Momentum08: Gerechtigkeit

Letzte Woche war ich für drei Tage in den in den österreichischen Alpen, um in Hallstadt im Weltkulturerbe „Salzkammergut“ über Netzpolitik zu diskutieren. Der Kongress „Momentum08“ wurde im Dunstkreis der österreichischen Sozialdemokraten organisiert und verstand sich als Strategiekongress um Wissenschaft und Politik zur Diskussion rund um eine kritische und zukunftsfähige Politik mit dem Schwerpunkt „Gerechtigkeit“ zusammen zu bringen. Ich war als Kursleiter eines Tracks zu „Freies Wissen vs. Digitale Spaltung“ geladen, der sich zwei Tage lang mit diesem Themengebiet beschäftigte. Das war interessant und sehr nett, weil sehr intensiv und interdisziplinär diskutiert wurde. Auch wenn alle Kursteilnehmer ähnlich Positionen hatten. Hab zumindest in Deutschland noch nicht so intensiv mit Sozialdemokraten über das Thema diskutieren können. Auch ist mir nichts bekannt, wo Sozialdemokraten über das Thema diskutieren. (Bei den deutschen Jusos hab ich zweimal danach gefragt. Beides Mal bekam ich als Antwort, dass sie eine Mailingliste mit ihren Webmastern hätte, ob ich das meinen würde. Ist aber auch schon etwas her)

Ich hab mal einiges mitgeschrieben. Zwei Präsentationen fehlen noch, die packe ich noch morgen dazu.

Sophie-Marie Wollner gab eine Einführung in das Themengebiet „Digitale Spaltung“. Bei der „Digitalen Spaltung“ / der „Digitalen Kluft“ spricht man vom Unterschied OnlinerInnen/OfflinerInnen.
Thematisiert wird „die Befürchtung, dass sich im Zuge der unterschiedlichen Nutzung neuer Medien soziale Ungleichheiten verstärken“. Dies tut man in drei Dimensionen nach Pipa Norris: Global, Sozial und Demokratisch. Die Frage einer „digitalen Ungleichheit“ geht über die physische Zugangsfrage hinaus. Es gibt mehrstufige Modelle, die von einem First / Second Level sprechen. Dabei bezieht man beispielsweise die Rezeptionsebene noch mit ein. Beim technischen Zugang gibt es eine deutliche Kluft zwischen Personen mit niedrigem und hohem sozialen Status. Grosse Unterschiede gibt es bei den „digitalen Kompetenzen“: Hier unterscheidet man zwischen „technischen Bedienkompetenzen“, „Internetbezogenes Wissen zweiter Ordnung“, die „Nutzungserfahrung“, sowie die „Computeraffinität der sozialen Umgebung“

NichtnutzerInnenforschung

Manu Hiesmair gab einen Überblick über den Stand der „NichtnutzerInnenforschung“ und welche „Ableitungen für politische Programme zur Bekämpfung digitaler Ungleichheit“ daraus zu erkennen sind. KOnkret ging es um die „Digitale Spaltung.

In den 90er Jahren wwurde diese vor allem unter dem Kriterium des technischen Zugangs definiert (haves / have-nots). Mit steigenden NutzerInnenzahlen kamen mehr Dimensionen digitaler Ungleichheit in die Diskussion. Aber bald stand schon fest, dass es bei denjenigen, die technischen Zugang haben, eine „Digitale Ungleichheit“ gibt. Es finden sich verschiedene Dimensionen digitaler uNgleichheit: Auf der einen Seite unterscheidet sich diese im soziokulturellen Verständnis, in der technischen Ausstattung, bei der Nutzungsfreiheit, in den Verwendungszwecken und ob die NutzerInnen über ein soziales Unterstützungsnetzwerk verfügen. Gleichzeitig gibt es noch Unterschiede in der Partizipation, sowie in der Gestaltung des digitalen Raumes.

