Von der Wissenschaft zur kommerziellen Datensammlung: Cambridge-Forscher sagt im Facebook-Skandal aus

Der Mann, der Daten von Millionen Facebook-Nutzerinnen sammelte und an Cambridge Analytica weitergab, will nicht gewusst haben, dass er gegen Regeln verstößt. Über die Möglichkeit von Datenkäufen habe er schließlich in den AGb informiert und Facebook habe seine App nicht geprüft. Am Ende seien die Daten aber ohnehin wertlos gewesen.

Der Mann hinter der Datensammlung: Cambridge-Forscher Alexander Kogan während seiner Anhörung vor dem britischen Parlament. Screenshot: Guardian/Youtube

Im Zuge der Aufarbeitung des Skandals um Facebook und Cambridge Analytica gerät mit Alexander Kogan in diesen Tagen ein weiterer zentraler Akteur ins Blickfeld. Kogan hatte mit einer App die Daten von Millionen Facebook-Nutzern gesammelt und an SCL, die Firma hinter Cambridge Analytica, weitergegeben. In den vergangenen Tagen gab er Buzzfeed und der US-Fernsehsendung 60 Minutes ausführliche Interviews. Heute verhörte ihn ein Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments in einer öffentlichen Anhörung.

Der Forscher verstärkte dabei den Eindruck der Verantwortungslosigkeit Facebooks im Umgang mit Nutzerinnendaten – und spielte gleichzeitig die Bedeutung seiner Arbeit für Cambridge Analytica herunter. Auch wenn Kogan keine bahnbrechend neuen Informationen preis gab, war seine Aussage deutlich informativer als die des Facebook-Chefs Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress. Zu manchen Fragen allerdings schwieg der Cambridge-Forscher – aufgrund eines mit Geheimhaltungsvertrages mit Facebook.

Zehntausende weitere Apps betroffen

Dem Fernsehsender CBS sagte Kogan vor der Anhörung, er habe damals gedacht, alle Menschen wüssten, dass ihre Daten bei Facebook in großem Stil auch von Dritten gesammelt würden. Heute bereue er sein Verhalten. Allerdings sieht er die Hauptverantwortung in erster Linie bei Facebook, weil die Plattform die Datensammlung durch Drittanbieter in keiner Weise kontrolliert habe. So wie er hätten zehntausende die Daten von Facebook-Nutzerinnen gesammelt.

„Als Entwickler auf Facebook zu sein, war in etwa so, wie als Nutzer auf Facebook zu sein: Es gab zwar Texte über Bedingungen, aber niemand hat sie gelesen“, sagte Kogan den Abgeordneten des britischen Kulturausschusses. Die Nutzungsbedingungen und Datenpraxis seiner App seien von niemandem überprüft worden. Tatsächlich enthielten diese AGB in einer späteren Fassung die Aussage, dass die von Kogan gegründete Firma GSR das Recht habe, die gesammelten Daten weiterzuverkaufen. Ein Verstoß gegen Facebooks Plattformregularien, der dort niemandem auffiel. Er habe die Geschäftsbedingungen mit zwei Klicks überarbeiten können.

Erst nach dem ersten Bericht des Guardian im Jahr 2015 habe Facebook seine App geprüft und im Folgenden dann gesperrt. Er sei im Zuge dessen aufgefordert worden, die Daten zu löschen. Dem sei er nachgekommen – eine Kontrolle oder vertragliche und juristische Absicherung sei von Facebook nicht vorgenommen worden.

Nur ein Sprung von der akademischen Forschung zur kommerziellen Datensammlung

In einem schriftlichen Statement [PDF] erklärte der Cambridge-Forscher, dessen Vertrag mit der Universität nach eigenen Aussagen im Sommer ausläuft, wie seine Zusammenarbeit mit SCL aussah. Für seine Forschung am Institut für Psychologie der Universität Cambridge habe er 2013 begonnen, mit Facebook-Daten zu arbeiten. Das Unternehmen habe ihm hierfür kostenlos einen statistischen Datensatz über Freundschaftsverbindungen und den Einsatz von Emoticons in unterschiedlichen Ländern gegeben. Um diese nicht personenbezogenen Daten anzureichern, habe er eine Facebook-App namens „CWP lab“ programmiert. Über Plattformen wie Amazon Mechanical Turk wurden bis zu 15.000 Clickworker gewonnen, die im Gegenzug für ein paar Dollar Umfragen in der App ausfüllten.

Auf diesem Weg gelangten die Forscher laut Kogan auch an die Facebook-Daten der Teilnehmenden und an die ihrer Kontakte, sofern diese ihre Datenschutzeinstellungen nicht besonders restriktiv einstellten. Diese Daten seien jedoch nur für wissenschaftliche Zwecke verwendet worden. Durch einen Studenten sei er dann Anfang 2014 mit dem damaligen SCL-Mitarbeiter und späteren Whistleblower Christopher Wylie in Kontakt gekommen und habe eine Kooperation begonnen. Dafür habe er mit seinem Partner Joseph Chancellor die Firma GSR gegründet und die schon bestehende App übernommen. Vorher habe er jedoch den Namen der Anwendung und die Nutzungsbedingungen geändert, so dass von einem akademischen Zweck nicht mehr die Rede gewesen sei.

