„Kreative müssen Einzelkämpfermentalität ablegen“: Interview mit Bruno Kramm zu GEMA-Urteil

Ein Urteil des Kammergerichts Berlin hat eine automatische Ausschüttung von Vergütungen der GEMA an Musikverlage für unzulässig erklärt. Im Interview erklärt Bruno Kramm, einer der Kläger, seine Beweg- und die Hintergründe des Verfahrens.

Bruno Kramm (Foto: Marquis, CC BY NC 2.0)

Bruno Kramm ist als Musiker, Komponist und Produzent für seine Band „Das Ich“ tätig. Bis September 2016 war er außerdem Landesvorsitzender der Piratenpartei Berlin, wechselte dann zu den Brandenburger Grünen und nach kurzer Zeit wieder zu den Piraten zurück. Im Interview mit netzpolitik.org geht es um ein Urteil des Berliner Kammergerichts (Az 24 U 96/14, Besprechung bei irights.info) in einem von Kramm und anderen angestrengten Prozess gegen die Musikverwertungsgesellschaft GEMA, wonach Verlage kein Recht haben, ohne weiteres an den Einnahmen aus Urheberrechten von Komponisten und Textern beteiligt zu werden.

Nachdem die Verlegerbeteiligung in den Ausschüttungen der VG Wort für rechtswidrig erklärt wurde, hat das Kammergericht Berlin auch die Verlegerbeteiligung in der GEMA für rechtswidrig erklärt. Du warst in dem Verfahren gemeinsam mit anderen der Kläger. Warum hast Du das Verfahren angestrengt?

Bruno Kramm: Das hat zwei Ebenen. Auf der persönlichen ging es darum, endlich einen Musikverleger, der sich schamlos seit den frühen 1990ern an meiner Band bereichert hat, endlich von seinen Einnahmen zu trennen. Im Gegensatz zur landläufig verbreiteten Ansicht, Urheber könnten sich ohne weiteres aus einem Verlagsvertrag befreien, ist es in der Tat sehr schwer, dem Verleger Verstöße nachzuweisen, die den Verlagsvertrag komplett beenden und die abgetretenen Rechte an die Urheber zurückfallen lassen. Der ideelle Hintergrund der Klage ist jedoch noch weit wichtiger: Mögen Musikverleger vor Jahrzehnten Hersteller von Notendruckerzeugnissen durchaus einer sinnvollen Funktion nachgegangen sein, so ist ihre außergewöhnliche Stellung innerhalb der Verwertungsgesellschaft GEMA kaum nachvollziehbar. Eine moderne Verwertungsgesellschaft die Ausschüttungen aus urheberrechtlichen Lizenzen, also Vergütungsansprüche und Nutzungsrechte vornimmt, sollte diese ausschließlich, so wie vom Urheberrecht gedacht, an die Schöpfer von Werken ausschütten.

Wie wurde denn bislang das Geld verteilt bzw. welcher Anteil ging an Musikverleger?

Bruno Kramm: Musikverleger haben sich je nach Verteilungsplan 33 Prozent bzw. 40 Prozent dieser Lizenzen gesichert und verdienen damit häufig mehr als der einzelne Textdichter oder der Komponist. Die Gegenleistung für diese Beteiligung, die wegen der urheberrechtlichen Schutzfrist bis viele Jahrzehnte nach dem Tod des Urhebers wirksam ist, fällt jedoch sparsam und schwammig aus. Die versprochenen administrativen Aufgaben wie die Abrechnung mit der GEMA kann der Urheber auch selber organisieren, und unterstützende Promotion und Werbe- und Filmkopplung sind Versprechungen, die nie garantiert werden können. Vorschüsse, die dann mit GEMA-Tantiemen verrechnet werden, bekommt man als Musiker entsprechend günstiger von einer Bank, über eine Crowdfunding-Initiative oder eben als Vorschuss von seiner Plattenfirma oder Vertrieb.

Aber sind Musikverlage nicht doch auch mit Buchverlagen vergleichbar?

