Lucas Cranach der Ältere gilt als einer der bedeutendsten Maler des 16. Jahrhunderts. Leider ist er schon 460 Jahre tot – was allerdings unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten gar nicht so schlecht ist, denn 460 ist mehr als 70 und wenn ein Künstler mehr als 70 Jahre lang tot ist, dann wird die von ihm geschaffene Kunst in der Regel für die Allgemeinheit wesentlich zugänglicher.
Das Cranach Digital Archive (CDA) in Düsseldorf ist, was das Zugänglichmachen der Werke angeht, eine besonders lobenswerte Einrichtung, hat sie sich doch zum Ziel gesetzt, den Erhalt, die Erschließung und den Zugang zu Cranachs Bildern zu fördern und zu verbessern. Mit einigem Aufwand werden darum hochauflösende digitale Fotos angefertigt.
Löschbestrebungen
Viele der angefertigten Bilder wurden zwischenzeitlich auch bei Wikimedia Commons hochgeladen, wo sie dank Einbindung bei u.a. Wikipedia eine größtmögliche Verbreitung finden.
Hier endet der schöne Teil der Geschichte.
Vor fast genau einem Jahr meldete sich bei Commons ein Benutzer mit dem Namen „Cranach Digital Archive“ an und stellte innerhalb kurzer Zeit 24 Löschanträge auf Bilder des alten Meisters. Die Begründung lautete dabei jedesmal
ILLEGAL COPY AND DISTRIBUTION
Der Account wurde umgehend gesperrt und die Löschanträge abgelehnt, oft mit der Begründung, dass das blosse Scannen oder Fotografieren eines public-domain-Bildes kein neues Copyright schafft:
speedy kept, there’s no new copyright for scanning/photographing an out-of-copyright (due to age, author died several hundred years ago) source medium. Thus the image offered at the Cranach archive is PD
Ein Jahr später ging nun bei der Wikimedia Foundation in San Francisco eine DMCA-Takedown-Notice ein (hier dokumentiert). Darin heisst es:
I swear under penalty of perjury that I am the copyright holder according to German law.
Urheber eines sorgfältig ausgewählten Bildausschnitts
Das Cranach Digital Archive, zu dessen Partnern u.a. die Staatlichen Museen zu Berlin und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gehören, fordert darin für vier verschiedene Dateien aus vier verschiedenen urheberrechtlichen Gründen unterschiedlicher Absurditätsgrade eine Löschung: In dieser Datei sei das geschützte Logo enthalten. Diese Datei sei kein Foto sondern eine Infrarot-Reflektografie. Diese Technik erfordert angeblich „keinen großen Zeit- und Platzbedarf und [kann] sowohl in Ausstellungsräumen als auch in Werkstätten u.ä. durchgeführt werden“.
Bei dieser Datei sei man Inhaber des sorgfältig ausgewählten Bildausschnitts und bei dieser habe man die Rechte an den beigefügten Metadaten. Wikimedia reagierte umgehend, ignorierte die ersten drei Ansprüche aktiv und lud die letzte Datei ohne die Metadaten nochmal hoch. Diese kann man nun nurnoch in der DMCA-Notice auf wikimediafoundation.org lesen, bis gegen die DMCA-Notice eine DMCA-Notice eintrifft.
Leider war am Donnerstag in Düsseldorf niemand für Nachfragen zum Vorgehen zu erreichen und bei der assoziierten Stiftung Museum Kunstpalast hatte man keine Informationen zum Vorgang.
All the 15th century books are belong to us!
Der Archivar Klaus Graf dokumentierte in seinem Blog am Mittwoch übrigens einen ebenfalls seltsamen Vorgang ähnlicher Güte. Graf hatte 2006 eine Seite aus dem Gutachten über den Bacharacher Pfarrwein aus dem Jahr 1426 bei Commons hochgeladen, das im „Geheimen Hausarchiv“ in München lagert. Die Generaldirektorin der Staatlichen Archive Bayerns fordert ihn nun auf, „nachträglich eine Veröffentlichungsgenehmigung zu beantragen oder die fragliche Seite aus dem Internet zu entfernen“ und verweist dabei auf §8 der Bayerischen Archivbenützungsordnung, dem Zufolge Reproduktionen nur durch die Staatlichen Archive oder von ihnen beauftragte Stellen angefertigt werden und nur mit Genehmigung weitergegeben werden dürfen.
Die gefährlichen Bücher werden in Bayern also nur noch mit juristischem Gift versetzt, das ist schon mal ein Fortschritt.