In einer ersten Runde habe seine Firma über die „GSR App“ dann Daten über Menschen aus elf spezifischen US-Bundesstaaten sammeln sollen. Ende 2014 habe er die vertraglich verabredeten Leistungen übergeben: Dazu gehörten demographische Daten der Menschen aus den elf Bundesstaaten und von GSR errechnete Persönlichkeits-Scores sowie einige Vorhersagen. Rohdaten über Facebook-Likes habe er nicht an SCL übermittelt. In einer zweiten Runde seien Ende 2014 dann die gleichen Daten über Menschen aus allen fünfzig US-Staaten geliefert worden. Dazu gehörten dann auch Daten über Likes, laut Kogan jedoch nur Likes für 500 Facebook-Seiten von politischen Akteuren und Stars, die für SCL von besonderem Interesse waren.

Für die Rekrutierung der Probanden habe SCL 800.000 Dollar ausgegeben. Er habe persönlich kein Geld erhalten, sondern als Bezahlung eine Kopie des Datensatzes für weitere Forschung nutzen dürfen. 230.000 Pfund, die SCL für das zweite Datenpaket bezahlt habe, seien bei GSR in Forschung, Administration und Dienstleistungen geflossen. Erst nach der Zusammenarbeit mit SCL sei die App in ein Persönlichkeitsquiz umgewandelt und in „thisisyourdigitallife“ umbenannt worden.

Wertlose Daten?

Der Cambridge-Forscher war ansonsten bemüht, die Relevanz seiner Arbeit für Cambridge Analytica herunterzuspielen. Zum einen bestätigte er die Darstellung Cambridge Analyticas, dass er lediglich Daten von etwa 30 Millionen Facebook-Nutzerinnen an die Firma weitergegeben habe. Einer Facebook-Schätzung zufolge konnte Kogan mit seiner App insgesamt die Daten von knapp 90 Millionen Menschen sammeln. Er will jedoch nur Daten von Menschen in den USA an SCL weitergegeben haben.

Zum anderen seien die Berechnungen, die er geliefert habe, nicht sonderlich akkurat gewesen. Eigenen Schätzungen zufolge habe man lediglich bei einem Prozent der Teilnehmenden alle fünf geprüften Persönlichkeitseigenschaften korrekt vorhersagen können. Falsch habe man alle fünf Eigenschaften jedoch bei bei sechs Prozent vorhergesagt. Die von ihm geleistete Arbeit habe keinerlei Wert für SCL gehabt. Gerade für Microtargeting auf Facebook seien die Tools der Plattform deutlich besser geeignet. Kogan zufolge ist es deshalb unwahrscheinlich, dass die von ihm gelieferten Daten von der Trump- oder der Pro-Brexit-Kampagne genutzt worden seien.

Auch Whistleblower Wylie erhielt Daten

Er habe sich damals keine Gedanken gemacht, wie die Daten verwendet würden. In rechtlichen Fragen habe er sich komplett auf die Beratung durch Christopher Wylie verlassen. Der hatte SCL im Laufe des Jahres verlassen und eine Konkurrenz-Firma namens Eunoia gegründet. Mitte 2014 habe er auch an dieses Unternehmen die mit der App gesammelten Daten weitergegeben – und zwar alle Daten inklusive aller Facebook-Likes.

Die Abgeordneten fragten Kogan auch nach seinem ehemaligen Geschäftspartner Joseph Chancellor. Zusammen hatten sie GSR 2014 gegründet und waren lange Zeit gemeinsame Anteilseigner. Obwohl Chancellor an allen Aktivitäten der Firma beteiligt war, stellte Facebook den Psychologen im November 2015 an und beschäftigt ihn bis heute. Auf die Frage, ob es nicht merkwürdig sei, dass Facebook ihn selbst unterdessen als Lügner bezeichnet, ordnete Kogan die gegen ihn gerichteten Äußerungen als Teil von Facebooks PR-Strategie ein. In Wirklichkeit hätte das Unternehmen lange gewusst, dass Drittanbieter im großen Stil persönliche Daten abgreifen würden.

Nach seinen Verbindungen zu Russland gefragt, räumte der in Moldawien geborene US-Bürger eine lose Zusammenarbeit mit der Universität St. Petersburg ein. Durch einen Zufall sei er bei einer Russlandreise mit Forschern der Universität in Kontakt gekommen und habe einige Vorträge gehalten. Einer der Bekannten habe dann seinen Namen auf einen universitätsinternen Förderantrag geschrieben, um die Chancen auf eine Bewilligung zu verbessern. Er selbst habe den Antrag nicht gelesen, weil sein Russisch dafür nicht gut genug sei.

Tatsächlich wurde das Projekt, indem es um Cyber-Mobbing gegangen sein soll, bewilligt. So habe er zwischen 2014 und 2016 im Rahmen des Projekts gelegentlich Vorträge, Beratung und einen Statistik-Workshop gegeben. Das alles sei der Universität Cambridge bekannt gewesen und von ihr genehmigt worden, so Kogan. Eine russische Einflussnahme auf seine Arbeit oder die Kooperation mit SCL und Cambridge Analytica schloss er aus.

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