Die NichtnutzerInnenforschung beschäftigt sich zum einen mit dem sozialen Zusammensetzung der NichtnutzerInnen und zum anderen, mit den Gründen und Motiven dafür, dass sie das Internet nicht nutzen. In Österreich ist das aus wissenschaftlicher Sicht kein Thema und es gibt eine Forschungslücke. Bei Daten muss man daher meist auf Zahlen aus Deutschland zurückgreifen. Der „GfK Online Monitor“ fand 2008, dass 29% der über 14jährigen in Österreich als „Offliner“ bezeichnet werden können. 300.000 Menschen nutzen ihren Zugang nicht, weitere 300.000 nicht regelmässig.

Bei den Motiven der „Nichtnutzung“ gibt es zwei Strömungen: Auf der einen Seite die TechnikverweigerInnen, bzw. eine bewusste Entscheidung gegen Nutzung (z.B. auch öffentlicher Zugänge) aufgrund fehlender Motivation („want-nots“) oder
Kosten-Nutzen-Abwägungen und Barrieren („have-nots“). Die Begriffe seien aber schlecht gewählt. Hier spricht man auch von einem „motivational access“.

Aus dem Jahr 2006 gibt es Zahlen, warum das Internet nicht genutzt wird (ACTA -> Zillien). Die „Want-Nots“ interesisert es zu 44% nicht, 39% haben nicht die Zeit dafür und 33% sagten, dass sie durch traditionelle Medien alle Informationen bekommen, die sie benötigen. Auf den Seiten der „Have-Nots“ ist 27% der Internetzugang zu kompliziert, 26% verfügen nicht über die notwendige Technik und 23% ist die Internet-Nutzung zu teuer. Dabei gibt es nur einen geringen Zusammenhang mit sozialem Status.

Zwischen den Generationen gibt es unterschiedliche Motive (Gerhards/Mende – 2006). Den jungen InternetnutzerInnen ist der Zugang oft zu teuer und sie nutzen z.B. den Internetzugang bei Freundinnen. Hier sprich tman auch von Barrieren. Bei den alten InternetnutzerInnen fehlt oft das Interesse und die Kompetenz, auch wird ein Mehrwert nicht gesehen (motivational access).

Bei der PC-/Interneterfahrung von „Offlinern“ gibt es die Ergebnisse unterschiedlicher Erhebungen: Ca. 25% nutzt Computer (2006), 43,8% verfügen über Interneterfahrung (Hier spricht man auch von „AussteigerInnen“ oder „Vertriebene“ -Riehm/Krings 2004). Die ARD-ZDF Onlinestudie 2006 u. 2008 kennt 16% bzw. 12% „Erfahrene“ NichtnutzerInnen. Die ARD-ZDF Onlinestudie (2008) hat die Motive der „NichtnutzerInnen“ nöher untersucht. Bei diesen nehmen die „problematischen“ Seiten des Internets einen grösseren Raum ein. 86% sagen, dass Internet wie eine Sucht sein kann. 79% sehen Risiken bei der Datensicherheit und 62% fürchten Überwachung. 77% sehen die Verbreitung pornografischer Inhalte als Risiko und 75% sagen, das Internet sei ein „Zeitfresser“. Die Distanz und Skepsis bei erfahrenen Offlinern (Waren schonmal im Netz, aber es ist nichts für sie) ist deutlich ausgeprägter. Allerdings stellen diese nur 11,8% der Offliner. Interessant ist hier aber zumindest die grosse Angst vor dem Internet. Wenn man bedenkt, dass unsere Politiker überwiegend zu den „Offlinern“ gehören, sieht man hier interessante Zahlen zu den Ängsten.

Betrachtet man die Gründe für die Anschaffung von Internet in der ARD-ZDF Onlinestudie 2008 findet man bei den „internetaffinen“ Gruppen (waren schonmal online, bzw. haben Vorstellung vom Internet) Motive für die Nutzung. Am stärksten kommt hier der „Informationszugang“ mit 77% hervor. (Medizin, Gesundheit, Urlaubs- und Reiseziele, Hobbies). Auch gibt es wohl einen „sozialen Druck“, den 74% sagen, das Internet gehöre einfach dazu und 70% sind fasziniert von den Möglichkeiten. Für 50% stehen noch Kontaktmöglichkeit mit Bekannten im Vordergrund und 24% wollen online einkaufen.

