Eine wirklich praktische Verwaltungsapp hat Saudi-Arabien da entwickelt. Man kann darin Knöllchen zahlen, wenn man falsch geparkt hat, einen Ausweis erneuern oder ein Neugeborenes anmelden. Und wenn man ein Mann ist, kann man auch einstellen, wie viele Reisen die eigene Frau oder Tochter unternehmen darf, ob sie das Land überhaupt verlassen darf und wohin. Man kann sich sogar per SMS benachrichtigen lassen, wenn sie an einem Flughafen eincheckt oder versucht die Grenze zu überqueren.
In Saudi-Arabien ist das ein normaler Verwaltungsakt, denn laut Gesetz braucht jede Frau dort einen männlichen Vormund, der über sie entscheidet – einen Ehemann, Vater, Bruder oder Sohn. Ohne dessen Erlaubnis kann eine Frau weder eine Ausbildung machen, noch Autofahren oder das Land verlassen. Als man im Jahr 2012 die dafür notwendigen Papierbescheinigungen, den berühmten „yellow slip“, digitalisierte, war das rein rechtlich betrachtet nur ein Schritt Richtung E-Government.
Apple und Google in der Kritik
Jetzt ist die Geschichte außerhalb Saudi-Arabiens wieder in Erinnerung gerufen worden, nachdem Anfang Februar ein Artikel im Business Insider ausführlich über die App und ihre Funktionen berichtete. Die Empörung richtet sich allerdings weniger gegen die saudische Regierung. Dass Frauen dort keine vollen Menschenrechte genießen, ist ja bekannt. In der Kritik stehen vor allem Apple und Google, die die App Absher mit den genannten Funktionen in ihren Stores anbieten. An sie appellieren jetzt Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, sie mögen die Software doch aus ihren Download-Bereichen verbannen. Gerade Apple ist schließlich für seine strikten Richtlinien bekannt, die unter anderem Apps aussperren, die geeignet sind, andere zu gefährden. Beide Firmen haben inzwischen angekündigt, die App prüfen zu wollen.
Warum diese Geschichte jetzt?
Natürlich ist diese Geschichte ein Aufreger: Eine staatliche App, die bei der Überwachung, Unterdrückung und Entmündigung von Frauen hilft, so als gehe es dabei um eine weitere lästige Verpflichtung, vergleichbar mit dem Begleichen eines Knöllchens oder einer neuen Fahrzeugzulassung. Interessant ist dennoch die Frage, warum die Geschichte derzeit wieder einen solchen Aufwind erfährt. Eingeführt wurde die Verwaltungs-App inklusive der Option zur SMS-Benachrichtigung bereits im Jahr 2012. Die saudische Aktivistin Manal al-Sharif, berühmt geworden durch ihre Kampagne für der Recht der saudischen Frauen auf Autofahren, hatte damals bereits in einem Tweet auf die Funktion aufmerksam gemacht. Auch der Guardian und andere Medien berichteten daraufhin.
Vielleicht liegt es an der packenden Geschichte von Shahad al-Moheimeed, der jungen Frau, deren Fluchtgeschichte der Business Insider für seinen Artikel so akribisch recherchiert hat – inklusive der Rolle, die das Überlisten von Absher dabei spielte. Allerdings fällt auf, dass die Empörung über die Unterdrückung, Verfolgung und Schikane von Frauen vor allem dann Aufmerksamkeit erfährt, wenn sie anderswo passiert. Besonders in Saudi-Arabien, dessen archaische Gesetze im Kontrast zur westlichen Welt wie eine dystopische Geschichte von Margaret Atwood anmuten.
Spionierende Partner: Man muss nicht bis Saudi-Arabien schauen
Wer allerdings etwas darüber erfahren möchte, wie Frauen mit Hilfe von Technologie verfolgt, bedroht und tyrannisiert werden, muss dazu nicht bis in den Nahen Osten schauen. Es reicht aus, in die nächstgelegene Frauenberatungsstelle zu gehen und sich dort mit jenen zu unterhalten, die täglich mit solchen Fällen zu tun haben. Partner und Ex-Partner, die das Handy ihrer Frauen und Freundinnen mit versteckten Programmen überwachen, ihren Standort minutengetreu verfolgen, all ihre Chats und Telefonate mitlesen und hören.
Spyware nennen sich die Programme, mit denen diese Totalüberwachung möglich ist und sie sind auch in Deutschland legal zu kaufen. Denn ihr Einsatz ist nicht per se verboten. Wenn etwa ein Erziehungsberechtigter sein Kind mit diesen Mitteln tracken möchte, ist das erlaubt, so lange nicht Dritte mit abgehört werden. Eine Straftat begeht erst, wer die App einsetzt, um einen anderen ohne dessen Einverständnis auszuspionieren.
