Medienkompetenz, quo vadis? Teil IV: Jugendmedien-Staatsvertrag – Same Shit, Different Try

kindernetDer letzte Versuch, den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) zu novellieren – alias „Kindernet“ -, ist gründlich gescheitert. Es gab eine Vielzahl an Kritikpunkten, ein zentraler davon war eine impraktikable geplante Alterskennzeichnung für Internetinhalte, die auch mit einem Inhaltsfilter verbunden gewesen wäre – eine guten Grundlage für spätere Internetzensur im Allgemeinen. 2010 hatte sich der Landtag NRW gegen den Entwurf für eine Neuregelung gestimmt, es gilt also weiterhin die Version aus dem Jahr 2003, mit kleineren Updates aus dem Jahr 2009. Es gab zwar einige Versuche, neue Anläufe zu einer umfangreichen Novellierung zu starten, aber erfolgreich war bisher keiner davon. Jetzt soll ein neuer Versuch starten, unterstützt von einer öffentlichen Onlinekonsultation.

Einen Vorentwurf, der durch die Landesbehörden gegangen ist, gibt es schon und er verheißt nichts Gutes. Aus den Fehlern von damals hat man wohl nichts gelernt und sie teilweise noch weiter ausgebaut.

Internet-SendezeitDie Alterskennzeichnungen sind wieder da

Die Altersfreigaben nach freiwilliger Selbstkontrolle werden auf „unveränderbare Fassungen von Filmen und Spielen in Telemedien, die wie Filme und Spiele auf Trägermedien vorlagefähig sind“ ausgeweitet. Bisher galten sie nur für Medien, die im Internet quasi identisch mit auf anderen Datenträgern vorhandenen Inhalten waren.

Bisher sind außerdem alle Anbieter von potentiell jugendgefährdenden Inhalten verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Kinder oder Jugendliche im betreffenden Alter diese nicht wahrnehmen. Als umzusetzende Maßnahmen werden dazu im §5 des bisherigen JMStV „technische oder sonstige Mittel“ oder Zeitschranken genannt. Das soll nun darauf erweitert werden, dass die Alterstufen „ab 12“ und „ab 18“ in einer Art und Weise gekennzeichnet werden, die für ein Jugendschutzprogramm automatisch auslesbar sind. Doch das eigentliche Problem ist nicht die Deklaration an sich, sondern ein anderes: Wie soll jemand, der Onlineinhalte bereitstellt, überhaupt beurteilen, für welche Altersgruppen sein Angebot angemessen ist?

„unveränderbare Fassungen von Filmen und Spielen in Telemedien, die wie Filme und Spiele auf Trägermedien vorlagefähig sind“

Die obige Formulierung für betroffene Inhalte ist hochgradig verwirrend und hilft kaum, die mangelnde Definitionslücke von „Trägermedien“, die vom Jugendschutzgesetz reguliert werden und „Onlinemedien“, die bereits bisher unter den JMStV fielen, zu schließen. Denn „unveränderbar“ dürfte auf so ziemlich gar nichts an digitalen Medien im Netz zutreffen, es sei denn man schränkt Weiterverwertung und Remixe noch weiter ein als sowieso schon. Man denke nur an Mods für Spiele, da wäre zum Beispiel ein in Gänze als jugendgefährdend einzuordnendes Forum, dass sich ausschließlich mit Nackt-Mods für Computerspiele beschäftigt

fsk12Selbsteinschätzung bringt Probleme und Unsicherheiten mit sich

Doch neben der Unsicherheit über angemessene Altersschranken entsteht ein unglaublicher Aufwand. Das kann man schon bei einem Gedankenspiel am Beispiel unseres Blogs merken: Sollen wir unser Angebot erst ab 12 Jahren freigeben, weil es manchmal Berichterstattung zu Themen wie Kinderpornos und Extremismus gibt? Und was machen wir mit den Redtube-Abmahnungen? Dadurch, dass wir im Zuge der Berichterstattung explizit die Domain einer Seite mit pornographischen Inhalten nennen, dürften diese Artikel doch nur ab 18 zugänglich sein, oder nicht? Abgesehen davon, dass der wissenschaftliche Hintergrund der Altersschranken fraglich ist. Immerhin ist jedoch geplant, Fehleinschätzungen nicht direkt zu sanktionieren, sondern erst nach wiederholter, wissentlicher Fehldeklaration.