Es gibt verschiedene Ableitungen aus den Zahlen:

Eine Internetnutzung ist für 1/3 der (jungen) Erwachsenen noch immer nicht selbstverständlich. Es sind Typologien von NichtnutzerInnen möglich (skeptisch – neugierig; unerfahren – erfahren; motivationale Nichtnichtnutzung – manifeste Barrieren). Die Zielgruppen für politische Maßnahmen im Sinne von Inklusion sind daher inhomogen. Für entsprechende Massnahmen und ein strategisches Vorgehen brauche man Informationen über Zielgruppen: Welche Interessen? Wo treffe ich sie an? Wo muss ich sie „abholen“? etc. Ein wirkliches Verstehen bedürfe qual. Sozialforschung.

Spannend fand ich die Vorstellung des Projektes „Wissensraum Linz – Identifikation – Aufbereitung und Kommunikation von Wissen in einer Kommune“ von GG. Dort gibt es verschiedene AkteurInnen innerhalb der Stadt Linz, wie die Stadtverwaltung, das Ars Electronica Center, die HotspotInitiative, sowie die staädtische LinzAG (kommunaler Strom- und Internet-Versorger).

Der „Wissensraum Linz“ will verschiedene ANgebote für die BürgerInnen bieten. Schon jetzt gibt es über 120 öffentliche HotSpots in der Innenstadt und in öffentlichen Gebäuden. Allerdings ist dies noch keine kommunale IT-Grundversorgung, weil man genau darauf achtet, dass die HotSpots nicht in private Gebäude reinstrahlen. Aktuell n der DIskussion und kurz vor der Umsetzung ist die Idee eines „PublicSpaceServer“. Die Idee ist, dass alle Linzer einen Gigabyte Speicherplatz auf einem öffentlichen Server bekommen für alle möglichen Dienste wie Wikis, eMail, Dokumentenablage oder Blogs. Überlegt wird auch, allen BürgerInnen eine eMail-Adresse zu geben. Dies sei interessant für einen Ausbau der zukünftigen eGovernment-Strategien. Ermöglicht werden sollen diese Infrastrukturmassnahmen mit dem Ziel von mehr Partizipation. Dies soll auch durch Beratungen, Veranstaltungen und Schulungen der vor allem älteren BürgerInnen z.B. durch die Volkshochschule oder Kursen an den Schulen geleistet werden.

Bei der Umsetzung des „Wissensraum Linz“ gibt es einen „virtuellen Teil“. Dieser soll eine Moodle-Plattform bei der VOlkshochschule bieten (Moodle ist eine freie Software für eLearning Projekte). Dazu gibt es den PublicSpaceServer und Initiativen für eine „Digitale und Virtuelle Bibliothek“. Schon aktiv sind die HotSpotInitiative und die Wiki-Map Linz. Dazu kommt Linz.at als kommunale Informationsplattform und verschiedene Projekte vor Ort wie das Ars Electronica Center.

Im „realen Teil“ soll es Vorträge, Diskussionsveranstaltungen, Lesungen sowie Ausstellungseröffnungen geben, die dann auch im Internet als Stream zur Verfügung stehen sollen. Kurse, Seminare und Workshops sollen als „Blended learning“ zur Verfügung stellen. Ziel ist auch, generell Kulturveranstaltungen digital verfügbar zu machen.

Leonard Dobusch sprach über „Von Open Access zu Free Knowledge – Erste Schritte zu freiem wissenschaftlichen Wissen“. „Wissenschaftliches Wissen“ meint Artikel, Bücher und (Roh-)Daten. Hier definiert man die technischen Voraussetzungen (Internet ermöglicht prinzipiell freien und kostenlosen Zugang), finanzielle Voraussetzungen (Abgesehen von Patenten verdienen ForscherInnen ihre Geld nicht mi ihren Publikationen und der überwiegende Teil der Forschung ist öffenltich finaziert) und rechtlichen Voraussetzungen (ForscherInnen treten heute ihre Urheberrechte an Verlage ab, die Creative Commons Lizenzen setzen sich immer mehr als Lizenz für Open Access durch).

