Bundeskriminalamt schulte Tunesien und Ägypten kurz vor dem Arabischen Frühling in Techniken zur Internetüberwachung

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat mehrere Länder des Arabischen Frühlings in der Überwachung des Internet ausgebildet. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die letzte Woche zugestellt wurde. Entsprechende Lehrgänge in Tunesien und Ägypten fanden kurz vor den Revolten statt. Die Kontrolle des Internet hatte in der staatlichen Niederschlagung der Aufstände in beiden Ländern eine wichtige Rolle gespielt.

Teilnehmende der BKA-Seminare waren Geheimpolizeien wie der ägyptische Staatssicherheitsdienst, der nach erfolgreichen Protesten gestürmt und aufgelöst wurde. Profitiert haben aber auch Sicherheitsbehörden aus Jordanien, Saudi-Arabien und Algerien. Die Maßnahmen werden mit dem Kampf gegen „Terrorismus“ begründet – ein willfähriges Mittel, mit dem in besagten Ländern auch die Opposition unterdrückt wird. Behörden in Marokko haben überdies Ausstattungshilfe erhalten, geliefert wurde unter anderem polizeiliche Analysesoftware von IBM. Die Antwort im Wortlaut:

    • Zugunsten des ägyptischen Staatssicherheitsdienstes wurde im Zeitraum 24. Oktober bis 28. Oktober 2010 ein Lehrgang zum Thema „Open Source Internetauswertung im Bereich des internationalen Terrorismus“ durchgeführt.
    • Zugunsten Algeriens wurde im Zeitraum 10. Februar bis 12. Februar 2009 ein Lehrgang zum Thema „Internetkriminalität im Terrorismus-Bereich“ am „Afrikanischen Zentrum zur Untersuchung und Erforschung des Terrorismus“ (CAERT) durchgeführt.
    • Zugunsten des jordanischen „General Intelligence Directorate“ (GID) wurde im Zeitraum 23. November bis 27. November 2008 der Lehrgang „Internetkriminalität/Finanzermittlungen im Terrorismus-Bereich“ durchgeführt.

  • Zugunsten des marokkanischen „Direction Générale de la Sécurité Nationale“ (DGSN) wurde im Zeitraum 26. November bis 31. Dezember 2007 Analysesoftware geliefert. Dabei handelte es sich um die frei verkäufliche und bei allen rechtstaatlich organisierten Sicherheitsbehörden zum Einsatz kommende Analysesoftware „i2 Analyst’s Notebook“. Darüber hinaus wurde vom 11. August bis 14. August 2008 ein Arbeitsbesuch zum Thema „Internetkriminalität/Terrorismusbereich“ bei der DGSN durchgeführt. Im Zeitraum 7. Oktober bis 9. Oktober 2008 fand der Lehrgang „Internetkriminalität/Terrorismusbereich“ zugunsten der DGSN statt.
  • Zugunsten Saudi-Arabiens wurde im Zeitraum 25. Oktober bis 27. Oktober 2008 der Lehrgang „Internetkriminalität im Terrorismus-Bereich“ mit dem „General Intelligence Directorate“ (GID) in Riad durchgeführt sowie der Lehrgang „Internetkriminalität im Terrorismus-Bereich“ mit dem saudischen Innenministerium im Zeitraum 10.0ktober bis 14. Oktober 2009.
  • Zugunsten der tunesischen „Police Judiciaire“ wurde im Zeitraum 3. Mai bis 9. Mai 2008 der Lehrgang „Polizeiliche Einsatztaktiken und -methoden“ durchgeführt. Vom 22. November bis 26. November 2010 fand der Lehrgang „Open Source Internetauswertung im Bereich des internationalen Terrorismus“ zugunsten der tunesischen „Direction de la Sécuritä Extérieure“ (DSE) statt.

Die jetzt bekanntgewordenen Details erinnern an die Verkaufsförderung deutscher Trojaner-Software durch das BKA. Das Amt tingelte in regelrechten „Tupper Parties“ durch Europa, Nordamerika und Israel und erklärte die Anwendung deutscher Trojaner. Später durfte sich auch der britische Trojaner-Hersteller Gamma International präsentieren. Es ist gut möglich, dass das BKA im Rahmen seiner Lehrgänge zu „Internetkriminalität/Finanzermittlungen im Terrorismus-Bereich“ die Behörden in Nordafrika ebenfalls in der Nutzung digitaler Spionagewerkzeuge unterrichtete. Tunesien erhielt damals von westlichen Herstellern Beta-Versionen von Überwachungssoftware, um diese für wenig Geld zu testen. In Ägypten fand sich nach Stürmung des Staatssicherheitsdienstes – mit dem das BKA offensichtlich gute Beziehungen unterhielt – eine Verkaufsofferte der Firma Gamma International bzw. ihres deutschen Ablegers Elaman.

Zusammenarbeit mit BKA, Bundespolizei, BND und Verfassungsschutz intensiviert

Zur gleichen Zeit als das BKA seine Ausbildungshilfe zur Internetüberwachung leistete, wurden BloggerInnen in Tunesien und Ägypten verhaftet und gefoltert. Die Praxis hält offensichtlich weiter an: Jetzt wurde in Tunesien ein Aktivist in letzter Instanz zu über sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil er im Internet den Islam beleidigt habe. Die Situation ist derart prekär, dass mehrere tunesische Bürger- und Menschenrechtsgruppen letzte Woche einen Aufruf gestartet haben, um auf die Verletzung der Meinungsfreiheit aufmerksam zu machen.

