Bericht: Überwachungsexporte als Herrschaftsinstrument

Die Nachbarschaftspolitik der EU soll Stabilität, Sicherheit und Wohlstand in die Welt tragen. Doch unter dem Mantel der Förderung von Rechtsstaatlichkeit finanzieren die EU-Staaten den Ausbau staatlicher Überwachung. Das zeigt ein von Privacy International veröffentlichter Bericht.

Die Studie ist ein weiterer Aufklärungsakt von Privacy International zur Offenlegung globaler Überwachungsstrukturen. – Alle Rechte vorbehalten Privacy International, Artwork by Amrit Birdi & Co.

Staatliche Überwachung ist schon in Europa eine Herausforderung für den Rechtsstaat – in autoritären Staaten wird sie schnell zu einem Instrument der Unterdrückung. Umso schlimmer, wenn das demokratische Europa solche Überwachung unterstützt. Die EU-Staaten wollen den afrikanischen Mittelmeerländern eigentlich dabei helfen, gegen Radikalisierung vorzugehen. Doch stellen sie dabei häufig Ausrüstung, Training und Finanzierung für Massenüberwachung zur Verfügung und machen sich damit zum Komplizen für Menschenrechtsverletzungen. Darauf weist ein neuer Bericht der NGO Privacy International hin. Überwachungsexport hat mitunter verheerende Folgen, etwa die Diskriminierung und Verhaftung von LGBTI-Personen in Ägypten.

Der vergangene Woche von Privacy International veröffentlichte Bericht „Teach ‚em to Phish: State Sponsors of Surveillance“ liefert Daten und Beispiele für die aktuelle Umsetzung der sogenannten „Sicherheitsunterstützung“, von der auch die globale Überwachungsindustrie profitiert.

Überwachung zu Migrationskontrolle

Heute sind doppelt so viele Menschen auf der Flucht wie vor 20 Jahren. 2016 meldete die UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR die Rekordzahl von 65,6 Millionen Geflüchteten weltweit. Davon landen mehr als vier Fünftel in armen Weltgegenden. Währenddessen richtet die EU ihre Nachbarschaftspolitik neu aus: Seit November 2015 gelten Sicherheit und Migration als neue Schwerpunkte. Europa investiert Milliarden, um insbesondere in Staaten auf den Fluchtrouten über das Mittelmeer Grenzkontrollen und Überwachung zu fördern. Der Vorwand, beim Aufbau von rechtsstaatlichen Mechanismen zu helfen, entpuppt sich als schlichte Maßnahme zur Migrationsabwehr.

Die Mehrheit der von Privacy International untersuchten Empfängerstaaten begehen systematisch Menschenrechtsverletzungen. Wie der Bericht zeigt, bleiben tatsächliche Reformen für rechtsstaatliche Kontrolle im Sicherheitssektor meistens auf der Strecke. Dennoch bleibt die EU-Kommission ihrer neuen Linie treu. In ihrer im Mai vorgeschlagenen Budgetplanung für 2021-2027 fordert sie eine massive Erhöhung der Ausgaben für „Herausforderungen im Bereich Migration“. 120 Milliarden Euro sollen in dem Zeitraum ausgegeben werden, knapp ein Drittel mehr als bisher.

Privacy International äußert harte Kritik an der EU-Politik und stellt sie in den globalen Zusammenhang:

Diese Programme ziehen Mittel von anderen Auslandsausgaben ab, insbesondere im Bereich der Entwicklungs- und humanitären Hilfe. Die EU […] leitet Milliarden von Euro aus der Entwicklungshilfe in Projekte um, die dem Ausbau von Überwachung und Grenzkontrollen dienen und ausschließlich auf Probleme der Migration zielen. Faktisch verspricht die EU auch autoritären Regimen Fonds in Milliardenhöhe, wenn diese geloben, Menschen auf der Flucht von Europas Küsten fernzuhalten. Und sie plant nun, diese um weitere Milliarden zu erhöhen. Solche Patenschaften tragen nicht nur immer mehr Massenüberwachung in die Welt, sie sind auch ein wichtiger Eckpfeiler für die mächtigen Geheimdienste dieser Welt, denen die Informationsbeschaffung in den Ländern erleichtert wird. So üben Staaten heute Einfluss aus und projizieren ihre Macht. [Eigene Übersetzung]

Der Bericht endet mit konkreten Handlungsempfehlungen und appelliert an die Überwachungssponsoren, dass Repression niemals zu Stabilität führe. Nicht nur die Sicherheit von Menschen, sondern auch die von Staaten hänge letztlich von der Förderung demokratischer Strukturen, rechenschaftspflichtigen Institutionen und der Wahrung von Grundrechten ab.

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