An Google und Apple braucht man in diesem Fall nicht zu appellieren, denn sie haben die berüchtigten Apps wie FlexiSpy oder mSpy aus den Stores verbannt. Das ist allerdings kein unüberwindbares Hindernis, denn um etwa den Standort und die Chats auf einem iPhone zu überwachen, kann schon die Apple ID und das Passwort der Person reichen, die es nutzt. Wenige Minuten mit einem Telefon genügen, um darauf Programme zu verstecken, die noch viel mehr können, zum Beispiel alle Gespräche mithören oder das Mikrofon aus der Ferne anschalten. Viele der Betroffenen wissen nichts über Zwei-Faktor-Authentifizierung oder anderen Sicherheitsmaßnahmen, die sie davor schützen könnten.
Aufklären, unterstützen, verfolgen? Regierung sieht wenig Bedarf
Die Tech-Konzerne sind hier die falschen Ansprechpartner. An wen man aber sehr wohl appellieren könnte, ist die Bundesregierung. Wenn sich der illegale Einsatz der Software nicht verhindern lässt, dann könnte sie zumindest dafür sorgen, dass Frauen über die Gefahren gut aufgeklärt werden. Sie könnte die Beratungsstellen mit genug Geld ausstatten, um Menschen zu beschäftigen, die dabei helfen, Beweise zu sichern und das eigene Gerät wieder zu entwanzen. Und sie könnten schließlich auch bei der Polizei und Justiz dafür sorgen, dass Beamt*innen und Richter*innen solche Fälle richtig einordnen können.
Das Interesse an dem Thema scheint jedoch gering – obwohl sich die Berichte von Betroffenen im Netz häufen und die Beratungsstellen berichten, dass diese Form der geschlechtsspezifischen Gewalt inzwischen zum Alltag gehört. Eine Anfrage der Fraktion Die Linke aus dem vergangenen Jahr hat ergeben, dass im Grunde keinerlei Zahlen dazu bekannt sind, wie viele Fälle von digitaler Spionage und anderen Formen Digitaler Gewalt erfasst oder angezeigt wurden. Es sind auch keine Studien dazu geplant. Ein einziges Projekt zum Thema fördert das Familienministerium. Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, der die Seite „Aktiv gegen digitale Gewalt“ koordiniert, sagt, er bekomme wesentlich mehr Anfragen für seine Weiterbildungen als er anbieten kann.
Deutschland ist nicht Saudi-Arabien, und Männer, die Spyware nutzen, um Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen zu verfolgen und zu tyrannisieren, sind nicht das Gleiche wie eine Regierung, die eine solche Funktion in einer Bürger-App einbaut. Frauen sind in Deutschland per Grundgesetz gleichgestellt, aber auch wir ringen noch darum, diesen Grundsatz auch tatsächlich ins bürgerliche Gesetzbuch und von dort ins tatsächliche Leben zu übersetzen. Man würde sich deshalb wünschen, dass sich ein Teil des Furors, den diese App auslöst, auch gegen die Gewalt richtet, die Frauen in Deutschland jeden Tag erfahren. Damit gleiche Rechte nicht nur in Gesetzen festgeschrieben stehen, sondern auch im Alltag gelebt werden können.
Im Absatz „Apple und Google in der Kritik“ hat sich ein zusätzliches „r“ eingeschlichen, bei dem Wort „Softwarre“ :)
Danke für den Hinweis, ist korrigiert.
Das passiert schnell mit zweierlei Maß zu messen, ebenso mit der Jugend die heute angeblich gewalttätiger ist (was sich nicht mit der Statistik deckt) und auch mit Vergewaltigungen (Fokus wird durch Rechte immer wieder gezielt auf Ausländer gelenkt), aber auch in der Politik (diese permanente Diffamierung Chinas und Russlands während man bei den USA und europäischen Nachbarn oft beide Augen zudrückt).
Das ist die Kernproblematik des Westens: Sich als höchste Moralinstanz aufspielen und meinen der Welt sagen zu müssen wo es lang geht, aber selbst nicht an alle Vorsätze halten. Dafür gibt es das Wort Doppelmoral und nichts anderes ist das auch.
Danke für den Beitrag, sehr wertvolle Beobachtung.
Dead link bei „diesen Grundsatz auch tatsächlich ins bürgerliche Gesetzbuch“
(diesen Grundsatz auch tatsächlich ins bürgerliche Gesetzbuch)
Der Textteil „diesen Grundsatz auch tatsächlich ins bürgerliche Gesetzbuch“ ist verlinkt, allerdings ist es ein leerer Link. Könnt ihr das bitte korrigieren? Ich wollte das nämlich anklicken. :-)
Ist jetzt korrigiert, danke!
Gibt es irgendwo eine Anleitung im Netz, wie man Spyware auf dem eigenen Smartphone entdecken kann? Danke und viele Grüße