch in Deutschland aktiv. Und nicht nur sie.
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Eine aktuelle Studie des Berkman Klein Center for Internet and Society hat analysiert, wie die Desinformations-Strategie der Trump-Administration medial funktioniert. Die will Zweifel säen und Briefwahlen sowie eine demokratische Abwahl von Donald Trump desavouieren. Yochai Benkler gibt beim NiemanReport eine Übersicht: How Not to Cover Voter Fraud Disinformation. Hier gibt es die Studie: Mail-In Voter Fraud – Anatomy of a Disinformation Campaign.
„Unsere Erkenntnisse hier deuten darauf hin, dass Donald Trump die Kunst perfektioniert hat, die Massenmedien für die Verbreitung und zeitweise Verstärkung seiner Desinformationskampagne zu nutzen, indem er drei zentrale Standardverfahren des professionellen Journalismus anwendet. Diese drei sind: elitärer institutioneller Fokus (wenn der Präsident es sagt, sind es Nachrichten); Suche nach Schlagzeilen („if it bleeds, it leads“); und Ausgewogenheit , Neutralität oder die Vermeidung des Anscheins, sich auf eine Seite zu stellen. Er nutzt die ersten beiden in Kombination, um die Berichterstattung nach Belieben herbeizurufen, und er hat sie kontinuierlich genutzt, um die Agenda rund um die Briefwahl durch eine Kombination aus Tweets, Pressekonferenzen und Fernsehinterviews auf Fox News festzulegen.“
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Eine Studie von Amnesty International hat sich Predictive Policing- Strategien in den Niederlanden angeschaut und warnt davor: End dangerous mass surveillance policing experiments.
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Politico schreibt über eine Studie des Oxford Internet Institute über Russia Today. Die Wissenschaftler:innen haben mit vielen aktuellen und ehemaligen RT-Journalist:innen gesprochen und skizzieren in ihrer Studie die Strategien des russischen Propagandasenders: Inside Russia’s state-media propaganda machine.
Audio des Tages: Der Datenschutz wird 50
Der Hintergrund im Deutschlandfunk erinnert daran, dass vor 50 Jahren in Hessen die erste Datenschutzgesetzgebung der Welt geschaffen wurde: Wie in Hessen der Datenschutz erfunden wurde. Auch unsere Redakteurin Constanze Kurz kommt als Expertin mit ihrer Einschätzung vor.
Video des Tages: Schöne neue Welt mit Deichkind in Brandenburg
Die Arte-Dokumentation „George Orwell, Aldous Huxley“ reflektiert die Werke 1984 oder Schöne neue Welt und schaut, was davon in unserer Gegenwart mehr Realität wurde.
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Schöne Idee als Reaction-Video umgesetzt: Musiker:innen ihre alten Musikvideos zeigen und sie erzählen lassen, wie der Dreh war. In diesem Fall schauen sich Kryptik Joe und Nina MC das erste Deichkind-Video „Bon Voyage“ an. Jetzt hab ich einen Ohrwurm.
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Die RBB-Reportage „Plötzlich Volksvertreter“ begleitete vier Landtagsabgeordnete in ihrem ersten Jahr im Landesparlament von Brandenburg.
Netzpolitik-Jobs
Ich bekomme regelmäßig Job-Angebote im netzpolitischen Bereich zugeschickt und dachte mir, dass eine zusätzliche Rubrik ein guter Service sein könnte. Zweimal die Woche werde ich zukünftig auf aktuelle Job-Angebote hinweisen.
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Die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg (Fraktion Die Linke) sucht eine:n wissenschaftliche:n Mitarbeiter:in für den Bereich Netzpolitik.
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Die Forschungsgruppe „Politik der Digitalisierung“ (POLDI) am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sucht eine/n „Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in (m/w/d)“ für ihr GUARDINT-Projekt, das sich mit der demokratischen Kontrolle digitaler und transnationaler Nachrichtendienstüberwachung befasst.
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Investigate Europe ist eine transnationale Medienplattform für investigativen Journalismus mit Sitz in Berlin. Aktuell wird ein/e Community Engagement Coordinator/in gesucht. Das ist wohl zwischen Social Media-, Community-Management und Audience Development angesiedelt.