ab18Und ein weiteres Problem: Träte der JMStV in der bisherigen Fassung in Kraft, müssten alle Inhalte rückwirkend nachdeklariert werden, was angesichts der endlosen Inhalte im Internet schlichtweg vollkommen realitätsentrückt ist. Und es ist fraglich, was dann mit Inhalten ausländischer Anbieter passiert, die ein deutsches System umsetzen müssten. Hätte jedes Land ein eigenes System kann man sich den unbewältigbaren Aufwand vorstellen. Und es wird kein einheitliches System geben, denn man muss sich nur kurz vor Augen führen, wie die Einschätzung verschiedener Nacktheitsgrade schon allein zwischen den USA und Deutschland differiert – muslimisch geprägte Länder ganz außen vor gelassen. Modellversuche wie die W3C-Spezifikation „Platform for Internet Content Selection“ oder die „Internet Content Rating Association“ sind bereits gescheitert und wurden eingestellt.

Zusammengefasst: Nur noch Anbieter mit genügend personeller -ergo: finanzieller – Kapazität könnten eine Selbstdeklaration leisten und bekämen weitere Wettbewerbsvorteile. Dienste wie die Wikipedia, die primär auf der Arbeit von Freiwilligen beruhen und eine große Menge Inhalte bereitstellen stünden vor einem schier unlösbaren Problem.

Das Problem mit der Zuständigkeit für Dritte

Der neue JMStV bringt eine Definition ein, die für alle Blogs mit mehreren Autoren oder generell alle Plattformen, bei denen nicht nur der Betreiber Inhalte generiert, gefährlich werden:

Nach der Terminologie des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV) ist auch der private Betreiber eines Blogs mit UGC [User Generated Content] ein Anbieter von Telemedien, der dafür zu sorgen hat, dass insbesondere die Jugendschutzbestimmungen des JMStV eingehalten werden. Dabei ist unbeachtlich, ob die Inhalte durch ihn selbst oder durch Dritte auf seiner Plattform eingestellt wurden. Werden die Jugendschutzbestimmungen verletzt, drohen empfindliche Sanktionen, die sich nach dem Strafrecht oder dem Recht der Ordnungswidrigkeiten bestimmen. Privatpersonen ist oftmals nicht klar, dass sie auch für jugendschutzrelevante Inhalte Dritter verantwortlich sind.

Diese Klauseln bringen jeden Blog-/Foren-/Social-Network-Betreiber in die Position, Verantwortung für sämtliche Inhalte der Plattform zu übernehmen. Absurd, das findet auch Marc Liesching, der auf beck-blog treffend kontert:

Für Gesetzentwürfe verantwortliche Referenten ist oftmals nicht klar, dass Anbieter für jugendschutzrelevante Inhalte Dritter gerade grundsätzlich nicht verantwortlich sind, erst recht nicht derart wie für eigene Inhalte. Diesen Referenten sei daher dringend die Lektüre der §§ 8, 9 und vor allem des § 10 des Telemediengesetzes anempfohlen.

Das Telemediengesetz besagt nämlich, dass Diensteanbieter „für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich“ sind, es sei denn, sie haben deren Vermittlung absichtlich veranlasst. Sie sind lediglich dazu verpflichtet, rechtswidrige Inhalte nach Hinweis unverzüglich zu entfernen oder zu sperren.

Was auch hier die Konsequenz ist: Die Privilegierung derjenigen, die sich eine weitgehende Überprüfung ihrer Inhalte leisten können, das wird sogar explizit erwähnt:

Anbieter von Telemedien allgemein und von Telemedien mit User Generated Content, die ihre Angebote freiwillig in einer Art und Weise kennzeichnen, dass diese Kennzeichnung von einem Jugendschutzprogramm ausgelesen werden kann, werden privilegiert.

Dabei gab es doch schon einige gute Vorschläge …

… wie die, die von der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ vorgelegt wurden. Diese erkennen, im Gegensatz zum vorliegenden Entwurf, dass Jugendmedienschutz kein Problem ist, das man durch technische und regulatorische Restriktionen lösen kann, sondern dass einen ebenso großen Anteil die Förderung von Medienkompetenz hat, womit wir beim Thema wären. Die Enquete bemängelte bereits, dass diesem Umstand noch keine Rechnung getragen wird:

Im Gegensatz zum repressiven Jugendmedienschutz sind Maßnahmen zur Medienkompetenz-Förderung bislang noch nicht systematisch in ein Regelungskonzept eingebunden. Medienkompetente Kinder und Jugendliche sind in der Lage, selbstbestimmt mit dem Internet umzugehen. Daher ist Medienkompetenz-Förderung ein wichtiges Ziel des Jugendschutzes.

