Seine Flitterwochen hatte sich der rechtsradikale Aktivist Martin Sellner vermutlich anders vorgestellt. Als Sellner in Rom ankam, erreichte ihn die Nachricht, dass einer seiner Youtube-Kanäle mit 100.000 Abonnenten gesperrt wurde. Youtube schmeißt derzeit zahlreiche extreme Rechte von der Plattform. Im Juni hatte der Konzern eine härtere Gangart gegen Hate Speech angekündigt und diese Absicht im Bezug auf das Christchurch-Attentat noch einmal erneuert.
Youtube hatte im Juni nicht nur die Leugnung des Holocausts auf die Liste zu löschender Inhalte gesetzt, sondern jede Form von Diskriminierung oder Ausschluss auf der Basis von Eigenschaften wie Alter, Geschlecht, Rasse, Kaste, Religion, sexueller Orientierung oder Veteranenstatus. Diese Änderungen haben Sellner nun offenbar den Account gekostet, sprach er doch in einem Video von „Schuldkult“ und „Holocaust-Mythos“, viele der Inhalte sind zudem von unterschwelligem und verbrämtem Rassismus durchsetzt. Die von Sellner auf seinem weiterhin aktiven Twitter-Account veröffentlichte Sperrnotiz von Youtube weist darauf hin, dass der Identitäre „Gewalt gegen Einzelne oder Gruppen verherrlicht oder dazu aufgerufen“ habe.
Facebook und Instagram löschten schon früher
Für den österreichischen Chef der Identitären Bewegung ist es nicht der erste Account, der ihm wegen Verletzung der Community-Richtlinien abhanden kommt: Sellner hatte zuvor schon seinen Facebook-Account und seinen Instagram-Account verloren. Auch sperrten ihn der Zahlungsdiensteister Paypal und andere Banken. Sellner dürfte einen nicht geringen Betrag seines Lebensunterhaltes durch Spenden bestreiten, unter anderem auch vom Christchurch-Attentäter, die er auch aufgrund seiner Sichtbarkeit bei Youtube erhält.
Auf Twitter solidarisierten sich zahlreiche rechte und rechtsradikale Personen und Medien mit Sellner, Zuspruch gab es auch vom rechten Rand der CDU wie dem WerteUnion-Mitgied Max Otte. Sie sehen in der Löschung des Kanals einen Akt der Zensur, Sellner selbst spricht von einem „digitalen Vernichtungsfeldzug“. Für die neuerliche Kommunikation nutzte er neben Twitter einen anderen auf seinen Namen registrierten Youtube-Account, der zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesperrt ist. Sellner kündigte an, dass er rechtlich gegen die Löschung vorgehen wolle.
Sellner und der „Große Austausch“
Die Identitäre Bewegung ist eine der sichtbarsten Vertreterinnen der Verschwörungsideologie des „Großen Austausches“. Hinter diesem politischen Kampfbegriff versteckt sich die unbelegte Theorie, dass bestimmte politische Kräfte planvoll daran arbeiten würden, die weiße Bevölkerungsmehrheit durch „fremde Kulturen“ zu ersetzen. Die Verschwörungsideologie fußt auf dem rassistischen Konzept der „Umvolkung“. Zwecks besserer Vermittelbarkeit nutzt die neue Rechte aber nicht mehr das Wort „Rasse“, sondern spricht von „Kultur“. Auch Vertreter der AfD, unter anderem Alexander Gauland, bedienen sich des Begriffes.
Rechte Attentäter wie die von El Paso oder Christchurch berufen sich auf die Ideologie des Großen Austausches. Letzterer stand sogar im direkten Kontakt mit dem Identitären-Frontmann Sellner und spendete Geld an die Organisation. Recherchen bei Identitären in Großbritannien und in Nord-Frankreich zeigten, dass die Bewegung dem militanten Rechtradikalismus und Neonazismus deutlich näher steht als sie nach außen zugibt. Die Identitären werden sowohl in Österreich wie auch in Deutschland vom jeweiligen Inlandsgeheimdienst beobachtet.
Deplatforming von Rechtsradikalen
Vertreter der radikalen Rechten sind wegen ihrer Postings und der Verstöße gegen die Geschäftsbedingungen zunehmend von sogenanntem Deplatforming betroffen, also dem Ausschluss ihrer Accounts von Plattformen im Internet. Fliegen solche Personen oder Organisationen insbesondere von den großen Plattformen wie Youtube oder Facebook, dann verringert sich in der Regel ihre öffentliche Sichtbarkeit und gelegentlich ihr Einkommen.
