Geleakte Lobbystrategie: VG Media fühlt sich missverstanden und entschuldigt sich

Am Wochenende haben wir eine geheime Kampagnenstrategie der Verwerterlobby veröffentlicht. Darin wird beschrieben, wie man Richter, Beamte und Politiker in der Urheberrechtsdebatte beeinflussen will. Die VG Media entschuldigt sich jetzt für das Papier – und fühlt sich missverstanden. Wir klären gerne auf, was gemeint war.

Mädchen hinter Glas
Teil der instransparenten Lobbystrategie war ein „emotionales Finale“ durch die Betonung von Kinder- und Jugendschutz – Vereinfachte Pixabay Lizenz susannp4/bluebudgie

Die Verwerterlobby, zu der auch die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage gehören, will mit einer Kampagne namens „Gerechtes Netz“ Stimmung gegen die großen Digitalkonzerne aus den USA machen. Am Wochenende haben wir die geheime Kampagnenstrategie veröffentlicht, die die Verwertungsgesellschaft Media initiiert hatte und die verschiedene Lobby-Taktiken beschreibt. Jetzt gibt es eine Entschuldigung der VG Media, aber nicht für die verwendeten Taktiken, sondern dafür, dass sie damit erwischt worden sind:

Der VG Media lag und liegt es fern, Entscheidungen von Rechtspolitikern, Beamten und Richtern zu beeinflussen, ob unmittelbar oder mittelbar.

Ziel: Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung

In der Kampagnenstrategie klang das noch so:

Ziel: Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung zum Umgang mit Digitalmonopolisten und sich daraus ergebende mittelbare Ertüchtigung von Beamten, Politikern, Richtern und Entscheidungsträgern, solche Urteile und Entscheidungen zu treffen, die dafür sorgen, dass die Digitalmonopolisten sich wieder an geltendes Recht halten, das heißt Kartellrecht, Datenschutz, Schutz der Kinder und Jugendlichen, Steuerrecht, Gleichbehandlung und den Schutz des Geistigen Eigentums.

Das sollte so funktionieren:

Gewählter Weg: Das Anliegen der Absender und ihrer Rechteinhaber, Komponisten, Musik- und Presseverleger, Autoren sowie der Sendeunternehmen und ihrer jeweiligen Einzelurheber wird unter anderem, aber nicht hervorgehoben, erwähnt. Dieses Problem wird als eines unter vielen, vielleicht auch noch größeren, dargestellt. Nur auf diese Weise vermeiden wir den Hinweis von Kritikern, es gehe uns nur um die wirtschaftlichen Interessen unserer Medienunternehmen, Rechteinhaber und Urheber.

Man entschuldigt sich nur für interne Formulierungen, aber nicht für die gewählten Taktiken

Auf ihrer Website entschuldigt sich die VG Media jetzt „für missverständliche Formulierungen“:

Der VG Media lag und liegt es fern, Entscheidungen von Rechtspolitikern, Beamten und Richtern zu beeinflussen, ob unmittelbar oder mittelbar. Selbstverständlich möchte die VG Media, dass die genannten Gruppen und Behörden ihre Entscheidungen und Urteile neutral und unabhängig, auf einer gut informierten Grundlage des Wissens, treffen.

Komisch, ich dachte bisher, eine der Aufgaben der Verwertungsgesellschaft Media sei es, die Interessen ihrer eigenen Mitglieder gegenüber der Politik zu vertreten. Aber auf einmal liegt es ihr fern, genau das zu tun?

Zu den Taktiken gehört vor allem eine Verschleierung der eigenen Interessen, indem das primäre Kampagnen-Ziel „Einfluss auf Rechtsprechung und Gesetzgebung im Rahmen der Urheberrechtsdebatte“ vermeintlich hinter anderen Regulierungsforderungen versteckt werden soll.

Lobbying mit Doppelmoral

Durch die Betonung des Kinder- und Jugendschutzes möchte man ein „emotionales Finale“ vorbereiten und instrumentalisiert Kinder- und Jugendrechte, um eigene wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.

Für uns zeigte sich vor allem eine große Doppelmoral: Die beteiligten Verlegerverbände kämpfen auf EU-Ebene Hand in Hand mit den Digitalkonzernen gegen besseren Datenschutz und Verbraucherrechte beim intransparenten Tracking und drohen dabei mit dem „Ende der Demokratie“. Aber jetzt wollen sie mit dem Datenschutz-Zeigefinger auf Google und Co. deuten.