Desweiteren merkte die Enquete an, dass durch die gesetzlichen Regelungen vielmehr die Medienbildung gefördert werden solle, bevor man über Verbote und Nutzungsbeschränkungen nachdenke, schon alleine, weil diese umgangen und so nie einen 100%igen Schutz bieten könnten.

Ausgeklammert ist auch die von der Enquete angemahnte fehlende Berücksichtigung von Datenschutzmaßnahmen zum Jugendschutz, da durch die unreflektierte Preisgabe persönlicher Daten eine Eigengefährdung von Jugendlichen entstünde, die nicht technisch verhindert werden kann – es sei denn man schließt sie komplett von der Social-Media-Nutzung aus.

CC-BY-NC 2.0 via flickr/MrTopf
CC-BY-NC 2.0 via flickr/MrTopf

Fazit

Der Entwurf für den Neuversuch einer Novellierung ist nicht besser als sein Vorgänger. Aber es ist noch nichts endgültig entschieden, denn vorher steht noch die Onlinekonsultation. Bei der ist jeder aufgefordert, sich zu beteiligen, um seine Vorschläge für einen besseren Jugendmedienschutz einzubringen. Es gilt also, genügend kritische und konstruktive Stimmen zu versammeln, die eine sinnvolle Novellierung möglich machen. Dazu seid auch ihr aufgefordert. Also beteiligt euch an der Diskussion und leistet euren Beitrag!

Denn nur wenn sich genügend Menschen beteiligen zwingt das die Länder dazu, die Meinungen ernst zu nehmen und die Onlinekonsultation nicht als medientechnisches PR-Instrument fortschrittlicher Bürgerbeteiligung vorzuschieben, um ihre Version zu legitimieren. Und vielleicht fragt ja sogar mal jemand die Kinder und Jugendlichen selbst, wie sie sich einen effektiven Schutz vor „gefährlichen“ Onlineinhalten wünschen? Wir werden uns umhören!

Bisher in dieser Reihe erschienen:

6 Ergänzungen

  1. Diese Überregulierung der Internetwirtschaft kann einen zum Kotzen bringen, so zwingt man die ganzen Gründer zur Abwanderung.
    Die Inhalten kann man dann später so und so von Deutschland aus abrufen nur dass Sie dann nicht mehr hier sitzen und auch hier keine Steuern zahlen.

    Lieber sollte man das ganze Geld in eine vernünftige Erziehung stecken und in Ganztagsschulen/Betreuung anstatt in so sinnlose Maßnahmen.

  2. Da hilft doch eigentlich nru generell alles auf FSK16 bzw. 18 zu setzen und das am besten von allen. Denn ist der Kennzeichnng genüge getan und es ändert sich nix. Mal davon abgesehen das es sowieso Schwachsinn ist. Ich weiß ja nicht wer sich sowas ausdenkt. Das ganze macht dann sowieso nur sinn mit einer generellen Netzsperre, die natürlich auch alle ausländischen Dienste ausblendet. Dann darf man sich bestimmt bei seinem Provider melden um die „Pornosperre“ aufzuheben. Wobei wahrscheinlich müsste das dann ja auch zeitglich begrenzt für jede Seite einzeln erfolgen. Ist ja zum Beispiel beim Jugenschutzpin von Sky auch so gelöst. Das nach der Sendung sofort wieder der Pin eingegeben werden muss und vor allem beim zappen muss für jeden Sender die Sperre einzeln aufgehehoben werden, obwohl ja schon die Alterstufe „freigeschaltet“ wurde. Also diese Jugendschützer sind echt die größte Gefahr des Internets neben verwertungsgesellschaften und Abmahnanwälten, die damit sicher auch wieder ein wunderbares Betätigunsfeld finden würden und die bräuchten sich dafür gar nicht so absurde RT konstrukte ausdenken.

    1. Im Prinzip hast du mit der FSK18 recht. Nur sind viele private nichtkommerzielle Seiten von Jugendlichen für Jugendliche gemacht.
      Da kann und will man nicht so einfach auf einen Großteil seiner Leser verzichten, nur, weil man seine Seite selber nicht einschätzen kann.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.