Die Europäische Union will nordafrikanische Länder in der Überwachung des Internets ausbilden. Das schreibt der für die EU-Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen zuständige Kommissar Johannes Hahn in der Antwort auf eine Anfrage der Europaabgeordneten Sabine Lösing. In einem nicht genannten „Partnerland in der südlichen Nachbarschaft“ sollen demnach im Rahmen des Polizeiprogramms „Euromed Police IV“ Schulungen zu „Untersuchungen in den sozialen Medien“ stattfinden. Weitere Maßnahmen sollen in den Bereichen „Cyberspace und Terrorismus“ erfolgen. Hierzu gehören unter anderem Finanzermittlungen und digitale Forensik.
Auch die deutsche GIZ ist beteiligt
„Euromed Police“ gehört seit 2004 zu den Maßnahmen der EU im Rahmen des Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI). Im Fokus stehen die Mittelmeer-Anrainerstaaten Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, Tunesien und die palästinensische Autonomiebehörde. Das ebenfalls zur ENPI gehörende Syrien ist derzeit vom Programm suspendiert. Viele der Maßnahmen des Programms werden von französischen oder spanischen Polizeibehörden durchgeführt. Zu den Zielen gehört der Aufbau einer „Bedrohungs-Plattform“ („Euromed Threat Forum”), die bei Europol angesiedelt werden soll. Die Beteiligten sollen hierüber Informationen zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung austauschen.
In seiner vierten Staffel von 2016 bis 2019 hat „Euromed Police IV“ ein Budget von rund fünf Millionen Euro. Als Juniorpartner nimmt unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an dem Programm teil. Alle Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, sind an der grundsätzlichen Projektgenehmigung beteiligt. Die konkrete Mittelvergabe wird jedoch von der EU-Kommission verantwortet. Mit der Durchführung von „Euromed Police IV“ wurde die französische Civipol Conseil beauftragt, eine Organisation des französischen Innenministeriums.
Polizeiprogramm für militärische Gendarmerie
Bereits in der dritten Ausgabe des Programms wurden die beteiligten Staaten mit Trainings in der Kontrolle des Internet gegen „Radikalisierung“, „terroristische Akte“, „Rekrutierung“ oder „terroristische Trainings“ unterstützt. Im Fokus standen unter anderem YouTube und Dienste zur Videotelefonie. Zu den 18 durchgeführten Seminaren gehörten Module zur Überwachung elektronischer Kommunikation, „Finanzierung terroristischer Organisationen“ oder das „Sammeln, Speichern, Sortieren, Bewerten“ von ermittlungsrelevanten Inhalten. Weitere Themen waren das Erkennen gefälschter Dokumente und DNA-Analysen.
Es ist möglich, dass es sich bei dem nicht genannten „Partnerland“ um Tunesien handelt. Die französische Civipol unterstützt laut der Kommission die „Staatsorgane Tunesiens im Kampf gegen den Terrorismus“. Von den Maßnahmen zur „Abschreckung, Ermittlung, Verfolgung“ profitieren die militärische Gendarmerie und die Justizbehörden. Laut Bundesregierung gehören dazu auch „Trainingsmaßnahmen im Bereich ‚Umgang mit Cyberkriminalität‘“. Der Kommission zufolge wird auch das polizeilich-geheimdienstliche tunesische „Zentrum für die Zusammenführung von Informationen“ unterstützt.
Treffen mit Google und Facebook
Das Polizeiprogramm „Euromed Police“ hat ein justizielles Pendant „EuroMed Justice“. Auf einer gemeinsamen Tagung im April in Lissabon hat die Kommission ein „Handbuch über elektronische Beweismittel“ vorgestellt. Zu den weiteren Vorträgen gehörte die mögliche Umsetzung des Richtlinien-Vorschlags zu „Elektronischen Beweismitteln“, den die Kommission am 17. April vorgelegt hatte.
Auch in „Euromed“ steht das Thema weit oben auf der Wunschliste. Wenige Wochen zuvor hatte die algerische Polizei eine Konferenz zur Herausgabe von Cloud-Daten bei Internetanbietern organisiert. Am Ende soll eine Handlungsanleitung entwickelt werden, um polizeiliche Herausgebeverlangen bei den Firmen zu erleichtern. Neben Europol nahmen auch Vertreter von Google und Facebook an dem „Euromed“-Treffen teil.
Techniken können missbraucht werden
Die jetzigen Ausbildungsmaßnahmen in den Bereichen „Cyberspace und Terrorismus“ dürften in der nordafrikanischen Zivilgesellschaft auf wenig Gegenliebe stoßen. Denn die Techniken zur Ausforschung sozialer Netzwerke können genauso zur Verfolgung unerwünschter Meinungen und Lebensweisen eingesetzt werden. Die Regierung Ägyptens nutzt beispielsweise die Internetbeobachtung zur Verfolgung und Misshandlung homosexueller Aktivisten.
Im Jahr 2013 wurde bekannt, dass auch die Bundesregierung die Regierungen in Tunesien und Ägypten bei der Internetüberwachung unterstützt hat. Das BKA hatte kurz vor den Aufständen des sogenannten „Arabischen Frühling“ Schulungen durchgeführt, bei denen das Internet eine wichtige Rolle gespielt hatte. Einen letztes Jahr geplanten Lehrgang zu Internetbeobachtung hatte das BKA jedoch nach Protesten abgesagt.
0 Ergänzungen
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.