Ich sehe in dem einen Bild zwar ein Haufen aufegspießte, verstümmelte und/oder gefolterte Kinder aber das besagte Logo finde ich nicht.
Wehe sowas würde in einem Spiel vorkommen, das würde gleich beschlagnahmt.
Das Logo ist etwas versteckt: Es ist in der Mitte des oberen Bilddrittels dem Jesus auf seine rechte Brust gemalt.
So anachronistisch es sein mag: Es gibt ein Leistungsschutzrecht an Lichtbildern unabhängig davon, was man fotografiert hat. Auch eine Landschaft ist für sich natürlich nicht leistungsschutzrechtlich geschützt, ein Foto davon schon, zumindest als Lichtbild (im Gegensatz zu Lichtbildwerk). Jeder Handy-Schnappschuss gilt bereits als Lichtbild in diesem Sinne. Nur simple automatische Scans erzeugen keinen solchen Leistungsschutz. Bilder alter Meister werden typischerweise von Repro-Fotografen gemacht, die handwerklich einiges optimieren dabei. Daher der Schutz am Cranach. Dass es einer Institution wie dem CDA extrem schlecht zu Gesicht steht, wenn sie diesen Schutz durchsetzt, und dann auch noch gegen Wikimedia, ändert daran (leider) nichts. Und im Falle von Klaus Graf hat das Archiv wahrscheinlich wirklich als Verlängerung seines Hausrechts einen Hebel, um Veröffentlichung zu untersagen. Siehe dazu auch diverse Gerichtsentscheidungen zu Fotos aus Museen bis hin zu den Außenanlagen („Preußische Schlösser und Gärten“).
Graf hat gar nicht die Möglichkeit das zu löschen. Und in den USA wird das mit Sicherheit niemand machen, gibt auch nach dortiger Rechtslage AFAIK (IANAL) keinen Anlass (aber das wirst du besser beurteilen können…).
Bei Cranach fusst die Argumentation in mehreren Fällen gar nicht auf dem Leistungsschutzrecht, dafür wird das Logo und der Bildausschnitt angeführt, was für mich wie angedeutet ein wenig weit hergeholt wirkt.
Aber ich wünsche mir, dass diese urheberrechtliche Debatte weniger rechtlich und mehr kulturell geführt wird. Also zu fragen: Warum machen wir das?
@John: Das ist nur eine Minderheitenmeinung der Fotografen-Lobby. Der maßgebliche Urheberrechtskommentar von Schricker lehnt den Schutz solcher Reproduktionsfotografien ausdrücklich ab.
(In den USA wurde übrigens durch das Urteil im Fall Bridgman vs. Corel auch in diesem Sinne entschieden.)
Nochmal @John: Graf hat das Bild nicht im Archiv vervielfältigt, sondern in einem ganz normal veröffentlichten Buch gescannt. Das Hausrecht kommt hier überhaupt nicht in Betracht.
Na da haben wir doch die perfekte Lösung für das Problem des auslaufenden Urheberrechts von „Mein Kampf“. Einfach in ein bayrisches Archiv einlagern, dann ist das Thema für alle Ewigkeit gegessen.
Graf hat das Bild aus dem Internet in Wikimedia eingebracht und aaO ausführlich begründet, wieso er den Anspruch der Generaldirektion für abwegig hält.
Zur Reproduktionsfotografie wurde Weitzmanns Ansicht, die nicht mit der Rechtsprechung des BGH (Bibelreproduktion, Telefonkarte) in Einklang steht, hier schon zurückgewiesen.
Zum Sanssouci-Urteil: Ich sehe nicht den geringsten Anhaltspunkt, dass es auf bewegliche Kulturgüter übertragbar ist. Es bezieht sich allenfalls auf die Rechte von Grundeigentümern und ist juristisch umstritten.
Zur Nichtübertragbarkeit des Sanssouci-Urteils siehe jetzt die Nachweise http://archiv.twoday.net/stories/565878174/
Rechte an JPEG-Metadaten? Damit kommt das CDA doch vor keinem Gericht dieser Welt durch. Wenn es nämlich so etwas wie Rechte an Metadaten gäbe, hätte kein Fotograf mehr das Recht an einem digtalen Bild, sondern vielmehr der Hersteller der jeweiligen Digitalkamera, die diese Metadaten in die Bilddatei schreibt. Die CDA-Bilddatenbank ist zwar ein mustergültiges Kunstprojekt, aber die Betreiber machen sich mit ihren absurden Urheberrechtsansprüchen auf gemeinfreie Gemäldereproduktionen lächerlich.