Zwei Keynotes, zwei Welten: Sibylle Lewitscharoff und Katharina Hacker über digitale Bücher

Katharina Hacker (von NetzJ, via Wikimedia Commons)

Am Mittwochabend dieser Woche eröffnete Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff die sechste internationale Buchmesse „Buch Wien“. In ihrer Keynote hielt sie, laut Buch Wien, „ein flammendes Plädoyer für das Lesen gedruckter Bücher im digitalen Zeitalter“ und kritisierte, wie der österreichische Rundfunk (ORF) prominent berichtet, Online-Versandhändler Amazon scharf:

„Amazon bezahlt keine Steuern in den Ländern, in denen dieser widerliche Club eine Menge Geld verdient, er bezahlt seine Angestellten empörend schlecht, ruiniert die Buchhändler und zunehmend auch die Verlage.“

Lewitscharoffs Kritik an Steuervermeidungsstrategien wie dem „Double Irish With a Dutch Sandwich“ und schlechten Arbeitsbedingungen mag berechtigt sein, auf Internetkonzerne lässt sie sich aber wohl kaum beschränken. Die Krise des stationären Buchhandels hat allerdings durchaus mit digitalem Wandel zu tun. Selbiges gilt für die Krise des Urheberrechts, die Lewitscharoff ebenfalls thematisiert:

„Ebenso katastrophal wie die mir verhasste Firma sind tumbe neue politische Gruppierungen, deren oberstes Ziel es ist, die Urheberrechte zu schleifen und gleich alles kostenlos ins Netz zu stellen.“

Schließlich bedauert Lewitscharoff:

„Das elektronische Buch wird wohl so schnell nicht mehr verschwinden. An diese Art des Lesens werde ich mich jedoch nicht gewöhnen.“

Folgerichtig sei, wie orf.at berichtet, die Vergangenheit ein schöneres Thema als die Zukunft des Buches.

Katharina Hacker (von NetzJ, via Wikimedia Commons)
Katharina Hacker (von NetzJ, via Wikimedia Commons)

Knapp zwei Wochen vor Lewitscharoff hielt die ebenfalls preisgekrönte Autorin Katharina Hacker auch eine Keynote zum Buch, genauer zu „Chancen der Digitalisierung für die Verbreitung und Wahrnehmung anspruchsvoller Literatur“ im digitalen Zeitalter anlässlich der Konferenz E:Publish in Berlin. Katharina Hacker ist eine jener zehn prominenten AutorInnen, die unter Fiktion.cc mehr Aufgeschlossenheit gegenüber digitalem Publizieren einfordern (vgl. „Unerwartet offene Briefe: Bewegung in der Urheberrechtsdebatte“).

Auf Fiktion.cc hat sie jetzt auch das Manuskript ihres Vortrags veröffentlicht, und sie zeichnet darin ein völlig anderes Bild als Lewitscharoff:

Die Autoren, die Fiktion unterstützen, setzen sich von dem Aufruf „Wir sind die Urheber“ ab. Uns treibt nicht die Sorge, es könnten Inhalte im Netz kostenlos – an uns vorbei – verbreitet werden, sondern die, dass unsere Art des Schreibens und Nachdenkens marginalisiert wird, in Folge sowohl wirtschaftlich als auch kulturell derart abseitig erscheint, dass wir von unserer Arbeit nicht mehr leben können.

Digitalisierung und Internet ist für Hacker hier aber viel mehr Chance als Bedrohung. Vor allem für anspruchsvolle Lyrik sieht Hacker neue digitale Möglichkeiten:

Allerlei hat sich herausgeschält: wer Lyrik liest, kann gar nicht dankbar genug sein für die Möglichkeiten, die das Netz geschaffen hat. Lyrik erwähne ich aus drei Gründen. Erstens ist die Lyrik-Szene nicht nur in Deutschland gerade besonders lebendig, und das Niveau ist wunderbar. Womöglich profitiert die Lyrik von den Veränderungen? Sie scheint eine fruchtbarere Zeit zu haben als die Prosa. Zweitens haben sich im Netz, aber auch durch das Netz Gruppen gebildet, mehr als das, die Autoren tauschen sich untereinander und mit Lesern aus (ich finde es gleichgültig, ob im Netz oder im Café). Drittens steht Lyrik – meist zu Recht – für knapp formulierte und komplexe Texte, anders gesagt, für Konzentration und Komplexität.

Ganz allgemein geht es für Hacker bei Literatur darum zu zeigen, „wie mannigfaltig und erstaunlich die Welt ist […] sei es auf einem Lesegerät, sei es in einem Buch.“

Was die beiden Eröffnungsvorträge eint, ist die Begeisterung für und die Sorge um anspruchsvolle Literatur. Was sie trennt ist aber nicht nur Kulturpessimismus bzw. -optimismus, sondern auch ein unterschiedlicher Grad an Differenziertheit. Während Hacker die Initiative Fiktion explizit als „respektvolle Ergänzung traditioneller Verlage“ bezeichnet, nennt Lewitscharoff Urheberrechtskritiker „tumb“ und schwingt die Kostenloskulturkeule.

Der Vergleich macht sicher: Für die Eröffnung der siebten internationalen Wiener Buchmesse 2014 würde sich jemand aus dem Kreis der Initiative Fiktion empfehlen.

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4 Ergänzungen

  1. ich fand lewitscharoffs fiktion immer schon hervorragend und habe viele ihrer bücher gerne gelesen und engagiert verkauft.

    .~.

  2. Man darf trotzdem nicht vergessen, dass das ebook vielen Autoren eine Chance bietet. Nicht jedes Buch, das nicht den Weg über die klassischen Verlage geht ist schlecht oder weniger anspruchsvoll. Und wären alle Bücher, die in ihrer Zeit als nicht anspruchsvoll galten nicht veröffentlicht worden, wäre die Weltliteratur um ein vieles ärmer.
    Die Diskussion um das Urheberrecht ist schwierig. Intertextualität ist in jedem Fall wünschenswert. Der Wunsch nach Zugänglichkeit von Kultur darf aber die Autoren anderen Berufsgruppen gegenüber nicht vernachlässigen. Der Anspruch ist aber nachvollziehbar und ehrenwert, sollte aber vom Autor ausgehen. Ansonsten muss auch an anderer Stelle begonnen werden.

  3. Zusatz: trotzdem können zu niedrige (ebook) Preise das finanzielle Überleben des vollberuflichen Autors gefährden und stellen damit ein unüberschaubares Risiko dar.

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