Dobusch schaute sich eine DFG-Studie aus dem Jahre 2005 an (Open Access Zeitschriften „Golden Road“), die untersuchte, welche Fachgebite eher ihre Werke als Open Access veröffentlichen. In der STudie kam heraus, dass vir allem naturwissenschaftliche Richtungen Open Access veröffentlichen (Biologie, Physik, Mathematik). Geistes- und Sozialwissenschaftler tun dies fast gar nicht. Im Rahmen esin von ihm unterrichteten Seminars an der FU-BErlin befragte er mit seinen Studenten 39 Wissenschaftler aus den Bereichen Sozial- und Naturwissenschaften nach ihren Beweggründen und ihrer Einstellung zu OPen Access. Die Befragung wurde mit der Methode der „Dilmma-Interviews“ gemacht. Beim Ergebnis gab es eine Bestätigung der DFG-Studie: Naturwissenschaftler sind starke Befürworter, während Sozialwissenschaftler sehr skeptisch sind, bzw. kein Verständnis für Open Access haben.

Im klassischen Publikationsprozess reicht man als Forscher einen Artikel ein. Ein Board of Editors übernimmt den Peer Review Prozess und entscheidet mit dem Verlag, was erscheint. (Oft entscheidet auch schon der Velag, was überhaupt ins Peer Review Verfahren kommt. Die Mitglieder des Board of Editors werden vom Herausgeber (Verlag) bestimmt. Damit geht meist ein hohes Renomee und viel Reputation ein. Der Verlag verdient durch den Verkauf der Artikel oder des ganzen Journals. Ausgaben gibt es sonst kaum, weil das Board of Editors kostenfrei arbeitet. Bibliotheken / Unis sind aber oft darauf angewiesen, angesehene Journale zu kaufen. Verlage können teilweise Mondpreise nehmen. Kritiker sagen auch, dass bei den berühmten Journale Renditen wie beim Drogen- und Waffenhandel zu machen sind.

Wissenschaftler sind aber darauf angewiesen, in möglichst renommierten Journalen zu veröffentlichen. Letzteres erreichnet sich durch den „Impact-Faktor“. Das ist ein Ranking von Journalen auf Basis von Zitationsfähigkeit von Umfragen unter WissenschaftlerInnen. Die Besten bekommen ein „A+“. Wissenschaftler versuchen, möglichst hoch nach dem Ranking einen Artikel unterzubringen. Dabei dauert es bis zu 1-2 Jahren, bis man überhaupt eine Antwort bekommt. Meist ist es eine Absage und man steigt etwas tiefer ein, z.B. bei einem „B“-Journal. Auch hier kann es ähnlich lange dauern. Bei einer erneuten Absage versucht man es eben bei einem „C“-Journal. Irgendwann ist man am Ende angelangt und versucht es bei einem Open Access Journal. Diese haben meist keinen guten Rang, weil erst neu und daher wettbewerbsnachteile, weil keinen hohen Impact-Faktor.

Dobusch vermutet, dass die Ablehnung von Open Acces Modellen durch Sozialwissenschaftler an den Veröffentlichungs-Zwängen im wissenschaftlichen Betrieb liegt. Im Bereich der Sozialwissenschaften (Dazu zählt auch BWL / VWL) ist man als Nachwuchswissenschaftler darauf angewiesen, in einem renommierten Journal einen Text zu veröffentlichen. Angesehene Open Access Journale gibt es in diesen Disziplinen nicht, die als Vorbild dienen könnten. Im Naturwissenschaftlichen Bereich gibt es die Public Library of Science (PLOS), ein Open Access Journal, dass von Nobelpreisträgern mitgegründet wurde und über erhebliche Renomee verfügt. Hier waren die HerausgeberInnen die Türöffner, „eine Gegenrevolution, die sich von oben durchsetzte“. Dobusch spricht von einem „Matthäus-Effekt“ mit Nobelpreisträgern, die als Board of Editors agieren und der PLOS Renomee verschaffen. Wenn man gerade keine Nobelpreisträger zur Hand hat, könnte man auch institutionelle Akteure wie Forschungsförderungsgesellschaften, Fachvereinigungen oder den Staat nutzem, um ForscherInnen Auswege aus der Publikationsmisere verschaffen zu können.

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