In manchen Fällen gibt es anfangs eine erhöhte Aufmerksamkeit durch einen Streisand-Effekt, doch meist folgen nur vergleichsweise wenige den Verbannten in ihre neue Heimat auf kleineren oder Special-Interest-Plattformen, die sich nur an eine bestimmte politische Zielgruppe richten. Das schmälert ihre Reichweite signifikant, da sich die Medienkonsumgewohnheiten der Menschen nicht wegen eines gesperrten Accounts grundlegend ändern.
Kritiker des Konzeptes des Deplatformings sagen, dass die Sperrung von Accounts aktive Communities und Plattformen schaffe, in denen dann Rassismus und andere menschenverachtende Ideologien vollkommen normal seien.
Große Macht für soziale Netzwerke
Problematisch am Deplatforming auf marktdominanten sozialen Netzwerken wie Youtube oder Facebook ist, dass sich Betroffene nur sehr schwer juristisch wehren können und es keine vernünftigen Widerspruchs- und Einspruchmechanismen auf den Plattformen selbst gibt. Wer fälschlicherweise von einem der marktdominanten Netzwerke ausgeschlossen wird, verliert seine gesamte Reichweite. Auch gibt Deplatforming marktdominanten Unternehmen eine große Macht darüber, über Reichweite und Inhalte von Personen und Organsiationen zu entscheiden.
Deplatforming gibt es nicht nur bei sozialen Netzwerken, sie ist auch bei Providern oder bei Diensten wie Cloudflare möglich. Letzterer hatte zuletzt die Plattform 8chan rausgeworfen, woraufhin diese jetzt nur noch über das Tor-Netzwerk erreichbar ist. Ähnlich erging es der Nazi-Publikation „The Daily Stormer“, die aber mittlerweile wieder über herkömmliche Wege abrufbar ist.
Update 29.8.2019:
Youtube hat den Kanal wieder hergestellt. Youtube hat sich gegenüber Buzzfeed zum Fall geäußert.
Artikel ist hinfällig lol. Kanal ist wieder online und alles Strikes gelöscht.
Unsinn, Deplatforming und die Demokratiefrage dahinter ist ein unverändert anzuprangernder Punkt. Wäre toll wenn mehr dazu auf Netzpolitik.org käme! Bitte mit der geboteten Entschlossenheit und Klarheit, keine Angst vor klarer Kapitalismuskritik etc. denn nichts anderes ist die Forderung nach Demoraktisierung privater Konzerne.
Tippfehler „Netwzerke“ im ersten Abschnitt des letzten Blocks.
LG
ein Fan :)
Danke für den Hinweis, ist jetzt korrigiert.
Letztendlich könnten die digitalen Monopolkapitalismus Konzerne diese Macht früher oder später auch gegen Linke oder Bürgerrechtler einsetzen. Daher wäre es hier sinnvoll dafür zu kämpfen das Inhalte nur dann gelöscht werden dürfen wenn diese klar rechtswiedrig sind. Eine Demokratie muss auch strunz-dumme und verschwörungstheorethische Meinungen aushalten können.
Zumindest wenn es sich um Plattformen handelt welche eine ohnehin viel zu große Marktmacht haben muss das anders reguliert werden.
Im Artikel steht, „[der Christchurch-Attentäter] stand sogar im direkten Kontakt mit dem Identitären-Frontmann Sellner“.
Interessant, dass wusste ich noch gar nicht!
Inwiefern bestand denn der „direkte Kontakt“ – Haben die miteinander kommuniziert?!
Grüße
Amabutu
Ja, darüber wurde in Österreich auch breit berichtet. Eine gute Zusammenfassung hat MSN über die Kontakte und die Ermittlungen gegen Sellner und auch seine Verlobte:
„..authorities revealed that contacts between the two men had been even more extensive, involving friendly email exchanges and an invitation by Sellner for Tarrant to join him in a beer or coffee if he ever came to Austria..“
Siehe: https://www.msn.com/en-nz/news/world/austrian-far-right-leader-searched-on-suspicion-of-forming-terrorist-group-with-christchurch-shooter/ar-AADrS3A