Bruno Kramm: Im Gegensatz zu Buchverlagen ist der Musikverlag nicht der Produzent des finalen Produkts und kümmert sich nicht um Marketing, Herstellung und Vertrieb von Musik. Diese Aufgabe erfüllen heute für die klassische Bandkonstellation die Plattenfirmen. Dazu kommt, dass Verleger auf Grund der Quantität von Rechten innerhalb der GEMA immer mehr Möglichkeiten haben, ihre Interessen bei Verteilungsplänen und der internen Organisation der GEMA durchzusetzen. Im Gegensatz zum Urheber, der nur seinen eigenen Rechtekatalog seiner Songs hält, bringt der Verleger eben die Repertoires vieler Urheber ein und hat entsprechend gänzlich andere Schwerpunkte und Interessen. Das Ungleichgewicht ist vorprogrammiert. Unsere Klage sollte es Urhebern jetzt ermöglichen, die Arbeit ihres Verlages zu evaluieren und gegebenenfalls auszusteigen oder neu zu verhandeln. Und es bedeutet, den Verlegern Macht innerhalb der GEMA zu entziehen, zu Gunsten von Urheberinnen und Urhebern.

Was genau sind jetzt die Folgen der Entscheidung für Kunstschaffende, also für Textdichter, Komponisten und ausübende Künstler?

Bruno Kramm: Urheber können jetzt endlich evaluieren, ob die so oft zitierte Symbiose wirklich stimmt. Ist mir die Arbeit meines Verlegers wirklich 33 Prozenr bzw. 40 Prozent wert? Möchte ich kürzere Laufzeiten, um dann immer wieder neu zu verhandeln? Oder hätte ich gerne einen opulenten Vorschuss für die bisher eingeräumten Rechte, da ich mich als Urheber heute besser einschätzen kann? Oder will ich vielleicht in Zukunft ganz ohne Verleger arbeiten? Alles wesentliche Fragen, die mit der Lebensrealität von Kreativen heute zusammenfallen. Der digitale Wandel hat eigentlich alles auf den Kopf gestellt. Zwar hat jeder Musiker heute mannigfaltig mehr Möglichkeiten, sich selbst via Internet zu vermarkten, und auch die Produktionsmittel wurden günstiger, aber gleichzeitig existiert heute ein viel größerer Wettbewerb, Verdrängung und Aufmerksamkeitsökonomie. Somit müssen gerade Urheber, die von ihren Schöpfungen leben, die Möglichkeit haben, über die Wertschöpfungskette selbst zu bestimmen.

Was bedeutet das ganz konkret?

Bruno Kramm: Praktisch bedeutet das Urteil folgendes: Um nicht die Ansprüche aus dem Jahr 2013 verjähren zu lassen, sollte jeder Musiker mit GEMA- und Verlags-Vertrag per eingeschriebenem Brief an die GEMA am besten vor Weihnachten eine Verjährungsverzichtserklärung einfordern, ebenso natürlich die Aufstellung und Rückforderung von an Verlage ausgeschütteten Anteilen aus allen Verteilungsarten (Nutzungsrechte und Vergütungsansprüche). Die Piratenpartei hat auch eine Seite online gestellt, um mit unserem Anwalt für ein weiteres Prozedere in Kontakt zu treten. Man darf nicht vergessen, wir reden hier von ungefähr zwei Milliarden Euro Rückforderungen. Mit einem bekannten HipHop-Artist aus Deutschland habe ich vor wenigen Tagen eine mögliche Rückforderungssumme von 1,5 Millionen Euro nur für sein Repertoire errechnet.

Bist Du mit dieser Entscheidung zufrieden?

Bruno Kramm: Ich bin über das Urteil sehr froh, denn nicht nur Vergütungsansprüche (Pauschalabgaben für Medien aller Art), sondern auch Nutzungsrechte (Aufführungs- und Senderechte, mechanische Rechte) wurden uns vom Kammergericht zugesprochen. Im Zuge des VG-Wort-Urteils des BGH wähnten wir uns in Sachen Vergütungsansprüche schon auf der sicheren Seite. Aber die Nutzungsrechte sind natürlich der weit größere Anteil. Ebenso bin ich froh über die Verpflichtung der GEMA, über die an Verleger ausgeschütteten Beträge Auskunft zu erteilen.

Es gibt aber auch heftige Kritik am Urteil, in der SZ ist von einem „fatalen Urteil“ die Rede, mit existenzbedrohenden Folgen, insbesondere auch für Klassikverlage. Letztlich sei den Urhebern mit dem Verfahren ein „Bärendienst erwiesen“ worden. Was kannst Du dem entgegenhalten?