Mit anderen Worten: Die Lobbykampagne der VG Media fühlt sich missverstanden, weil sie eigentlich kein Lobbying machen möchte. Sie möchte nur die Öffentlichkeit mit einer leichten Verschleierung ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen informieren und dabei Einfluss auf Gesetzgebung und Urteile nehmen.

Das ist natürlich etwas ganz anderes.

3 Ergänzungen

  1. Ich möchte darauf hinweisen („Die Verwerterlobby, zu der auch die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage gehören“), das „die“ nicht alle sind. Die Formulierung ist unglücklich und stellt alle unter Generalverdacht. Ja, VG-Media und VG-Wort sind sicher nicht so unterschiedlich, aber hier sollte eine Trennung erfolgen.

    Was die Unabhängigkeit der Gerichte angeht habe ich schon lange das Vertrauen verloren. Prozess mit wehenden Fahnen im einfachen schriftlichen Verfahren gewonnen und verurteilt die Kosten zu tragen – Berufung natürlich wegen der Höhe nicht zugelassen.

    Aber spätestens wenn der Landeschef (s)ein Gericht öffentlich rügt, weil es sich an die Gesetze hält, stellen sich keine Fragen.
    https://www.t-online.de/region/id_86268310/entlassung-von-mutmasslichem-dealer-kritik-von-woidke.html

    Von daher wird die Vorlage der VG-Media eher noch als geringfügig einzuschätzen sein.

    René

  2. Natuerlich gibt es bei objektiver Betrachtung eine lange Reihe von gesellschaftlichen und gesundheitlichen Problemen, die unmittelbar durch die Haftungspriviligierung von Google, Facebook und Instagram entstehen und die tatsaechlich wesentlich gravierender sind als „nur“ die mangelnde Durchsetzung des Urheberrechts – diese betrifft ja „nur“ wirtschaftliche Interessen von Kuenstlern und ihren Partnern.
    Die eigentliche Frage an netzpolitik.org lautet also: Was tut ihr, um Kinder und Jugendliche und Menschen mit psychischen Problemen zu schuetzen? Oder ist euer seltsamer Hass auf Medienunternehmen so stark ausgepraegt dass ihr gar nicht anders koennt als die vielen Toten und Verletzten quasi als „collateral damage“ in Kauf zu nehmen?
    Algorithmen von Instagram, Facebook und Google sind vor allem darauf programmiert, maximalen Gewinn zu erzeugen. Da wir Menschen seit der Steinzeit darauf „programmiert“ sind, uns mit potentiellen Gefahren zu beschaeftigen (jede Titelseite beliebiger Tabloids beweist es) ist es sehr profitabel, allen Nutzern und leider auch schon kleinsten Kindern Inhalte zuzuspielen die mit psychischen Krankheiten und Self Harm und Suizid zu tun haben – vorausgesetzt, die Kinder oder betreffenden Erwachsenen besitzen eine Vulnerabilitaet fuer diese Inhalte. Andere Menschen moegen eine Vulnerabilitaet in anderen Bereichen haben und erhalten ebenso genau die Inhalte die ihre Schwaechen maximal ausnutzen: Die zugeschnittenen Informationen koennen zu politischer und religioeser Radikalisierung beitragen, bis hin zur erfolgreichen Rekrutierung von Nachwuchsterroristen. Wer aggressiv ist wird ebenso in seinem Verhalten verstaerkt, wie jemand der zu Depressionen neigt. Impfzweifler werden zu Impfgegnern. Der Punkt ist: Dadurch, dass die Plattformen nicht fuer die Inhalte haften die dort profitabel zur Schau gestellt werden, sterben Menschen. Taeglich.
    Die Kampagne „Duty of Care“ in UK (vom Daily Telegraph initiiert) setzt beim Kinder- und Jugendschutz an. Es wird die Verpflichtung gesehen, vulnerable Menschen, insbesondere Kinder, vor gefaehrlichen und schaedlichen Inhalten zu schuetzen und die Kampagne erfaehrt breiteste gesellschaftliche Unterstuetzung – ueber breite Schichten einer Gesellschaft die gerade in vieler Hinsicht deeply divided ist. Aber nicht, wenn es um den Schutz der Schwaechsten in einer Gesellschaft geht.
    Es besteht derzeit keine Moeglichkeit, die Inhalte von Google, Facebook und Instagram so „einzustellen“, dass Kinder oder vulnerable Personen bestimmte Inhalte nicht zu sehen bekommen. Kinder, die sich traurig fuehlen und vielleicht noch lernen muessen mit diesem Gefuehl umzugehen, Teenager die unter hormonell bedingten Stimmungsschwankungen leiden oder einfach Menschen die objektiv eine sehr schwere Zeit durchmachen und vielleicht Rat und Hilfe suchen, jeder, der ein Interesse zeigt, kann hineingezogen werden in einen Strudel zunehmender Ausweglosigkeit, Self Harm und Suizid.
    Nach dem gleichen Prinzip erfolgt politische Radikalisierung jeglicher Couleur, Terrorrekrutierung, verstaerkte Suizidgefahr bis hin zu Toten durch fehlende Impfungen.

