Mitte 2011 wurde durch Großrazzia die Website kino.to dichtgemacht, über die bis dahin Filme und Serien gestreamt werden konnten. Gerichte beschäftigen sich noch heute gerne mit der Seite, auch wenn in den Lesezeichen der Nutzer längst andere Links zu finden sind. Nach längerem Rechtsweg hatte sich beispielsweise der Oberste Gerichtshof Österreichs Mitte letzten Jahres an den Europäischen Gerichtshof gewandt. Der Internet-Provider UPC war zuvor zur Ergreifung von Maßnahmen aufgefordert worden, um seinen Nutzern den Zugang zu der Seite zu verweigern.
Heute hat Pedro Cruz Villalón, zuständiger Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), in seinen Schlussanträgen zum diesem Fall (UPC Telekabel Wien GmbH / Constantin Film Verleih und Wega Filmproduktionsgesellschaft, C-314/12) erlärt, dass Netzsperren unter Umständen ein angemessenes Mittel zum Schutz von Urheberrechten seien. Diese Äußerung gilt als Vorab-Urteil, da der Gerichtshof in der Regel der Argumentation des Generalanwalts folgt.
Vor ziemlich genau zwei Jahren hatte der EuGH unter Mitwirkung desselben Generalanwalts entschieden, dass Providern keine allgemeinen gerichtlichen Sperr- und Filteranordnungen auferlegt werden dürfen. Damals ging es in erster Linie um die Filterung von peer-to-peer-Traffic. Der nun verhandelte Fall liege anders, meint Villalón:
Eine konkrete Sperrmaßnahme bezüglich einer konkreten Website ist nicht allein deswegen prinzipiell unverhältnismäßig, weil sie einen nicht unbeträchtlichen Aufwand erfordert, aber ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden kann. Es ist Sache der nationalen Gerichte, im konkreten Fall unter Einbeziehung aller relevanten Umstände eine Abwägung zwischen den Grundrechten der Beteiligten vorzunehmen.
Richtig übrigens, was der Generalanwalt zu den vorherrschenden Mitteln sagt:
24. Zur Komplexität der Diskussion trägt die Tatsache bei, dass Sperrungen von Websites durch Provider technisch nicht unproblematisch sind([Fußnote: Die technische Analyse der Sperrungsverfügung bleibt dem vorlegenden Gericht vorbehalten. Siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache Scarlet Extended, Urteil vom 24. November 2011 (C‑70/10, Slg. 2011, I‑11959, Nr. 50). Die technischen Gegebenheiten des Internets beeinflussen allerdings direkt dessen rechtliche Strukturen. Lessig, L., Code, version 2.0, Basic Books, New York, 2006.]). Das vorlegende Gericht nennt insofern insbesondere die Möglichkeit einer IP-Blockade und einer DNS-Sperre.
25. IP-Adressen sind numerische Adressen, die den im Internet vernetzten Geräten zugeteilt werden, um so ihre Kommunikation untereinander zu ermöglichen(14). Im Fall einer Blockade durch einen Provider werden Anfragen an die gesperrte IP-Adresse von Diensten dieses Providers nicht mehr weitergeleitet. DNS (Domain Name System)-Sperren hingegen betreffen Domain-Namen, die von Nutzern anstatt der unhandlichen IP-Adressen verwendet werden. DNS-Server, die von jedem Provider betrieben werden, „übersetzen“ Domain-Namen in IP-Adressen. Bei einer DNS-Sperre wird diese Übersetzung verhindert. Neben diesen beiden Methoden zur Sperrung einer Website kann auch der gesamte Internetverkehr eines Providers über einen Proxy Server geleitet und gefiltert werden. Alle diese Methoden lassen sich jedoch umgehen(15). Nutzer können die rechtsverletzende Website nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auch ohne besondere technische Kenntnisse leicht erreichen. Die Betreiber der rechtsverletzenden Website können diese auch unter einer anderen Adresse verfügbar machen.
Die aufgeführten Maßnahmen sind also nutzlos und schädlich, aber es bleibt nationalen Gerichten überlassen zu überprüfen, ob sie in konkreten Fällen nicht doch verhältnismäßig sind.
Der Digitale Geselschaft e.V. erklärt zu den Ausführungen des Generalanwalts:
Damit erlebt die hierzulande längst überwunden geglaubte Debatte über Netzsperren auf europäischer Ebene ihre Wiederauferstehung. Wie schon beim damaligen Zugangserschwerungsgesetz würde mit den vom Generalanwalt geforderten Netzsperren eine Zensurinfrastruktur geschaffen, welche die Pluralität des Netzes bedroht, ohne Rechtsverletzungen effektiv zu verhindern”, so Volker Tripp, politischer Referent des Digitale Gesellschaft e.V.
Gefordert seien statt repressiver Maßnahmen bessere legale Angebote.
Liebes NP-Team,
schon klar, Jura ist schwer, aber bitte bleibt doch wenigstens bei offensichtlichen Fakten halbwegs präzise, zumal in der Überschrift: Ein Antrag des Generalanwalts ist KEIN EuGH-Urteil, auch wenn der Antrag ein erhebliches Gewicht bei der Entscheidungsfindung des Gerichts hat. Eine Überschrift, die einen Text über den Antrag des GA mit „EuGH:“ einleitet, ist schlicht und ergreifend falsch.
Best, U
Danke für den Hinweis. Meiner bescheidenen Meinung nach geht das aus dem Artikel allerdings deutlich genug hervor. Die Überschrift ist insgesamt eher missraten, aber dass man vor den Doppelpunkt die Institution setzt, bei der der Vorgang grob verortet ist, finde ich okay. Immernoch besser als alle „EU will“- oder „Brüssel will“-Überschriften dieser Welt.
Wer sich ein bißchen die Aussagen der Kritiker dieses EU-Organs zu Gemüte führt, z.B. von Prof. Dr. Schachtschneider, der bekommt unweigerlich den Eindruck, daß der EuGH für die EU in etwa die Funktion besitzt, wie der Volksgerichthof für die Nazis. Damit der Vergleich nicht gleich wieder in den falschen Hals gerät: Hiermit meine ich, daß es sich hierbei um eine willfähige gerichtsähnliche Institution handelt, die der Exekutive eine juristische Rechtfertigung liefert. Ich zitiere eine Aussage von Herrn Schachtschneider: »Er [der EuGH] hat in 50 Jahren nicht einmal Grundrechtsschutz gegen einen europäischen Rechtsetzungsakt gegeben, obwohl es ja schon über 100.000 solcher Rechtsakte gibt, und hat auch dadurch bewiesen, dass er für den Grundrechtsschutz in der Praxis ungeeignet ist.«
Hm, aber die Streamhoster werden wohl kaum gesperrt werden, genau wie die filehoster. D.h liese sich so eine Sperre durch Domainhopping unbrauchbar machen. Schließlich dauert es ja eine Zeit bis so ein Gerichtsbeschluss erwirkt ist.