Die schwarz-rote Landesregierung in Dresden hat heute ein Gesetz beschlossen, das sächsische Polizistinnen und Polizisten mit neuen Befugnissen zur Überwachung im Gefahrenvorfeld ausstattet. Dazu zählt die Herausgabe von Daten durch Internetanbieter, die Standortüberwachung mittels elektronischer Fußfessel und die Erstellung von Bewegungsprofilen. Das Polizeigesetz wird seit einem Jahr verhandelt und gilt als eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode.
Im Innenausschuss sagte die Sachverständige Maria Scharlau, dass die „drohende Gefahr“ in Sachsen zwar nicht wörtlich, aber de facto eingeführt wird. Das heißt: Polizist:innen dürfen überwachen „lange bevor es ‚brenzlig‘ wird“. Bislang musste zumindest eine konkrete Gefahr vorliegen. Zukünftig genügt es, wenn beispielsweise das Verhalten einer Person die Annahme rechtfertigt, dass sie eine schwere Straftat begehen will und kann. Scharlau kritisierte, dass die Formulierung unklar und deshalb für die Praxis untauglich ist: „Für die Bürger:innen ist nicht vorhersehbar, welches Verhalten sie ins Visier der Polizei bringt. Rechtssicherheit sieht anders aus.“
Herausgabe von Kund:innendaten
Polizeiliche Überwachungsmaßnahmen dürfen mit dem neuen Gesetz an nahezu jedem Ort durchgeführt werden. Explizit erlaubt ist das heimliche Aufzeichnen von Gesprächen in Privatwohnungen, egal ob es sich um die Wohnung der Person handelt, die einer zukünftigen Straftat verdächtigt wird oder nicht. Neben der klassischen Observation darf die Polizei auch verdeckte Ermittler:innen einsetzen.
Die Polizei kann künftig Daten über Kund:innen von nahezu jedem Dienstanbieter im Internet verlangen, also neben Providern auch sogenannte Telemedienanbieter. Dazu zählen Suchmaschinen, Datingseiten und Webshops. Die Anbieter müssen der Polizei dann beispielsweise Anschrift, Geburtsdatum und Kontoverbindung der Kund:innen aushändigen. Von Providern können die Ermittler:innen zudem vergangene und zukünftige Standortdaten eines Handys, Zeitpunkt von ein- und ausgehenden Telefonaten und den Inhalt von Telefongesprächen, SMS und unverschlüsselten E-Mails verlangen.
Bewegungsprofil durch die Stadt
Die sächsische Polizei darf zudem Bewegungsprofile von Personen erstellen, die sie einer zukünftigen schweren Straftat verdächtigt. Sollten nicht ohnehin ausreichend Standortdaten vorliegen, kann die Polizei zu diesem Zweck IMSI-Catcher zur Standortermittlung und elektronische Fußfesseln zur dauerhaften Standortüberwachung einsetzen. Die Erstellung von Bewegungsprofilen unterliegt zwar einem Richtervorbehalt, doch generell gilt: „Soweit dies zur Erfüllung des Überwachungszwecks erforderlich ist, dürfen die erhobenen Daten zu einem Bewegungsbild verbunden werden.“ Die Erstellung von Bewegungsprofilen aus Standortdaten ist nicht auf den Verdacht auf terroristische Straftaten beschränkt, sondern gilt beispielsweise auch für den Verdacht auf Straftaten gegen „Sachen von bedeutendem Wert“.
Der Einsatz von Staatstrojanern ist der sächsischen Polizei weiterhin nicht erlaubt. Die Sozialdemokraten hatten entsprechende Begehrlichkeiten von Polizeigewerkschaften, CDU und AfD zurückgewiesen.
Gesichtserkennung in halb Sachsen
Die Polizei darf darüber hinaus im 30-Kilometer-Umkreis zu Polen und Tschechien an Straßen Videoüberwachung mit Gesichtserkennung einsetzen. Die Landesregierung will damit zur polizeilichen Beobachtung ausgeschriebene Personen erkennen. In diesem Radius sind schätzungsweise 50 % der Fläche von Sachsen inbegriffen, darunter einige wichtige Städte. Unklar ist bislang, mit welchen Datenbanken die automatisierte Gesichtserkennung abgeglichen werden soll.
„Vom Landtag zum Gericht“
In den letzten Monaten gab es Proteste gegen die geplanten Überwachungsbefugnisse, zuletzt wurde am Montag in Dresden demonstriert. Organisiert wurden die Demonstrationen und Infoveranstaltungen von einem Aktionsbündnis, dem neben Vereinen auch die Oppositionsparteien Linke und Grüne sowie Jusos angehören.
Wie umstritten die Befugnisse sind, zeigte sich am Abend im Landtag: Das Gesetz wurde zwar nach mehrstündiger Debatte in einer namentlichen Abstimmung mit 74 Dafürstimmen, 34 Gegenstimmen und 9 Enthaltungen angenommen. Doch unmittelbar im Anschluss gaben zahlreiche Abgeordnete eine persönliche Erklärung ab, darunter über 20 Linksabgeordente und ein CDU-Abgeordneter.
Grüne und Linke kündigten bereits an, vor das Verfassungsgericht zu gehen und das Gesetz in Form einer Normenkontrolle überprüfen zu lassen. Das „Neue Deutschland“ titelte deshalb: „Direkt vom Landtag zum Gericht“.
„Gesichtserkennung in halb Sachsen“
Gab es nicht neulich ein Urteil des Verfassungsgerichts, wonach eine prophylaktische Überwachung von Nummernschildern zum Abgleich mit Fahndungslisten nicht zulässig ist, weil der Eingriff in das Leben Unschuldiger zu erheblich ist?
Ist die Gesichtserkennung nicht ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre?
Ja, gab es: https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/karlsruhe-urteil-kfz-kennzeichenerfassung-verfassungswidrig-100.html
Interessiert aber keinen. Das Prinzip ist ganz simpel: man macht einfach ein neues Gesetz, schreibt irgendwas rein, erlässt es und wendet den Kram dann an. Bis irgendein Gericht das Ganze stoppt, vergeht mehr oder weniger Zeit, in der man schon fröhlich Daten sammeln und abgleichen kann.
Und da auch niemand für solche Stunts zur Verantwortung gezogen wird, wird beim nächsten Mal wieder ganz genau so verfahren.