Große Koalition zersplittert Datenschutz und untergräbt Grundrechte

Ausgeweitete Videoüberwachung, geschwächter Datenschutz, Freifahrtschein für den BND: Datenschützer und die Ex-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger warnen vor der Hau-Ruck-Gesetzgebung der Bundesregierung, die den Datenschutz verwässert, Rechte schwächt und zudem keine Terroristen aufhält.

Foto: Rahel Crowe unter CC0 via unsplash

In einer Marathonsitzung hat der Bundestag am Donnerstag über eine Reihe von Gesetzen beraten, die Datenschutz und Bürgerrechte massiv einschränken. Den Beginn machte am Nachmittag das sogenannte „Datenschutzanpassungsgesetz“ (pdf). Das Gesetz soll eigentlich nur das deutsche Recht an neue EU-Vorgaben wie die Datenschutzgrundverordnung anpassen, geht aber weit darüber hinaus – wie wir bereits mehrfach dargelegt haben.

Datenschutz-Reform verwässert EU-Vorgaben

Angesichts dessen warnt der Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, vor einer Zersplitterung des Rechts: „Wir müssen sehr aufpassen, dass ein bemerkenswerter Wurf wie die EU-Datenschutz-Grundverordnung nicht durch eine nationale Regelung verwässert und verschlechtert wird.“ Der Gesetzentwurf der Bundesregierung würde europäische Standards unterlaufen und Betroffenenrechte beschneiden.

Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lobte die EU-Vorgaben gegenüber netzpolitik.org ebenfalls: „Im Zeitalter der Digitalisierung ist die europäische Datenschutzgrundverordnung ein Meilenstein für den Grundrechtsschutz.“ Mit dem Gesetzentwurf setze die Bundesregierung diesen Erfolg jedoch aufs Spiel. „Dieses Versprechen macht die Bundesregierung zunichte, indem sie die Öffnungsklauseln der Verordnung ausnutzt und die Rechte der Bürger schwächt. Das Gesetz schränkt vor allem die Betroffenenrechte im digitalen Alltag ein. Bei Verwendung ihrer Daten erhalten sie keine Auskunft mehr, wenn dadurch Geschäftszwecke der Wirtschaft gefährdet würden“, bemängelte Leutheusser-Schnarrenberger.

Mit dem Gesetz würden die Betroffenenrechte auf Auskunft, Berichtigung und Löschung weit über das europarechtlich zulässige Maß hinaus eingeschränkt, kritisiert Volker Tripp von der Digitalen Gesellschaft. Ferner solle auch der Zweckbindungsgrundsatz insbesondere bei der Datenverarbeitung durch öffentliche Stellen deutlich stärker als in der Datenschutzgrundverordnung vorgesehen, aufgeweicht werden.

„Freifahrtschein“ für den BND

Zudem sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Bundesdatenschutzbeauftragte (BfDI) den Bundestag nicht mehr aktiv über ihre Kontrollen des Bundesnachrichtendienstes unterrichten darf. Stattdessen darf sie sich nur noch an ein geheim tagendes Bundestagsgremium wenden. Leutheusser-Schnarrenberger nannte das einen „Freifahrtschein“ für den BND und forderte die Bundesregierung auf, den Datenschutz endlich aus seinem Schattendasein zu befreien.

(„Verfassungswidrig!“: Was Datenschutzbehörden und Verbraucherschützer zu der Datenschutzreform sagen, haben wir bereits vor einigen Wochen zusammengefasst)

Mit der Reform des Datenschutzgesetzes wird außerdem der Weg freigemacht für eine Ausweitung der Videoüberwachung, die sogleich im sogenannten „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ (pdf) voraussichtlich in der Nacht zu Freitag beschlossen werden wird.

Videoüberwachung hält Terroristen nicht auf

„Gefahren für die Bevölkerung wird dieses Gesetz, anders als suggeriert, nicht verringern“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger gegenüber netzpolitik.org. Und warnte: „Dieses Gesetz wird insbesondere keinen zur Tat entschlossenen Terroristen abhalten. Ganz im Gegenteil: Terroristen suchen vielmehr die Aufmerksamkeit, um ihre Botschaften möglichst weit zu verbreiten. Diese wäre ihnen durch Bildmaterial gewiss.“

Ähnlich hatte sich bei der Anhörung des Innenausschusses am Montag Johannes Caspar geäußert, Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit. Caspar erklärte zudem, dass in fast allen Fällen kein Monitoring stattfinde, die aufgezeichneten Bilder also in einer Blackbox landen würden, ohne, dass sie sich jemand ansehen würde.

Die ehemalige Justizministerin bezeichnete einen Ausbau der privaten Videoüberwachung als überflüssig. Die bestehenden Regelungen würden vollkommen ausreichen. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit sei weiterhin Aufgabe des Staates und dürfe nicht an Bürger und Unternehmen ausgelagert werden.

Kommt die zentrale biometrische Datenbank aller Bürger?

Von der Öffentlichkeit – wie auch uns – weitgehend unbemerkt hat sich außerdem noch ein weiteres Gesetz in den Bundestag geschlichen. Das „Gesetz zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises“ (pdf) erlaubt den deutschen Geheimdiensten den vollautomatisierten Zugriff auf die biometrischen Passbilder aller Bürger.

Das kommt einer zentralen Datenbank mit den biometrischen Bildern aller Bürgerinnen und Bürger sehr nahe, auch wenn sich die Abfrage aus verschiedenen Datenbanken bedient. „Biometrische Daten können zu umfangreichen Persönlichkeitsprofilen verknüpft werden, wodurch zum Beispiel unschuldige Menschen auf schwarze Listen geraten können“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger gegenüber netzpolitik.org. Problematisch sei außerdem, dass es beim Zugriff auf die biometrischen Passbilder durch Geheimdienste qua Amtes keine rechtsstaatlichen Kontrollen gebe.

10 Ergänzungen

  1. „Es ist bekannt, dass die Mehrheit der Antragsteller die Aktivierung der eID-Funktion des elektronischen Personalausweises bisher ablehnte. Grund hierfür dürfte das fehlende Wissen über Nutzen und
    Anwendung dieser Funktion sein.
    “ (s.36). Meint der Normenkontrollrat, der sich aus SPD- und Unionsleuten zusammensetzt.

    Kleine Umfrage: was haltet ihr von dieser Mutmaßung?

    (Voll die Ignoranten, all die eID-Verweigerer! Har har, jetzt kriegen wir euch. Wer das Teil in Alufolie einwickelt, macht das bestimmt auch aus Unwissenheit über Nutzen und Anwendung des enthaltenen RFID-Chips.)

    1. Ausweishüllen und Brieftaschen bestellt man künftig besser bei metallverarbeitenden Betrieben.

  2. @ simon

    wisst ihr, wie die anderen eu-länder die eu-dsgvo umsetzen? gibt es da vorreiter/vorbilder für eine gute umsetzung? wäre mal interessant zu sehen, wer in zukunft „datenschutz-europmeister“ sein wird. deutschland scheint es ja nicht mehr zu sein. langsam lohnt sich wohl die auswanderung – aus datenschutzgründen. habt ihr einen favoriten mit guter eu-dsgvo-umsetzung?

    1. Da bin ich leider überfragt, aber das wäre mal eine interssante Recherche. Ich schau mal, was ich raus finde.

  3. Was wir uns hier noch Sorgen machen, im Herbst werden diese Leute wieder gewählt!
    Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche!

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