250 Jahre Pressefreiheit: Das freie Wort muss immer verteidigt werden!

Die Pressefreiheit wird heute 250 Jahre alt. Der stellvertretende Botschafter Schwedens erinnert in einem Gastbeitrag an das erste Pressefreiheitsgesetz der Welt und die weltweit zunehmende Bedrohung grundlegender Rechte und Freiheiten.

Schirme erinnern an eine Protestbewegung in Hong Kong. Auch dort ist die Pressefreiheit stark unter Druck. Foto: CC-BY 2.0 Studio Incendo

Dies ist ein Gastbeitrag von Staffan Hemrå. Er ist stellvertretender Botschafter (Chargé d’Affaires a.i.) der Schwedischen Botschaft in Deutschland.

Heute feiern wir 250 Jahre Pressefreiheit. Am 2. Dezember 1766 verabschiedete der Schwedische Reichstag das weltweit erste Pressefreiheitsgesetz, durch das die Zensur gedruckter Texte abgeschafft und das Recht der Allgemeinheit auf Zugang zu öffentlichen Dokumenten und zur Teilnahme an politischen Debatten gestärkt wurde. Das Pressefreiheitsgesetz war ein entscheidender Faktor für die Entstehung unseres modernen Wohlfahrtsstaates.

Das schwedische Gesetz war zu seiner Zeit einzigartig. Sein Wortlaut wurde von Reichstagsmitglied Anders Chydenius aus Karleby formuliert – noch vor der Verfassung der Vereinigten Staaten, die das Recht aller ihrer Bürger auf freie Meinungsäußerung festschrieb.

Die Meinungsfreiheit hat Schweden gutgetan. Das freie Wort ist nicht nur eine Voraussetzung für Demokratie, sondern auch ein Garant für die Entwicklung einer Gesellschaft. Eine freie Entfaltung von Ideen und Meinungen, gepaart mit Debatte und kritischer Prüfung, bilden die Basis für Ideenreichtum und Innovationen.

In Schweden haben die Bürger durch das Öffentlichkeitsprinzip das Recht auf Einsicht in und Zugang zu Informationen, die sich im Besitz von Behörden befinden. Auf diese Weise können einzelne Personen und Journalisten die Staatsgewalt und die vom Volk gewählten Politiker kontrollieren. Bei uns hat dieses Prinzip, das von zentraler Bedeutung für unsere Rechtsordnung ist, dazu beigetragen, dass es in Schweden nur wenig Korruption und ein hohes Maß an Vertrauen für demokratische Institutionen gibt. Es steht außer Zweifel, dass die offene Gesellschaft die Grundlage für Wirtschaftswachstum und Wohlstand in unserem Land bildet.

Weltweit zunehmende Bedrohung grundlegender Rechte und Freiheiten

Doch während wir die Meinungsfreiheit feiern, beobachten wir auf der ganzen Welt leider auch eine zunehmende Bedrohung grundlegender Rechte und Freiheiten. Vielerorts erleben wir eine verstärkte Einschränkung des demokratischen Spielraums. Stimmen werden zum Schweigen gebracht und Informationen im Dienste der Öffentlichkeit begrenzt. Restriktive Rechtsvorschriften richten sich gegen Journalisten und Verfechter von Menschenrechten. Bedrohungen und Belästigungen stehen immer häufiger auf der Tagesordnung, und eine beunruhigende Statistik der UNESCO zeigt, dass in den vergangenen zehn Jahren über 800 Journalisten getötet worden sind. Überdies wird nur ein Bruchteil der Täter zur Rechenschaft gezogen.

Die Sicherheit von Journalisten ist eine Voraussetzung für eine freie Debatte. Denn was passiert mit einer Gesellschaft, die keinen Zugang zu freien und unabhängigen Medien hat? Was passiert mit Wissen, wenn Informationen an Auflagen geknüpft sind? Welche Konsequenzen ergeben sich aus einer uninformierten Öffentlichkeit?