Bruno Kramm: Natürlich mag das Urteil für so manchen Verlag, der es sich auf dem Rücken von Urhebern jahrzehntelang gutgehen ließ, niederschmetternd sein. Dennoch ist die Einschätzung des SZ-Redakteurs vollkommen falsch. Die Neue Musikzeitung, ein Branchenblatt der Jazz- und Klassikszene, kam entsprechend auch zu einer komplett anderen Einschätzung. Wer mit der Arbeit seines Verlages zufrieden ist, kann jederzeit durch einen entsprechenden Zusatz zum Verlagsvertrag den alten Status aufrechterhalten. Wer wirklich ein vertrauensvolles, symbiotisches Verhältnis zu seinem Urheber hatte, braucht dieses Urteil dann auch nicht zu fürchten.

Die GEMA hat bereits eine umfangreiche Seite online gestellt, in der die Vorgehensweise dokumentiert ist, wie man seinem Verlag die alte Rechtssicherheit gibt. Skandalös finde ich nur, dass die GEMA, die eigentlich in erster Linie die Interessen der Urheber wahren sollte, in keinem einzigen Satz darauf eingeht, dass Urheber jetzt die einmalige Möglichkeit haben, die Arbeit ihres Musikverlegers zu bewerten und gegebenenfalls entweder die weitere Zusammenarbeit ablehnen oder zumindest neu verhandeln zu können. Aus diesen Dokumenten spricht die ganze aktuelle Fehlkonstruktion. Die GEMA vertritt zum allergrößten Teil nur die Interessen der Musikverleger.

Andererseits ist es so, dass die Rechtswidrigkeit der Verlegerbeteiligung mit mangelnder rechtlicher Grundlage begründet wurde. Jetzt ist aber bereits eine „Reparatur“ des Urheberrechtsgesetzes in Vorbereitung, die Verlegerbeteiligungen wieder legalisieren sollte. War damit das Urteil nicht letztlich ein Pyrrhussieg, aus dem die Verleger sogar gestärkt hervorgehen?

Bruno Kramm: Leider hat sich hier das „Teile und Herrsche“ längst durchgesetzt. Urheber aller Sparten und Genres haben es nie verstanden, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren. Demgegenüber ist die Verbandsstruktur von Verlegern und Verwertern unglaublich gut in die Legislative vernetzt. Nicht umsonst betreibt die GEMA in Berlin und Brüssel umfangreiche Büros zur politischen Kommunikation. Erst letzte Woche wurden wieder Mitglieder des Bundestags und Mitarbeiter der Fraktionen zu einem Brunch eingeladen, um die Symbiose von Urheber und Verlag zu beschwören. Und kürzlich ging ein neuer Änderungsantrag zum VG-Gesetz in den Bundestagsbüros ein, der ohne Lesung durchgepeitscht werden soll, um dann am 16. Dezember durch den Bundesrat zu laufen.

Worum geht es in diesem Änderungsantrag?

Bruno Kramm: In diesem Antrag wird in einer Art Kuhhandel ein bisschen Positives im Sinne des Urhebervertragsrechtes zu Gunsten einer Verlegerbeteiligung im VG-Gesetz eingearbeitet. Das bedeutet dann: Rechte können mehrfach bei Verwertungsgesellschaften eingebracht werden. Im Falle VG Wort könnte man vor dem Europäischen Gerichtshof mit guten Aussichten dagegen streiten, im Falle der GEMA nur gegen die Verfassungsrechtmäßigkeit mit wohl mäßiger Aussicht. Skandalös, wie dieses so wichtige Thema unter Ausschluss der Öffentlichkeit einfach durchgedrückt wird. Bevor der große Teil der Musiker überhaupt weiß, worum es geht, wurde auf ihrem Rücken und zu ihren Ungunsten bereits Tabula Rasa gemacht. Gerade die Koalition macht eigentlich in Sachen Urheberrecht all das, was ihr GEMA, Börsenverein und andere Verwerterlobbys diktieren. Dazu kommt, dass die klassischen Medien und Zeitschriften kaum über die Reichweite unseres Urteils berichtet haben.

Also wahrscheinlich doch keine nachhaltige Wirkung des Urteils?

