Mitte letzten Jahres hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zum Thema verwaiste Werke („orphan works“) vorgelegt. Dabei geht es darum, den Zugang zu Werken zu erleichtern, die zwar noch urheberrechtlich geschützt sind, deren Rechteinhaber jedoch nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand auffindbar sind – ein Problem, das sich durch die regelmäßigen Verlängerungen urheberrechtlicher Schutzfristen in den letzten Jahrzehnten massiv verschärft hat.
Der Richtlinien-Vorschlag ist mittlerweile in den zuständigen Ausschüssen des EU-Parlaments angekommen. So gab es Ende Februar im Rechtsausschuss eine Reihe von äußerst knappen Abstimmungen über einzelne Formulierungsvorschläge, die scheinbar größtenteils zu Gunsten von Urheberrechts-Hardlinern rund um Marielle Gallo, bekannt seit dem nach ihr benannten Report zur „Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums im Binnenmarkt“ (vgl. EU-Parlament stimmt für Gallo-Report), ausgegangen sind.
Wie jetzt bekannt wurde, kam es dabei zu Ungereimtheiten (vgl. den IP Policy Committee Blog): Obwohl nur 23 Personen im Saal waren, wurden einmal 24 und einmal 26 Stimmen gezählt. Auf Nachfrage beim deutschen Ausschussvorsitzenden Klaus-Heiner Lehne (CDU/EVP) wurde daraufhin bekanntgegeben, dass zwar Fehler beim Zählen der Handzeichen gemacht wurden, sich aber auch nach diesbezüglicher Korrektur nichts an den Abstimmungsergebnissen geändert hätte. Ob jetzt neuerlich abgestimmt wird, ist noch unklar. Ebenso liegt noch keine konsolidierte Fassung des Richtlinienentwurfs vor, die soll Anfang kommender Woche folgen.
Einer der Knackpunkte der Auseinandersetzung war, inwieweit Rechteinhaber nachträglich eine Vergütung für die Nutzung verwaister Werke einfordern können, auch wenn diese zuvor nach sorgfältiger und gutgläubiger Suche als „verwaist“ klassifiziert worden waren. Damit wird allerdings der eigentliche Zweck der Regelung unterlaufen, nämlich Rechtssicherheit bei der Verwendung von verwaisten Werken herzustellen. Mit der im jetzigen Entwurf vorgesehenen Vergütungsklausel würde so eine Rechtssicherheit aber gerade nicht erreicht: wer verwaiste Werke beispielsweise digitalisiert und so besser zugänglich macht, kann dann trotzdem wieder mit Ansprüchen konfrontiert werden.
Ist das jetzt eigentlich ideologische Konsistenz, wenn man sich für die Autoren verwaister Werke einsetzt? Eine besonders gute Lobby konnen die ja nicht haben.
Wenn das mit dem Händezählen in den Ausschüssen nicht klappt, sollte man vielleicht mal über handliche Wahlcomputer nachdenken?
SCNR