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Epicenter.works ist eine österreichische Organisation für digitale Bürgerrechte. Aktuell hat die Organisation mit Sitz in Wien eine „Policy Advisor (m/w/d)“-Stelle ausgeschrieben.
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Wikimedia Deutschland sucht eine/n „Referent für Bildung und Teilhabe in der digitalen Welt“ (m/w/d).
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Die Deutsche Welle sucht eine/n „Redakteur (w/m/d) für Digitalpolitik“ in Berlin.
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Die Free Software Foundation Europe setzt sich für die Förderung von Freier Software (im Volksmund auch Open Source genannt) ein. Für ihr Team in Berlin, das drei Türen weiter neben unserem Büro auf derselben Etage sitzt, sucht die FSFE jetzt eine Büroassistenz.
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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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Es gibt durchaus „Fernsehgeräte“ die ohne Werbung und Smarte Funktionen auskommen. Da in Österreich die GIS Gebühr nicht anfällt wenn man keinen Rundfunkempfänger im Gerät hat, hat sich hier ein Markt von Fernsehgeräten ohne Empfangseinheit gebildet (z.B. nogis, kagis) – man kauft also quasi einen großen Monitor mit integrierten Lautsprechern und kümmert sich selbst um’s Zuspielen der Inhalte. Durch die Wahl des Streaming Gerätes kann man dann auch beeinflussen wie Smart es künftig sein soll, von Fire-TV über Google Chrome Cast bis zu einer selbst-bau-Lösung mit Kodi gibt es hier eigentlich alles. Klassisches TV empfängt man dann via IP-TV. Den Grad an Werbung bestimmt man dann selbst.
Ich habe mir vor zwei Jahren von Samsung einen Fernseher gekauft und die Datenschutzbestimmungen abgelehnt (was auch gar nicht so einfach war, da natürlich „Akzeptieren“ vorausgewählt war, der Knopf zum ablehnen gut versteckt war und man zweimal gefragt wurde, ob man sich sicher sei, da man ja dann die ganzen tollen Funktionen nicht nutzen könne). Dadurch kann ich zwar keine Apps über den TV nutzen, aber er funktioniert als klassischer Fernseher und gibt einfach die Signale der angeschlossenen/gecasteten Geräte wieder.
Ich hab mir Anfang 2018 einen LCD-TV kaufen müssen, weil die alte Röhre endgültig ihren Geist aufgegeben hatte. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon diverse Berichte über das „Absaugen“ von Daten (z.B. Dateilisten angeschlossener USB-Festplatten) über das Netzwerk. Folglich kam für mich ein „Smart-TV“ nicht infrage – wieso sollte ich Aufwand betreiben müssen, um „Features“ zu unterdrücken, die ich nicht will? Die Software auf heutigen TV-Geräten (auch meinem aktuellen) ist sowieso schon unglaublich schlecht, die Verwendung von OS wie Android und der damit verbundene „Update-Zwang“ von OS und „Apps“ macht das nicht besser. Man kann immer wieder lesen, dass ein Streaming-Dienst auf einem Smart-TV nicht mehr funktioniert, weil ein Update der „App“ nicht mehr möglich ist, aus welchen Gründen auch…
Ich persönlich finde, dem kann man nur durch konsequenten Verzicht entgehen. Wer entsprechende Funktionen braucht, kann diese bei einem einfachen TV mittels entsprechender Geräte (wie Manfred schreibt) ergänzen. Ich tendiere eher zur Selbstbau-Lösung unabhängig von Google oder Amazon :-)
Manche werden jetzt einwenden, sie hätten Familie und da wäre das nicht so einfach. Das mag sein, nur bedeutet das auch dringend notwendige Aufklärung der Familienmitglieder – funktional kaputte Geräte landen schneller auf dem Müll (Umweltaspekt), Features können beschnitten werden (durch Updates), Überwachung ist möglich (eingebaute Kamera und Mikrofon für Videotelefonie) – alles ohne eigene Kontrolle. Warum sollte ich so etwas kaufen?