Die EU-Kommission hat ein Gesetz für politische Werbung im Netz angekündigt. „Es gibt ein klares Bedürfnis für mehr Transparenz bei politischer Werbung und Kommunikation sowie der kommerziellen Aktivitäten darum herum“, heißt es im Europäischen Aktionsplan für Demokratie, den die Kommissions-Vizepräsidentin Věra Jourová am heutigen Donnerstag in Brüssel vorstellte.
Mit dem Aktionsplan formuliert die Kommission eine Antwort auf eine wachsende Zahl an Berichten über Desinformation und manipulative Wahlbeeinflussung im Netz. Bislang setzte die EU bei politischer Werbung auf freiwillige Maßnahmen dagegen, nun kündigt sie erstmals rechtsverbindliche Schritte an. Die Pläne waren bereits vor ein paar Wochen erstmals durchgesickert, wir berichteten.
Der Aktionsplan sieht unter anderem eine Reform der Regeln für europaweite politische Parteien sowie Maßnahmen vor, um den Medienpluralismus zu stärken und Journalist:innen besser gegen Einschüchterungsklagen zu schützen. Auch möchte die EU-Kommission ihren freiwilligen Verhaltenskodex gegen Desinformation überarbeiten und zu einem Instrument der Ko-Regulierung weiterentwickeln.
Konkreter Entwurf erst 2021
Einen konkreten Gesetzesentwurf für Transparenz bei politischer Werbung legt die EU-Kommission im kommenden Jahr vor, der heute vorgestellte Aktionsplan gibt nur eine ungefähre Richtung vor und ist nicht rechtsverbindlich. Die neuen Regeln sollen dann vor der Europawahl 2024 wirksam werden, heißt es.
Der Grund, warum die Kommission sich selbst so viel Zeit für das Regelwerk gibt, liegt auf der Hand: Regeln für Wahlwerbung waren bislang hauptsächlich Sache der einzelnen EU-Länder, europaweite Vorschriften stellen einen Paradigmenwechsel dar. Die Kommission möchte sich für das Werbegesetz auf ihre Kompetenz für den europäischen Binnenmarkt berufen, EU-Beamt:innen beriefen sich im Vorfeld auf Artikel 114 des EU-Vertrages, der die Rechtsangleichung zwischen EU-Staaten behandelt.
Was die neuen Transparenzregeln konkret bedeuten, lässt der Aktionsplan weitgehend offen. Schon bislang betreiben die großen Internetkonzerne Facebook, Google und Twitter auf öffentlichen Druck Archive für politische Werbung, in denen einzelne Schaltungen und gesponserte Posts aufgelistet sind. Um die Mechanismen der digitalen politischen Öffentlichkeit tatsächlich nachvollziehen zu können, würden die dort angebotenen Informationen jedoch nicht ausreichen, kritisieren Forscher:innen und Aktivist:innen.
Microtargeting im Visier der EU-Pläne
Das Gesetz werde Transparenzpflichten für große Plattformen schaffen, aber auch für ihre politische Kundschaft, Werbeagenturen und Beraterfirmen. Dabei werde „ihre jeweiligen Verantwortlichkeiten geklärt und Rechtssicherheit geschaffen“, schreibt die Kommission im Aktionsplan. Sie möchte neben der Offenlegung von einzelnen bezahlten Anzeigen und Posts auch Instrumente zur Prüfung der Angaben schaffen. Die Rede ist auch von „Transparenz gezahlter Preise“ und den eingesetzten Targeting-Kriterien.
Manipulatives Ansprechen von einzelnen Personengruppen wie im Fall Cambridge Analytica könnten die neuen Regeln ein Ende bereiten: „Die Kommission wird auch die weitere Einschränkung von Microtargeting und psychologischem Profiling im politischen Kontext prüfen“, heißt es. Die Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden soll gestärkt werden.
Der Aktionsplan schneidet auch eine offene Frage des geplanten Gesetzes an: Die Frage, was eigentlich politische Werbung ist und was unter das neue Gesetz fallen soll. Über die Schwierigkeit einer Definition veröffentlichte erst vor wenigen Tagen die Stiftung Neue Verantwortung in Berlin ein Arbeitspapier. Soll das Regelwerk nur für Werbung politischer Parteien im Wahlkampf gelten, für Kampagnen von NGOs oder selbst für bezahlte politische Inhalte von Einzelpersonen? Das lässt der Aktionsplan der Kommission offen.
Darüber hinaus schlägt der Aktionsplan auch eine Reform der Regeln für europäische politische Parteien vor, das betrifft Parteifamilien wie etwa die Europäische Volkspartei, in der CDU und CSU Mitglied sind. Diesen könnten mehr Transparenz bei ihren Finanzierungsquellen auferlegt werden, um „die indirekte Finanzierung durch ausländische Interessen zu bekämpfen, die durch nationale Mittel oder private Spenden kanalisiert wird“. Einen Vorschlag hierzu möchte die Kommission ebenfalls 2021 vorlegen.