    Netzpolitik.org sollte endlich aufhoeren, sich an der „Urheberrechtslobby“ abzuarbeiten und sich mit realen Problemen in der realen Welt beschaeftigen die durch das verklaerte Internet entstanden sind. Seid jedem Menschen, jeder Kampagne, jedem Wirtschaftszweig einfach mal dankbar, der versucht die immensen Schaeden, die durch fehlende Haftung im Internet entstehen, zu begrenzen.

    Die Frage die uns alle, auch Euch, angeht lautet: Wie kann unnoetige Radikalisierung, wie koennen unnoetige Opfer verhindert werden?
    Wenn Euch das aber einfach nicht so richtig interessiert weil die Gefahrenwarnung fuer Euch von der „falschen Seite“ kommt und ihr lieber ein fuer Google etc profitables „weiter so“ propagiert koennt ihr es natuerlich gern so halten, nur schreibt dann bitte nie wieder etwas von „Doppelmoral“. Ihr seid Schreibtischtaeter und an Euren Haenden klebt Blut.

    1. Es ist sicherlich nicht falsch auf andere Aspekte hinzuweisen. Immerhin ist das „was tut ihr“ Argument, dasjenige, was Sie an die Regierenden richten sollten, welche nicht mehr zu tun haben, als überbordende Überwachungs- und potentielle Zensurinfrastruktur zu etablieren, zusätzlich zu Lobbygeschenken (vgl. Geschehnisse um die EU-Urheberrechtsrichtlinie) an Konzerne und zu 70-90% Axel Springer Verlag. Nun richten Sie mal die Frage an die Regierenden, und lesen die Antwort in der Zeitung: „Wir brauchen mehr Überwachung, am Besten auch schon im Kinderzimmer, von Geburt an und bis in alle Zeit“ – was Eltern schon falsch machen, kann der Staat von Regierungsseite per Dekret mal eben so hinzaubern? Oh und irgendwie klingen die Antworten so bekannt, wer „kümmert“ sich um welches Thema?

      Das ist die Aufgabe bzw. Stärke hier. Natürlich mag die Seite Schwerpunkte haben, und der Hinweis auf weitere Probleme ist sicherlich willkommen. Ich sehe aber nicht den Zusammenhang mit dem Urheberrecht, das ist ein ähnliches, wenn nicht das gleiche Problem: die Regierenden sind nicht Willens, und bzw. oder nicht Könnens.

      1. Gerne Google/Facebook und co. dichtmachen. Kein Problem. Zivilisatorischer Kollateralschaden nahe Null.
      2. Die verrückten Gesetze treffen leider alles andere als Google/Facebook u.co. DAS ist das Problem, zusätzlich Zum etablieren einer potentiellen Überwachungs- und Zensurinfrastruktur, wie sie es kaum mal so häufig in die Kinos schafft. Also kann das seit drei Jahren existierende Irgendetwas-Forum dichtmachen, oder die Filterleistung von Google/Facebook einkaufen, und die Nutzungsbedingungen („Saugen alles, bzw. eh egal.“) an die Forumsbenutzer weiterreichen. Wer seine Benutzer also nicht ausliefern will, macht dann dicht, sofern „viele“ Beiträge im Forum zum stehen kommen, vielleicht sogar regelmäßig. Nationale Gesetzgebung wird nicht helfen, also wo sind wir hier gelandet? Im falschen Film.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.