Bruno Kramm: Natürlich hat das auch mit den Verlagsinteressen großer Zeitungen zu tun, denn ein Eingestehen der unrechtmäßigen Musikverlegerbeteiligung würde auch sofort die gleiche Legitimation im VG-Wort-Streit bedeuten und das berechtigte Interesse von Autoren stärken. Appellieren kann ich hier nur an eines: Kreative aller Branchen, solidarisiert Euch! Egal ob Blogger, Musiker, Programmierer oder Autor, jede Gruppe sollte sich solidarisch mit den anderen Kreativen gegenüber den Verwerterstrukturen aufstellen, um langfristig den gordischen Digitalknoten zu lösen. Sonst wird von Leistungsschutzrecht bis Urheberrechtsreform alles weiterhin im Sinne der Verwerter ausgelegt. Wir Kreative müssen uns endlich aus unserer Einzelkämpfermentalität befreien – so schwer es uns auch fallen mag, sonst bleibt jeder kleine Sieg, egal ob vor einem Kammergericht oder EUGH, nur ein Pyrrhussieg.

3 Ergänzungen

  1. Die „freiwillige Vereinbarung“ die GEMA zur Verfügung gestellt hat, ist in der Tat ein Skandal. Es wundert mich, dass dies nicht breiter öffentlich thematisiert und skandalisiert wird. Auch mit sonst viel Wohlwollen gegenüber dem Grundgedanken der GEMA, der vorgeschlagene Vordruck zur „freiwilligen“ Geldabtretung an die Verleger, zeigt leider in erschreckender Weise , wie die Verleger die Funktion der GEMA und die Geisteshöhe der Mitglieder einschätzen. Die GEMA als Beute eigener Interessen und die Mitglieder als primitive Nullchecker den man so einen heftig unverschämten Wisch unterjubeln kann. Pfui.

  2. Die Urheber sollen erstmals seit 50 Jahren das bekommen, was ihnen gehört, und dass ihre Verwertungsgesellschaften sie jahrzehntelang um bis zur Hälfte der ihnen zustehenden Vergütung gebracht haben. Mit Unterstützung der Gewerkschaften und Verbände die eigentlich die Rechte ihrer Mitglieder vertreten sei dies geschehen schreibt Dr. Martin Vogel in einer Stellungnahme | https://tinyurl.com/z32yrjy | Merkwürdigerweise lässt sich im nachhinein der ein oder andere Verbandschef aber nun gerne als Vorreiter und Kämpfer für Autorenrechte feiern, obwohl die Urheber es ausschliesslich dem Engagement von Herrn Dr. Vogel und seiner Klage zu verdanken haben, die er auf den Weg gebracht hat um diese unhaltbaren Zustände zu ändern. Gewerkschaften und Verbände sollen mit Nachdruck für eine Beibehaltung der für rechtswidrig erklärten Verlegerbeteiligung ausgesprochen haben. Zitat – „Verwertungsgesellschaften mit Verlegerbeteiligung vertreten eben nicht deren Interessen, sondern mit dem Geld der Urheber die massiv die der Verleger.“

  3. DIE GEMA IST KEINE FIRMA – DIE GEMA SIND WIR KOMPONISTEN; TEXTER; BEARBEITER UND AUCH VERLEGER
    Dieses Urteil bringt nur Bruno Kram und seinen politischen Interessen und Freunden etwas. Ich denke sogar, er hat hier mit dem Anwaltsverein einen Deal ausgemacht und verdient sogar an diesem Urteil. Warum ich das sage? Nun, Die GEMA wurde von Komponisten und Textern gegründet. Die haben auch in einer ordentlichen Mitgliederversammlung darüber abgestimmt, ob Verleger der GEMA beitreten können. Als Gleichgestelltes Mitglied. Denn viele Komponisten und Texter sind ja selbst auch Verleger. Verlierer sind kleine und mittlere Verlage. Denn wenn es um Geld geht, hört bei Künstlern die Freundschaft auf. Wer also etwas zurück fordern kann, der wird das tun. Ob ein Verlag gut gearbeitet hat oder nicht. Denn kein Komponist oder Texter wurde zu einer Unterschrift unter dem Verlagsvertrag gezwungen. Jeder hat hier Vorteile für sich gesehen. Und die meisten kleinen Verlage sind auch Label. Ich selbst bin Komponist, Texter, Bearbeiter und Verleger. Dieser Karrieresüchtige Politier Kram von der Piratenpartei hat uns allen nur geschadet. Er hätte ja z.B. vor seinem Gang zum Gericht, in der jährlichen GEMA Mitgliederversammlung die Mitglieder mal fragen können. Ob die Mehrheit so ein Urteil will. Aber aus egoistischem Eigeninteresse hat er das nicht gemacht. Das sagt ALLES. Es ist ein Witz, dass ein Einzelner für Alle spricht. Er gehört auf jeden Fall in die Äcker der Populisten und nicht der Komponisten!

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