Stärkung von Pressefreiheit und Medienpluralismus
Um Journalist:innen besser in ihrer Arbeit zu schützen, möchte die Kommission gemeinsam mit Presseorganisationen an einer Initiative gegen sogenannte „strategische Klagen“ gegen Medien arbeiten. Solche Klagen werden als SLAPPs bezeichnet, „Strategic lawsuits against public participation“. Als Beispiel könnten etwa die langjährige Versuche von Wirecard gelten, durch juristische Taktiken die kritische Berichterstattung der Financial Times über die Machenschaften des Konzerns zu verhindern. Anfang kommenden Jahres setzt die Kommission eine Expert:innengruppe ein, die konkrete Vorschläge dazu ausarbeiten soll.
Die Initiative zu SLAPPs soll von Empfehlungen zur Bekämpfung von Sicherheit von Journalist:innen begleitet werden, die als Reaktion auf die Ermordung der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia und des slowakischen Reporters Ján Kuciak verstanden werden können.
Stärken möchte die Kommission auch die Finanzierung der krisengebeutelten Medienbranche. Ein neuer Fonds namens „Media Invest“ soll im Budgetzeitraum von sieben Jahren rund 400 Millionen Euro für die Förderungen von Investitionen im „audiovisuellen Sektor“ mobilisieren, also der Presse-, Musik- und Filmbranche.
Eine weitere Initiative mit dem Namen „News“ soll speziell Nachrichtenmedien in Zusammenarbeit mit Stiftungen und Privatpersonen einen erleichterten Zugang zu Darlehen und anderen Finanzhilfen gewähren, mit besonderem Augenmerk auf Lokalmedien. Diese Ankündigung, die zeitgleich mit dem Aktionsplan für Demokratie erfolgte, soll das Innovationsdefizit von Nachrichtenmedien ansprechen. Die Finanzierungslücke für Innovation in journalistischen Medien wurde in den vergangenen Jahren teils von Google und anderen Konzernen gefüllt, mit problematischen Folgen für die Autonomie der Verlagsbranche. Die EU-Kommission möchte hier offenbar Alternativen bieten.
Update für den Verhaltenskodex gegen Desinformation
Die EU-Kommission will mit dem Aktionsplan für Demokratie zudem die Bekämpfung von Desinformation und gezielten Falschinformationen im Netz stärken. Diese Maßnahmen gelten als politisch besonders heikel, da Desinformation in den meisten Fällen nicht illegal ist und teils sogar bewusst von offiziellen Stellen gestreut wird. In Brüssel richtet sich der Fokus der offiziellen Kommunikation zu dem Thema meist auf Desinformation ausländischer Staaten, etwa Russland und China.
Der Aktionsplan schlägt im Kampf gegen die Verbreitung von Desinformation nun stärkere Auflagen für Online-Plattformen vor. Seit 2018 verpflichten sich Facebook, Google und zahlreiche weitere Internetkonzerne im Rahmen eines Verhaltenskodex zu freiwilligen Maßnahmen, die allerdings nach Einschätzung von Beobachtern nur begrenzt Wirkung zeigen.
Der überarbeitete Kodex soll von Selbstregulierung der Plattformen zu Ko-Regulierung übergehen, in der die Einhaltung der freiwilligen Maßnahmen von unabhängiger Stelle überprüft werden sollen. Diese Ko-Regulierung soll im geplanten Digitale-Dienste-Gesetz verankert werden, heißt es im Aktionsplan.
Wie das konkret aussehen soll, ist noch unklar. EU-Kommissarin Jourova betonte allerdings bei der Vorstellung des Plans, es gehe nicht um die „Etablierung eines Wahrheitsministeriums“ und die verpflichtende Entfernung einzelner Inhalte.
Der neue Verhaltenskodex soll klare und einheitliche Messkriterien für Plattformen im Umgang mit fragwürdigen Inhalten erhalten. Das soll bessere Daten darüber liefern, wie sich Falschnachrichten ausbreiten. Ein Kernpunkt des reformierten Kodex soll eine freiwillige Selbstverpflichtung der Plattformen sein, die Monetarisierung von Desinformation einzuschränken. Das betrifft einerseits fragwürdige kommerzielle Inhalte, etwa dubiose Gesundheitsprodukte, die mit gezielter Falschinformation vertrieben werden. Andererseits geht es um bekannte „Verbreiter von Desinformation“, deren Möglichkeit zum Geldverdienen mit ihren Inhalten eingeschränkt werden soll.
„Wir müssen an das Geschäftsmodell ran“, hieß es im Vorfeld von EU-Beamt:innen. „Es muss teurer werden, auf Desinformationsstrategien zu setzen. Es darf damit kein Geld gemacht werden.“
Der Aktionsplan für Demokratie ist zunächst nur eine umfassende Ankündigung, konkrete Gesetzgebungsprozesse startet er für das Erste nicht. Das Gros der Initiativen dürfte sich 2021 in Entwürfe niederschlagen. Der Aktionsplan geht allerdings dem Digitale-Dienste-Gesetzespaket voraus, das übernächste Woche vorgestellt wird und konkrete Auflagen für den digitalen Binnenmarkt und die großen Plattformkonzerne zum Gegenstand hat. Mit dem Aktionsplan und dem Digitale-Dienste-Gesetz zeigt die EU-Kommission von Präsidentin Ursula von der Leyen ihre Bereitschaft, die digitale Welt von Grund auf mitzugestalten.
Viel zu unkritisch. Da hätte ich mir auch gleich die Pressemitteilung durchlesen können.
Konkretere Kritik war nicht drinne, wa?