Die deutschen Behörden scheint das alles nicht zu kümmern: Denn die Zusammenarbeit mit Ländern des Arabischen Frühlings wurde nach den Revolutionen sogar intensiviert. Vor wenigen Wochen teilte das Auswärtige Amt mit, dass sämtliche Polizeien und Geheimdienste des Bundesinnenministeriums helfen, den tunesischen Sicherheitsapparat aufpolieren. Dabei geht es um eine sogenannte „Sicherheitssektorreform“ im Rahmen einer „Transformationspartnerschaft“ zwischen Deutschland und Tunesien.

Die Bundespolizei hilft mit Ausbildungsmaßnahmen zum Wiederaufbau einer funktionierenden Migrationsabwehr. In Workshops werden Techniken zur Grenzsicherung an Flughäfen und auf See weitergegeben. Allein hierfür entstehen Kosten von rund 650.000 Euro. Auch das BKA ist mit Lehrgängen präsent. Hierzu gehört das Aufspüren von Drogenschmuggel, Kfz-Kriminalität oder „Personalgewinnung von Polizeiangehörigen“. Weitere Workshops drehen sich um die verbesserte Tatortsicherung, was gemeinhin auch digitale Forensik zur Spurensicherung in Mobiltelefonen, Computern und Speichermedien beinhaltet. Im November organisierte das Amt eine Maßnahme zu Polizeistrategien auf Demonstrationen, deren Durchführung dem Bundesland Hessen übertragen wurde. Beamte des BKA haben überdies umfangreiche Nachforschungen angestellt, um Vermögenswerte und Immobilien des nach Saudi-Arabien geflohenen Ex-Präsidenten ausfindig zu machen. Die Finanzermittlungen wurden seitens Tunesien auf diplomatischem Wege über das Bundesamt der Justiz angebahnt. Trotzdem verzichtet die Bundesregierung darauf, sich gegenüber Saudi-Arabien für die Auslieferung von Ben Ali einzusetzen.

Der zweifelhafteste deutsche Beitrag zur tuneischen „Sicherheitssektorreform“ kommt jedoch von den Geheimdiensten: Der hierzulande wegen der NSU-Affäre erneut in Verruf geratene Bundesnachrichtendienst unterrichtet Schnüffler in Tunis seit letztem Frühjahr zum Thema „Nachrichtendienste in einer Demokratie“. Handfestere Beiträge steuert das Bundesamt für Verfassungsschutz bei. Der Inlandsgeheimdienst knüpft nahtlos an die Zusammenarbeit an, die das BKA unter Ben Ali eingefädelt hatte und bildet tunesische Behörden in der „Terrorismusabwehr” aus.

Weitere Workshops zum Abhören von Mobiltelefonen und Internettelefonie im Auftrag der EU

Zur Unterstützung der „Sicherheitssektorreform“ entsendet auch die EU-Kommission 14 Spezialisten für den „Informationsaustausch und technische Unterstützung“ nach Tunesien. Mit fünf Millionen Euro fördert die Europäische Union zudem ein dreijähriges Projekt namens „Euromed Police“. Polizeien arabischer und nordafrikanischer Länder sollen dadurch fit für die internationale Zusammenarbeit gemacht werden, entsprechende Maßnahmen fokussieren auf „neue Technologien und Ermittlungstechniken“. „Euromed Police“ richtet sich an Angehörige von Polizeien, quasi-militärischen Gendarmerien, Spezialeinheiten sowie auf Finanzermittlungen und Computerkriminalität spezialisierte Abteilungen. Zu den teilnehmenden Regierungen gehören Algerien, Ägypten, Jordanien, der Libanon, Marokko, Tunesien und die palästinensische Autonomiebehörde.

Einer von 18 Workshops in „Euromed Police“ widmet sich unter dem Titel „Sammeln, Speichern, Sortieren, Bewerten“ der Analyse von ermittlungsrelevanten Inhalten. Die mehrwöchige Trainingseinheit wurde von französischen Polizisten und Gendarmen geleitet. Gelehrt wurde die Verarbeitung von Fingerabdruckdaten, DNA-Informationen sowie die elektronische Analyse von Geräuschen, Stimmen und Drogen. Eine eigene Sequenz galt dem Auswerten von Computern, Mobiltelefonen und USB-Speichern. Zwei weitere Trainings drehen sich um die Kontrolle des Internet. Die behandelten Spionagewerkzeuge haben es in sich: Unterrichtet werden Techniken zum Abhören von Mobiltelefonen und Internettelefonie.

4 Ergänzungen

  1. Es war mir ganz neu, dass das Bundeskriminalamt auch außenpolitisch agiert. Umgekehrt finde ich es immer noch unglaublich, dass tunesische Akteure vor dem Weltgipfel hierzulande frei schalten und walten konnten, uns einschüchtern und obstruieren, ohne dass unsere Behörden irgendwelche Aktivitäten zu unserem Schutz erkennen haben lassen.

  2. Wäre doch interessant ob es da auch zu einem gegenläufigen Erfahrungsaustausch gekommen ist. Synergien nutzen, nennt das die Politik…

  3. Interessante kleine Anfragen kommen häufig von der Linken. Ist mir jetzt schon öfter aufgefallen.
    Kaum zu fassen, was das BKA und deren Kollegen aus dem so alles treibt… Das kann doch nicht alles erlaubt sein. „Die Maßnahmen werden mit dem Kampf gegen “Terrorismus” begründet“ Ahhhja… Terrorismus die eierlegende Woll-Milch-Sau für Rechtfertigungen der Sicherheitsbehörden. All-Assad spricht auch von Terroristen, hilft dem das BKA jetzt auch? Ah nee, das hat ja unsere beliebte Regierungscheffin Merkel selber übernommen http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2011/syrien147.html

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