Wir brauchen ein Bewusstsein für die Vorteile der Meinungsvielfalt

In Schweden und Deutschland haben die Menschen Zugang zu freien und unabhängigen Medien. Dennoch sehen wir uns nie dagewesenen Herausforderungen gegenüber. In der Anonymität des Internets erleben wir, wie schnell Meinungsäußerung die Grenze zum Hasskommentar überschreiten kann. Wir erleben auch, dass es im Netz eine Tendenz gibt, sich mit Gleichgesinnten in einer Filterblase einzuschließen – dies geschieht teilweise bewusst, teilweise unbewusst durch die Algorithmen von Suchmaschinen und sozialen Medien. Vor diesem Hintergrund benötigen wir ein gestärktes Bewusstsein für die Vorteile von Meinungsvielfalt und das Recht eines jeden auf freie Meinungsäußerung, müssen uns aber gleichzeitig auf einen respektvollen Rahmen zum Meinungsaustausch einigen.

Im Fall Böhmermann konnten wir dieses Jahr erleben, wie sich große Teile der deutschen – ja der europäischen – Bevölkerung in einer politischen, juristischen und gesellschaftlichen Debatte über die Grenzen der Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit engagierten und wie schwierig und dennoch wichtig eine gesellschaftliche Debatte für das Ausloten dieser Frage ist. Nicht zuletzt deswegen erwarten wir im Januar mit Spannung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu einem möglichen Parteiverbot der NPD, das auch die Frage berühren wird, ob die Meinungsfreiheit sogar solche Meinungen schützt, die die Meinungsfreiheit ablehnen.

Das freie Wort muss immerfort verteidigt werden!

Die obigen Beispiele machen deutlich, wie wichtig es ist, Presse- und Meinungsfreiheit nicht als gegeben hinzunehmen. Das freie Wort ist ein wichtiges Prinzip, auf das wir stolz sind und das wir schützen. Es hat eine Tradition, die es wert ist, verteidigt zu werden.

Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren globalen Nachhaltigkeitszielen stellt eine positive gesellschaftliche Entwicklung dar. Das Teilziel 16.10 fordert dazu auf, den öffentlichen Zugang zu Informationen zu gewährleisten und die Grundfreiheiten zu schützen, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und völkerrechtlichen Übereinkünften. Unseres Erachtens ist das ein sehr wichtiges Ziel in unserem Streben nach einer weltweit nachhaltigen Entwicklung.

Der 250. Jahrestag des schwedischen Pressefreiheitsgesetzes erinnert uns an den langen Weg, den wir gegangen sind, um die Meinungsfreiheit zu fördern. Das freie Wort ist ein Prinzip, das nie als Selbstverständlichkeit betrachtet werden darf. Es muss immerfort verteidigt werden! Wir hoffen, dass der 2. Dezember den Auftakt für ein neuerliches Engagement bildet. Mögen sich mehr Menschen für eine freie gesellschaftliche Debatte einsetzen und auch weiterhin diskutieren, prüfen und kritisieren.

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11 Ergänzungen

  1. “In Schweden und Deutschland haben die Menschen Zugang zu freien und unabhängigen Medien.” – Sagen wir mal, wir haben Internet, und ansonsten in Deutschland Zugang zu vom Geld abhängigen “Qualitätsmedien”.

    Die Pressefreiheit ist tatsächlich ein hohes Gut. Und deshalb muss die “freie Welt” endlich handeln, und die Länder unter Druck setzen, die sie mit Füssen treten: Saudi Arabien, Katar und jetzt auch die Türkei.

    Einen Bonuspunkt für fantasiereiche Argumentation gibts von meiner Seite mal für die direkte Kombination des “respektvollen Rahmens zum Meinungsaustausch” und Böhmermann ;-) Wenn dieser Satiriker etwas gezeigt hat, dann dass es gerade nicht um einen “respektvollen Rahmen zum Meinungsaustausch” geht, sondern weiter um Freiheit!

