Ohne viel Aufsehen zu erregen verabschiedet die französische Regierung in dieser Woche in “beschleunigter Prozedur” ein neues Anti-Terror-Gesetz. Die Nationalversammlung diskutiert seit gestern Abend den Vorschlag des Innenministers Bernard Cazeneuve. Die Parti Socialiste, die Nicolas Sarkozys repressive Sicherheitsgesetze vehement kritisierte, ist heute drauf und dran, genau jene meilenweit zu übertreffen. Sogar die etwas konservativere Zeitschrift Le Monde nannte den Text einen „gefährlichen Gesetzentwurf“.
Der Entwurf soll gegen die Radikalisierung und Rekrutierung durch Terrororganisationen im Internet vorgehen. Und hier liegt auch schon der größte Denkfehler des Entwurfs: Er geht davon aus, dass die meisten neuen Kämpfer über das Internet rekrutiert werden, obwohl Studien belegen, dass dies hauptsächlich in Gefängnissen, Freundes- und Familienkreisen passiert. Reporter ohne Grenzen kritisiert an dem Vorhaben, dass Artikel 4 zur „Provokation“ zu terroristischen Akten aus dem Pressegesetz von 1881 entfernt und dem Strafgesetzbuch hinzugefügt werden soll. Die Organisation unterstreicht, dass der Gesetzgeber damals bewusst das Vokabular der „Apologie“ des Terrorismus vermieden habe, denn Meinungen sollten nicht unter Strafe gestellt werden.
Laut Artikel 9 des Entwurfs soll die Verwaltung (also das Innenministerium) allen Internetanbietern Listen mit zu sperrenden Webseiten übermitteln, sobald diese zu „terroristischen Akten auffordern oder sie verherrlichen“. Hierbei gibt es keine klaren Kriterien und keinen Richtervorbehalt. Stattdessen werden Unternehmen dazu ermuntert, proaktiv ihre Netzwerke zu überwachen.
Artikel 10 bis 15 enthalten keine konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus sondern erweitern lediglich die Ermittlungsbefugnisse der Behörden. Dies beinhaltet das Entschlüsseln von Daten oder die Durchsuchung von Geräten – natürlich ohne Richtervorbehalt.
Wie auch beim Kampf gegen die Kinderpornografie sind die nun in Frankreich vorgeschlagenen Maßnahmen nicht nur ineffizient sondern, was viel schlimmer ist, kontraproduktiv. Sie setzen sich lediglich kosmetisch mit dem Problem auseinander, ohne jedoch das Übel an der Wurzel zu packen. Beim Terrorismus wird die Sache erheblich komplizierter, denn die Grenzen sind hier weniger klar zu definieren. Die Rechtsdurchsetzung in den privaten Sektor und außerhalb jeglicher Rechtsstaatlichkeit zu verlegen, verletzt nicht nur Artikel 52 der EU-Grundrechtecharta sondern widerspricht auch der Rechtsprechung des EuGH.
Es sieht jedoch ganz so aus, als würde dieser Gesetzentwurf ohne wesentliche Änderungsanträge noch in dieser Woche von der Nationalversammlung abgenickt. Daher mobilisiert nun die Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net gegen den Entwurf. Auf der Seite Présumés Terroristes („mutmaßliche Terroristen“) werden alle relevanten Artikel des Entwurfs detailliert erklärt und bewertet. Außerdem können Abgeordnete mit Hilfe des PiPhone-Tools kostenfrei angerufen werden.
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