Kanzlerin Merkel verspricht: „Alle Materialien aus dem Kanzleramt und vom BND werden dem NSAUA zugeliefert“

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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diese Woche versprochen, dass der Geheimdienst-Unterschungsausschuss alle Materialien aus dem Kanzleramt und vom BND erhalten werde. Das ist überraschend, weil das Kanzleramt bisher mauerte und Aufklärung verhinderte. Wir haben die beiden Obleute der Opposition um eine Bewertung des Versprechens befragt.

Es ist diese Woche etwas untergegangen, was Angela Merkel am Montag während einer CDU-Pressekonferenz nach der Bremen-Wahl erzählte:

„Alle Materialien aus dem Kanzleramt, und zum Teil ist das ja noch im Prozess, auch vom BND, werden diesem Untersuchungsausschuss zugeliefert, das ist für uns eine Selbstverständlichkeit“.

Das Überraschende an diesem Statement war die Klarheit, mit der Merkel etwas als eine Selbstverständlichkeit ausdrückte, was bisher nicht der Realität entspricht. Denn bisher mauerte die Bundesregierung und hier insbesondere das Bundeskanzleramt bei allem, was zu mehr Aufklärung im Rahmen des Geheimdienst-Unterschungsauschuss führen könnte. Und genau deshalb sollte man dieses Zitat nicht übersehen, sondern Angela Merkel zukünftig an ihren eigenen Aussagen messen. In diesem Fall ist das praktischerweise aufgezeichnet worden: MP3 (Original von Falk Steiner bei Soundcloud):


Wir haben das Versprechen genutzt, um die beiden Obleute der Opposition im Geheimdienst-Untersuchungsauschuss um eine Bewertung zu bitten. Martina Renner von der Fraktion Die Linke und Konstantin von Notz von der Fraktion Bündnis 90/die Grünen haben unsere Fragen beantwortet.

1. Haben Sie derzeit schon das Gefühl, alle Materialien zu erhalten?

Martina Renner:

„Wir stellen ständig fest, dass Akten unvollständig sind oder zu seien scheinen. Einige Beweisbeschlüsse sind bis heute nicht erfüllt, obwohl sie teilweise noch aus dem letzten Jahr sind. Aber wir haben auch regelmäßig Diskussionen mit den anderen Fraktionen darüber, ob wir spezifische Beweisbeschlüsse noch ergänzend fassen sollten, weil wir bestimmte Akten zwar schon durch allgemeinere Beschlüsse beigezogen (= beantragt) haben, wir durch konkretere Anträge aber nochmal nachfassen könnten. Der bekannteste davon ist aktuell der Beschluss BND 26, der das Selektoren-Thema auf die Tagesordnung gebracht hat. Gerade in der letzten Ausschuss-Sitzung hat ein Zeuge wieder berichtet, sich mit Materialien vorbereitet zu haben, die wir nicht haben.“

Konstantin von Notz:

„Wir haben immer wieder betont, dass aus unserer Sicht die Bundesregierung alle Register zieht, um uns wesentliche Informationen vorzuenthalten. Der Umfang der Schwärzungen in Akten, die vollständige Herausnahme von Unterlagen aus unseren Akten, die Konsultationsverfahren mit den USA belegen von Beginn an den Willen der Bundesregierung, uns zu behindern und eben nicht vollständig zu informieren. Wir hatten bereits mehrfach Fälle, bei denen Akten überraschend auftauchten, die bereits lange hätten vorgelegt werden müssen. In einigen Fällen nehmen wir es der Bundesregierung auch nicht ab, dass es keine Akten (mehr) gibt, weil es vor dem Hintergrund der Verwaltungsgrundsätze der Aktenklarheit und Aktenvollständigkeit nicht vorstellbar wäre.“

2. Glauben Sie den Aussagen, demnächst mehr zu erhalten, wenn Sie bisher nicht das Gefühl hatten, alles zu erhalten?

Martina Renner:

„Das wäre gut, aber ich bin ziemlich skeptisch.“

Konstantin von Notz:

„Wir hoffen sehr, dass das Wort der Kanzlerin noch etwas gilt, die ja vor wenigen Tagen angesichts der Selektorenlistenfunde vollständige Aufklärung zugesagt hatte. Wenn man jetzt dem Ausschuss aufgrund dessen Arbeit diese Selektoren angeblich überhaupt erst gefunden wurden, diese vorenthalten will, ist Frau Merkel nicht Teil der Aufklärung, sondern der Vertuschung.“

3. Ist es für Sie eine Selbstverständlichkeit, alle Materialien zu erhalten?

Martina Renner:

„Juristisch ist die Lage ganz eindeutig: der Untersuchungsausschuss hat das Recht, die Akten zu erhalten und die Bundesregierung hat die Pflicht, die Akten vollständig zu liefern. Soweit einschlägig greift u.U. ja auch die Geheimschutzordnung des Bundestages. Insofern ist das völlig selbstverständlich. Ich bewundere durchaus die Kreativität der Regierung, immer wieder Akten zu ‚finden‘, die längst beantragt wurden, und wie das jedesmal sehr lapidar als Versehen deklariert wird.“