  2. Einen Bonuspunkt könnte die “Freie Welt” sammeln, wenn sie sich für Pressefreiheit in Mauretanien einsetzt. Dort – in der grössten Sklavenhalter-Gesellschaft der Welt – hilft der Europarat (dem auch Schweden angehört) dem islamistischen Regime im Rahmen der “Cybercrime Convention” gerade, das Internet zu zensieren und mit Überwachungstechnologie Dissidenten aufzuspüren, siehe https://www.coe.int/en/web/human-rights-rule-of-law/2015-news/-/asset_publisher/8X0wvBBc60he/content/cybercrime-octopus-review-of-cybercrime-legislation

    Mauretanien liegt übrigens zwischen dem Uran- und Goldland Mali und der Küste, an der die Schiffe anlegen müssen, um die Rohstoffe abzutransportieren.

  3. Die Pressefreiheit ist ja zu aller erst dazu gedacht, regierungskritische Medien zu schützen. Sie ist weniger dazu gedacht, die Untaten der regierungsnahen Medien vor Kritik zu schützen.

  4. Und Tagesschau.de?
    Dort wird die Kommentarfunktion meist nicht mal eröffnet und wenn sich zuviele Meinungen entwickeln, das ist ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit!

  5. Meinungen sind nur in einer freien Gesellschaft frei. In einem System aus Nachrichtendiensten ist das quasi unmöglich.

  6. Das ist alles gut und richtig (fast), aber der Fall Böhmermann ist für mich nicht signifikant. Ich möchte einmal wissen, was jemand denkt und fühlt, wenn er auf die bekannte Weise von Böhmermann „schwerst beleidigt“ wird- oder wie soll man solche üble Sprache wie bekannt nennen (?). Da hilft es m.M. auch keineswegs, wenn vorab auch mehrfach „Satire,…“ verlautbart wird. Erdogan ist ein inakzeptabler Unsympat, aber in einer freien Gesellschaft MUß er die gleichen Rechte wie ein Normalbürger haben. Das unterscheidet uns ja gerade von einem Staat wie z.B. die Türkei (heute noch).-

  7. Eine freie Meinung eines freien Bürgers, frei geäußert in einem freien Land der Freien Welt – ein hohes Gut?

    Eine freie Meinung ist nichts Besonderes, denn in keinem System ist es verboten, eine Meinung zu haben. Es ist auch in keinem System verboten, seine Meinung zu äußern.

    Ebenso wird in allen Systemen der Bürger nach seiner Meinung beurteilt, eingestuft und behandelt, was sehr unterschiedlich sein kann. Aber auch in diesem Staat stehen nicht alle Türen für jeden Meinungsträger gleichermaßen offen – also nix mit freier Meinung ohne Konsequenzen.

    Anders die Meinungsäußerung. Sie ist in diesem Staat frei, d.h. sie ist nicht mit Konsequenzen belegt, weil sie erwünscht ist, je ehrlicher und je öfter, umso besser. Denn je genauer und umfassender die Meinungen der Bürgerinnen und Bürger bekannt sind, umso leichter sind diese zu steuern.

    Das ist in jedem Staat so. Nur müssen andere Systeme dafür Aufwand treiben mit einer Schar von behördlichen und informellen Mitarbeitern, um an die zurückgehaltenen Meinungen heranzukommen. In diesem System jedoch brauchen die staatlichen und wirtschaftlichen Organe die frei und offen geäußerten Meinungen nur einzusammeln. Aber meine westdeutschen Schwestern und Brüder haben das schon vor Jahrzehnten erkannt und sich darauf eingestellt.

    Mir ist nämlich in den 90er Jahren aufgefallen, daß sie sehr einsilbig wurden, wenn ich sie nach ihrer politischen, ideologischen oder wirtschaftlichen Meinung gefragt habe. Nur meine ostdeutschen Schwestern und Brüder prusteten ihre ehrliche Meinung in die propagierte neue Freiheit hinaus, was ihnen durchaus nicht zum persönlichen Vorteil gereichte.

    Ganz anders die klugen Wendehälse. Die haben sich schnell und erfolgreich linientreue Meinungen zugelegt – sie waren ja aus zurückliegenden Zeiten darin geübt.

    Das hohe Gut der Freien Meinung? Sie ist, wie alles andere in diesem Staat, auch nur Mittel zum Zweck.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.