Die Ruhr-Universität Bochum hat heute den Zwischenbericht zur größten Polizeigewalt-Studie (PDF) veröffentlicht, die je in Deutschland durchgeführt wurde. Insgesamt wurden 3.375 Fälle mutmaßlich rechtswidriger oder übermäßiger Polizeigewalt analysiert. Wie immer bei Befragungen von Betroffenen bildet dieser Ausschnitt deren Einschätzungen und Bewertungen ab und nur in wenigen Fällen gerichtlich festgestellte Sachverhalte.
In 55 Prozent der erfassten Fälle fand die Polizeigewalt bei einer Demonstration oder politischen Aktion statt, bei 25 Prozent auf einer Großveranstaltung oder einem Fußballspiel, die restlichen 20 Prozent verteilen sich über andere Kontaktsituationen mit der Polizei.
In 54 Prozent der Fälle eskalierte die Situation in weniger als zwei Minuten vom ersten Kontakt bis zu der berichteten Gewaltausübung. Das galt vor allem für Großveranstaltungen wie Demonstrationen und Fußballspiele, aber auch für Maßnahmen wie Fest- und Ingewahrsamnahmen, Wohnungsdurchsuchungen und Straßenverkehrskontrollen außerhalb von Großveranstaltungen, heißt es in der Studie.
Am häufigsten kam es zu Schlägen und Stößen sowie dem Einsatz von Reizgas (Pfefferspray). Dabei berichteten mehr als zwei Drittel der Befragten von physischen Verletzungen. 19 Prozent der Betroffenen gaben an, schwere Verletzungen erlitten zu haben, zum Beispiel Knochenbrüche, schwere Kopfverletzungen und innere Verletzungen.
Straflosigkeit und Dunkelfeld
Zu einem Strafverfahren gegen die beteiligten Beamten kam es nur in 13 Prozent der berichteten Fälle. Bei Einsätzen außerhalb von Großveranstaltungen war das mit 22 Prozent noch häufiger der Fall als im Durchschnitt; auch im Bereich Fußball und andere Großveranstaltungen lag die Zahl darüber (16 Prozent). Hingegen wurde bei Fällen im Zusammenhang mit Demonstrationen und politischen Aktionen deutlich seltener ein Strafverfahren eingeleitet, nämlich nur in neun Prozent der Fälle.
Ein Strafverfahren kann von Amts wegen eingeleitet werden oder die betroffene oder eine andere Person müsste den Vorfall anzeigen. Dass Betroffene so selten Anzeige erstatten, liegt der Studie zufolge daran, dass sie davon ausgehen, dass Polizeibeamt:innen „bei einer Strafanzeige nichts zu befürchten hätten“.
Die Autor:innen der Studie leiten ein Dunkelfeld von 86 Prozent ab. In den Fällen, in denen das Verfahren wegen körperlicher Gewaltanwendung geführt wurde, wurde nach Angaben der Befragten in sieben Prozent der Fälle Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt, beziehungsweise erlassen. Die Einstellungsquote betrug 93 Prozent, wobei Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts dominierten.
Bei Fällen im Rahmen von Demonstrationen/politischen Aktionen und Fußballspielen/anderen Großveranstaltungen war die mangelnde Identifizierbarkeit der handelnden Beamt:innen der häufigste Grund für die Einstellung des Strafverfahrens. Seit Jahren fordern Bürgerrechtsorganisationen deswegen eine Kennzeichnungspflicht für Polizist:innen.
Am kommenden Donnerstag den 19.09. steht in exakt so einer Sache ein Mitglied der Grünen Jugend Göttingen vor Gericht – die Gewalttätigkeit der Polizei gegen das Mitglied das von seinem Versammlungsrecht Gebrauch machte, wurde nicht verfolgt und die Anzeige von der Staatsanwaltschaft eingestellt, aber das Mitglied Aufgrund seiner Anzeigen gegen den BFE-Beamten soll sich nun neben weiteren Vorwürfen wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung verantworten.
Zitat: »Die Verfahren wegen Körperverletzung im Amt wurden aber von der Staatsanwaltschaft eingestellt – sowohl wegen des Pfefferspray-Einsatzes als auch des körperlichen Übergriffes gegen das GJ-Mitglied. Dies erfolgte nicht zuletzt aufgrund der Behauptung eines Polizeikollegen, das GJ-Mitglied habe den Beamten vorher massiv bedrängt und mehrfach gegen Helm und Kopf geschlagen. Die Gegenanzeige des Polizisten gegen das Mitglied der GJ wegen Widerstand und tätlichem Angriff wurde nun, von der Staatsanwaltschaft ergänzt um die Tatbestände Verleumdung und falsche Verdächtigung, zur Hauptverhandlung vor dem Göttinger Amtsgericht zugelassen.«
Der Prozeß beginnt gegen 8:15 Uhr im Amtsgericht Göttingen im Saal B 25.
https://hirtlitschka.wordpress.com/2019/09/17/aufruf-gruene-jugend-kritische-prozessbegleitung-donnerstag-19-9-19/
Polizeibeamte sind – ganz offiziell – Ermittlungsgehilfen der Staatsanwaltschaften, welche häufig Strafverfahren (Amtsdelikte) gegen Polizisten zu schnell einstellen, so der Vorwurf. Polizeibeamte gehen als Zeugen bei Gerichten ein und aus und setzen beispielsweise richterliche Durchsuchungsbeschlüsse um. Strafverfahren, die nicht selten vor Gericht landen sind zu einem wesentlichen Teil von der (Qualität der) Ermittlungsarbeit der Polizei abhängig. Und nicht zu vergessen: Bei Straftaten und Amtsdelikten werden polizeiliche Ermittler tätig, quasi Kollegen.
Vor etwa einem Jahr hatte ich an der Fragebogenaktion teilgenommen und anschließend hier bei NP schon berichtet, welches Ergebnis dabei herauskommen wird. Ich hatte auch – ohne nennenswerte Reaktion – die GdP involviert. Das Ergebnis der „Studie“ entspricht weitgehend meiner Prognose.
Die Art der Fragestellung, fehlende Begriffsdefinitionen, die offensichtliche Parteilichkeit der „Studie“ und der völlige Verzicht auf den Versuch, die Antworten zu verifizieren oder eine Schlüssigkeitsprüfung durchzuführen, mussten zu genau diesem Ergebnis führen. Garbage in – garbage out.
Unabhängig davon, begrüße ich die Vorschläge von Markus in seinem anderen Artikel, wie man des Dunkelfelds besser Herr werden könnte. Denn es ist nicht zu bestreiten, dass es rechtswidrige Anwendung von Zwang gibt und das dieser rechtsstaatlich nicht zu akzeptieren ist.