Konstantin von Notz:

„Die vollständige Erfüllung der Beweisanträge des Ausschusses ist gesetzlich vorgegeben durch das Untersuchungsausschussgesetz.“

4. Definieren Sie Selektoren auch als „Material vom BND“?

Martina Renner:

„Natürlich. In dem Moment, wo die Selektoren in die Erfassungssysteme des BND eingespeist werden und dazu genutzt werden, vom BND abgehörte Kommunikationen auszuwählen, sind sie BND-Material. Dass uns die Originaldaten der NSA vorgelegt werden, ist kaum zu erwarten. Dabei würden diese doch auch Rückschluss darauf zulassen, wer diese wie in Empfang genommen und anschließend in das System des BND eingespeist hat, sprich die Augen davor verschlossen hat, was die NSA eigentlich will und macht.“

Konstantin von Notz:

„Es geht weniger um eine eigentumsanaloge Frage, sondern darum, ob diese Listen rechtlich besehen dem Untersuchungsausschuss vorgelegt werden müssen. Weil die Selektoren in Verfahren des BND eingesetzt werden, die untersuchungsgegenständlich sind, ist die Vorlage aus unserer Sicht rechtlich zwingend, zumal die missbräuchliche Nutzung bestimmter Selektoren gegen Geist und Inhalt der Abkommen mit der NSA verstößt, auf deren Grundlage Frau Merkel konsultieren möchte. Das ist widersprüchlich.“

Wir sind ja ebenso skeptisch. Aber wir messen Angela Merkel gerne an ihrem Versprechen!

Update: Wie Peter Piksa auf Twitter anmerkte, müssen wir vielleicht erstmal klären, wie die Kanzlerin das Wort „Alle“ definiert.

9 Ergänzungen

  1. Darin sehe ich kein Problem: die wichtigen Dingen werden eben ausgeschwärzt. Ist ja mittlerweile ein beliebtes, erprobtes und erfolgreiches Modell.

  2. Keiner hat die Absicht, die PKW-Maut einzuführen!

    >> Alle Materialien aus dem Kanzleramt und vom BND werden dem NSAUA zugeliefert.

    Leider geschwärzt bzw geschreddert. Muahahahahahaha!

  3. Merkt das denn keiner wie uns die Regierung immer verarscht???

    alle Materialien
    aus dem Kanzleramt
    Da wird doch nichts gelagert.

    vom BND
    NSA-Selektoren sind von der NSA, nicht vom BND. Wie einer der Obleute das interpretiert interessiert doch die Regierung nicht.

    Alle Materialien, ohne Einschränkung, persönlich aus den Archiven geholt, selbst untersucht ob noch anderes interessantes dort zu finden ist wäre notwendig. Bei jedem Kleinkriminellen wäre doch sofort Haussuchung gehalten worden. Wann wird der BND, das Kanzleramt und die Büros und Privatwohnungen der Politiker und Agenten durchsucht? Normales Vorgehen bei jeder Ermittlung. Warum heißen die Täter eigentlich Zeugen oder nichtmal das?

    1. ungleich alle Materialien *des* BND ungleich der Materialien *von* der NSA…Zu überspezifischen Dementi kommen nun also noch überspezifische Ankündigungen:-) Ich würde mir wünschen, dass Frau Merkel sich daran messen lassen muss, aber leider ist der sprachliche Ausweg schon mit einem fetten EXIT-Schild markiert.

  4. „[…] „Wir hoffen sehr, dass das Wort der Kanzlerin noch etwas gilt, die ja vor wenigen Tagen angesichts der Selektorenlistenfunde vollständige Aufklärung zugesagt hatte. […]“

    Wann hat denn das Wort der Kanzlerin jemals etwas gegolten? „Murksel, die Heimsuchung“ lügt doch schon, wenn sie „guten Morgen“ sagt. Ich wiederhole mich gern: Diese Frau ist (noch) – gleich nach dem GröFaZ – die schlimmste Heimsuchung, welche dieses Land ertragen musste!

  5. „Deutschland geht es gut“

    Man solle die Aussagen der Kanzlerin einer Realitätsprüfung unterziehen.
    Mir ist keine Aussage dieser Frau bekannt, die sich bewahrheitet hätte.
    Das fängt mit angeblich sicheren Castortransporten an, die später von der Polizeigewerkschaft gestoppt werden mussten und zieht sich bis heute fast geschlossen durch.
    Man sollte einmal ein Blog initiieren, ähnlich der Plattformen für copy und past Doktorarbeiten, und die Aussagen Merkels mit der Wirklichkeit vergleichen.

    Befürchte aber, dass da nicht viel mehr als ein Dictonany für Neusprech herauskommt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.